Donnerstag, 14. Dezember 2006

Vom zoon politicon und der Dienstleistungswüste

61 Jahre nachdem einen Steinwurf von meinen Schreibtisch entfernt eine Partei gegründet wurde, die sich auf die Fahnen geschrieben hat uns mit christlichem Sozialismus in den Untergang zu führen und 34 Jahre nachdem der letzte Mensch den Mond verlassen hat, ist die Menschheit allem Anschein nach trotz Karl Kraus Warnungen noch nicht untergegangen. Dies allerdings widerlegt „Die letzten Tage“ durchaus nicht: Ignoranz, Borniertheit, Doppelmoral und vor allem die Inkompetenz der so schlecht genannten „Entscheidungsträger“, also alles, was schon Kraus an den Rand des Wahnsinns getrieben hat, finden wir heute mehr denn je vor. Wir haben uns - schlimmer noch - daran gewöhnt.

„Der Mensch ist im wörtlichsten Sinne ein zoon politikon, nicht nur ein geselliges Tier, sondern auch ein Tier, das nur in der Gesellschaft sich vereinzeln kann.“ [Karl Marx, Kritik der politischen Ökonomie, MEW 13]

Die Vorweihnachtszeit kommt für Angestellte im Einzelhandel fraglos einer Charakterprüfung gleich. Ich selbst konnte die letzten Tage mehrfach feststellen, dass zur Adventszeit überdurchschnittlich viele Menschen in Buchhandlungen auftreten, die offensichtlich nicht in der Lage sind, den Beipackzettel ihrer Psychopharmaka zu lesen. Umso wohltuender sind da unkritische und vorbehaltlos konsumwillige Mitmenschen, wie ich eben einen angetroffen habe in der Schlange vor mir.

„Sie wünschen bitte?“
„Ein Buch.“
„An was haben Sie denn da gedacht?“
„Ein Buch für fünf Euro.“
„Irgendeine besondere Richtung?“
„Nein.“
„Für Kinder?“
„Nein.“
„Für eine Frau?“
„Nein.“
„Für Sie selbst?“
„Nein.“

Die Verkäuferin beginnt unkoordiniert zu blinzeln und sucht mit nervös-hektischen Blicken ihre Kollegin. Offensichtlich ist sie mit der Situation hoffnungslos überfordert. Hinter mir stehen an die fünf zunehmend unzufrieden werdende Kunden, ich überschlage die Wahrscheinlichkeit dass unter ihnen ein potentieller Amokläufer sein könnte und bin mir sicher, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis mir einer der Wartenden mit den Memoiren des Altbundeskanzlers aus Ungeduld und Angst, er könnte das Fest des Friedens verpassen, die Schädeldecke zertrümmert.

Neben mir türmen sich Bücher zu Knabenhohen Stapeln. Auf einem dunkelblauen mehrere Hundert Seiten dicken steht mit rotem Aufkleber hervorgehoben „Bestseller 5 €“. Ich nehme das Buch und drücke es dem vor mir Wartenden wortlos in die rechte Hand. Zustimmendes Gemurmel hinter mir zeugt von unverholenen Beifallsbekundungen. Der Mann nickt mir gütig zufrieden zu, legt die fünf Euro auf die Theke, schickt der Buchhändlerin einen mürrischen Blick hinterher, wohl um seinen Unmut über die unzureichende Beratung auszudrücken, und geht.

So macht man das.

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Laura Kinderspiel - 12. Nov, 11:30
wow..
..echt "hot" diese Sonnenblumen.. seit langem die beste...
jump - 6. Sep, 11:53
Danke
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huflaikhan - 28. Aug, 08:25
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huflaikhan - 26. Dez, 16:15
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