Samstag, 10. Februar 2007

Sorgfältig

Sorgfältig prüf ich
Meinen Plan; er ist
Groß genug; er ist
Unverwirklichbar.

[Bertolt Brecht: Sorgfältig prüf ich]

Der Marsch der Vernunft durch die Welt

Der einzelne Mensch, mithin auch und vor allem ich, ist ja in Hegels System der „Träger des Geistes“ und „ein Moment auf dem Weg hin zum Absoluten“. Die verregnete, kalte Natur dagegen, durch die ich heute Vormittag mit zunehmend verächtlicherem Blick streifte, der „Abfall der Idee von sich selbst“ [Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften Bd. II, F.a.M. 1986, S. 28] und ohne jede Freiheit: „Die Natur zeigt daher in ihrem Dasein keine Freiheit, sondern Notwendigkeit und Zufälligkeit“ [ebd., S. 27].

Umso verwunderter war ich, inmitten dieser freiheitslosen Baumwüste ein Artefakt vorzufinden, das mich versöhnlich an zarte Jugendjahre erinnerte: Auf einem Schild das behelfsmäßig an einem Baum befestigt wurde, fand ich ein neckisches Männlein im Walde. Die Rede ist von „Trimmy“, ein arg dümmlich grinsendes Wesen mit überdimensioniertem, viereckigem Kopf, der stark an frühe Fernsehgeräte erinnert, einer sehr fragwürdigen Turnhose und ewig auf der Lauer liegend per Anhalter weiterzukommen. „Trimmy“ war Maskottchen der „Trimm-Dich-Bewegung“ des Deutschen Sportbundes der ab März 1970 zum Zwecke des „Trimmens“ breiter Bevölkerungsschichten zahllose „Trimm-dich-Pfade“ in die unfreie Natur holzte. Vorbild hierfür war Norwegen von wo auch das Wort „Trim“ entlehnt wurde, bei den Eidgenossen wurde - wesentlich eleganter - auf dem „Vitaparcours“ die Schulter ausgerenkt.

Schöpfer und Graphiker Dieter Sihler wollte „Trimmy“ (laut eigener Aussage) optimistisch und unkompliziert wirken lassen und auf emotionale Weise darstellen, dass Bewegung auch mit großem Kopf und fremdländisch anmutender Kleidung gut tut. Nun scheint auch dies mir wieder ein überaus eindrucksvolles Beispiel dafür zu sein, dass das schiere „gut meinen“ noch lange nicht zu einem auch nur annähernd befriedigenden Ergebnis führt. Steht doch „Trimmy“ aus moderner Fitness-Sicht für den äußerst unbeholfenen Versuch, mit robustem Turngerät - sprich ein paar Baumstämmen, Stangen und Seilen – herumzuhampeln inmitten von Killerwespen, Zecken, tollwütigen Füchsen und grellbunt bekleideten Sonntagsspaziergängern. (Problembären waren seinerzeit gnädigerweise alle totgeschossen). Ergo und sehr zu Recht gerät „Trimmy“ zum ewigen Symbol der Jungsteinzeit für freudlose Leibesertüchtigung, Achselnässe und Fußschweißgeruch.

Tempus fugit: Wahre Fitness, das ist heute unbestrittenes Allgemeingut, kann ohne Halogendeckenbeleuchtung, Personal Trainer, Chromblitzende Sportgeräte, linksdrehende Energy Drinks, Fettschmelz- und Muskelaufbaupräparate und ohne Dauermedikation mehrerer 24Stundenachselschweißsprays nicht ernst genommen werden und jeder Versuch ohne diese zwingend notwendigen Hilfsmittel wäre der weithin schallenden Lächerlichkeit preisgegeben.

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war dies die letzte Sichtung des zwischenzeitlich schon als ausgestorben geltenden, überaus menschenscheuen „Trimmy“. Und wenn vermutlich auch letzte einzelne Exemplare verborgen im tiefen dunklen Kottenforst noch eine Weile überdauern werden, ist es doch nur eine Frage der Zeit, bis rührige Anthropologen oder gar Sportarchäologen die Fetzen der letzten schwarzen „Trimmy“-Sporthose in die laufenden Kameras halten zum Beweise, dass auch dieser überaus sympathische Zeitgenosse für immer von uns gegangen ist.

Nun sind bekanntlich unsere Medien voll von Wehklagen über Dinge, die ausgestorben oder in Vergessen geraten sind. Nach einer aktuellen Umfrage trauern etwa nahezu 65% der Deutschen der DMark hinterher. Von anderen schwerwiegenden Verlusten wie dem Tyranosaurus Rex oder zum Beispiel den störungsfreien schwedischen Kernkraftwerken ganz zu schweigen.

Ob dies dann im Hegelschen Deutungssinne der Menschheitsgeschichte als der „Marsch der Vernunft durch die Welt“ bezeichnet werden kann oder Schelling doch näher am subjektiven Empfinden liegt, weil alles zu einem „eintönigen, beinah einschläfernden Fortschreiten (...) völlig ohne wahres Leben“ führt [Schelling: Zur Geschichte der neueren Philosophie. Münchner Vorlesungen, Stuttgart 1856, S. 212], möchte ich nun aber besser der messerscharfen Urteilskraft der vieltausendköpfigen Leserschaft überlassen.

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