Donnerstag, 22. November 2007

Der Exzess: Vom Irish Famine zum Full Irish



[The Famine Sculpture (von Rowan Gillespie), Custom House Quay am Ufer der Liffey, Dublin. Buster 2007]

Ich gehöre ganz sicher nicht zu jenen, die krampfhaft versuchen mit der Geschichte eines Volkes seine heutigen unsäglichen Gewohnheiten pausenlos zu rechtfertigen. Es kann aber doch nur an der großen Hungersnot (irish potato famine) zwischen 1845 und 1849 liegen, warum heute so hemmungslos viel und ungesund gegessen wird. Immerhin verhungerten wegen schweren Kartoffelmissernten, dem Hauptnahrungsmittel der Bewohner, rund fünfhunderttausend Menschen in grade mal vier Jahren und über zwei Millionen wanderten aus, zum überwiegenden Teil in die USA.

Das hilft vielleicht zu erklären, warum Iren permanent in Angst vor einer akuten Kartoffelkrise leben und im Pub selbst zu Spaghetti oder Pizza noch eine ordentliche Portion chips serviert wird: Die fetttriefende, frittenverliebte, gewürzlose Küche, in der die wichtigsten Hilfsmittel Mikrowelle und Friteuse sind, dominiert trotz aller Fusion-Ansätze und ist in den Straßen nahezu allgegenwärtig. Dies setzt sich natürlich auch beim reichhaltigen Frühstück, genannt >Full Irish<, konsequent fort. Wenn man Glück hat, ist es wenigstens nicht gekocht sondern gebraten, ein Attentat auf den Cholesterinspiegel und pures Hüftgold bleibt es dennoch und wird in traditionell überbordenden Portionen serviert.

Mein Landlord und die Dame des Hauses, die mir zum bezahlbaren Preis von unter 30 Euronen Bed & Breakfast unterm spitzgiebligen Vorortdach der Northside gewähren, meinen es wirklich zu gut mit mir: Mein Frühstück beginnt mit einem Orangensaft und Cerealien (an dieser Stelle ist mein Hunger gestillt, ich könnte unbeschwert den Tag beginnen. Aber weit gefehlt). Dann kommen ein Spiegelei, jeweils zwei verschiedene Schweinswürstchen, viel bacon, ein Teller gebratene Pilze und zwei gegrillte Tomaten in einem zweiten Gang. Den dritten Gang eröffnet der black pudding (Blutwurst mit Hafergrütze in Scheiben gebraten), gefolgt von baked beans, kipper (heißer Hering), white pudding (gebratene, undefinierbare, helle Wurst) und ein Schälchen porridge (in wässriger Milch arg zerkochte Haferflocken), dazu gibt es Sodabrot. Hier spätestens glaube ich mich jenseits von Gut und Böse - es kommt aber noch eine Potato Cake mit grobem Apfelmus und Toast mit gesalzener Butter und Orangenmarmelade. Dazu verabreicht man mir kannenweise Schwarztee bis zum drohenden Tanninkollaps.

Mein zaghafter Hinweis am zweiten Tag, dass ich Morgens mit Cerealien und etwas Obst ganz und gar zufrieden zu stellen sei, wurde leider sehr falsch verstanden und hatte gegenteilige Wirkung: Zwischenzeitlich werden nach dem dritten Gang und vor der Potato Cake noch in Honig marinierte, geröstete Pampelmusenscheiben mit heißem Räucherfisch als Zwischengang serviert. Beide Hausbesitzer stehen dabei wie die Wächter des Dublin Castle bedrohlich hinter mir und kontrollieren streng, ob ich nichts dem Hund ‚Quincy’ gebe. Jeglicher Widerstand ist zwecklos, ich habe offen gestanden zwischenzeitlich kapituliert vor der irischen Gastfreundschaft und versuche das Beste aus dem Tag zu machen und schließlich ist mit Oscar Wilde „Mäßigung (…) eine verhängnisvolle Sache, denn nichts ist so erfolgreich wie der Exzess.“ [Die Seele des Menschen unter dem Sozialismus].

Es könnte ja schlimmer kommen … vielleicht gibt morgen ja noch zusätzlich etwas Lachs mit Rührei, Muschelsuppe, ein blutiges Minutensteak und zum Abschluss ein kleines Pfefferminz?

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