Montag, 30. Juni 2008

Niveaufrage

„Wir waren nicht ganz auf diesem Niveau“ sagt der Löw hinterher etwas zu angespannt als ich mit einer Gulliverschen Anmutung feststelle, dass ich alle Anwesende um eineinhalbfache Kopfgröße überrage. Ohne die ridiküle rotgelbrote Kappe auf meinem Kopf, wohlgemerkt. Die schiere Größe des Nordmenschen zeigt, dass zwischen dem rotgelbroten Fahnenmeer ein Nachkomme der Wikinger steht – wie unerschrocken sei hier einmal vorsorglich dahingestellt.

Ich war nur kurz in einem Biergarten der schwarzrotgoldener gar nicht hätte stöhnen können als die dreiunddreißigste Spielminute angebrochen war. Dies schien mir der rechte Moment zu sein nunmehr spanische Verhältnisse anzustreben war ich doch sowieso grenzenlos überzeugt, dass diese vom Gewinn gar nicht mehr abzubringen seien. So kam es, dass ich kurz darauf einen kleinen, sehr überfüllt-verrauchten Schankraum in einem Hinterhof betrat aus dem zwischen all den Fahnen frenetische eviva espagna-Gesänge von Vertretern allerlei Geschlechts angestimmt wurden.

In meiner elterlichen Wohnung hing lange Zeit eine Spanierin über der senfgelben Ledercouch, die mein Vater stets und mir unerklärlich nur „Dolores“ nannte. Irgendetwas womöglich Anrüchiges mag hier vorgefallen sein zwischen meinen Eltern auf einem ihrer zahllosen Spanienurlaube bevor sie auch nur daran dachten mich zu zeugen. Jedenfalls hatte „Dolores“ wallend-lange, lockig schwarze Haare, herausfordernd schwarze Augen, in den sonnengebräunten erhobenen Händen hielt sie die obligatorischen Kastagnetten, an der sehr weißen, frisch gestärkten Rüschen-Bluse war für den Geschmack der sechziger Jahre ein Knopf zu viel geöffnet und ein verheißungsvoll-feurig roter Rock komplettierte die erotisch aufgeladene Exotik der Szene.

Kaum in der Hinterhofkneipe angekommen wurde ich auch schon ebenso freudig begrüßt wie getröstet. Eine Mütze wurde eilig herbeigeschafft, die eine gewisse Ähnlichkeit aufwies mit der des ewig trommelnden Manolos nur dass diese in den spanischen Landesfarben gehalten war. Eine Frau, die sich als Rosalia vorstellte, wickelt mir mehrfach und überaus sorgfältig einen Fanschal um den Hals grade so als gelte es zu verhindern, dass ich die falschen Schlachtrufe skandiere was schon allein wegen der Tatsache, dass ich außer Olé, Olé Olé gar keine kenne, sehr überflüssig war.

Jimenez, ein zur Glatze neigender stark untersetzter Herr mittleren Alters drückte mir zur Begrüßung ein Glas Rotwein in die Hand: Das sei, schreit er mir kraftvoll ins Ohr, ein Rioja aus seinem Heimatdorf. Hier lässt es sich trefflich feiern denke ich den Fanschal lockernd und mache mich auf drei weitere Rote zu holen. Im Raum, der keine vierzig Quadratmeter groß ist, stehen und sitzen an die fünfzig Fans, laut gestikulierend und Fahnenschwingend. Warum ist Torres eigentlich dermaßen blond? Zur Stärkung und weil es der Wahrheitsfindung dienen könnte, trinke ich an der Theke noch einen doppelten Brandy bevor ich mich mit den Gläsern zurückbegebe - schon etwas angetrunken wie ich erstaunt feststelle was zweifellos der freundlich emotionalen Atmosphäre geschuldet ist.

Einige Gläser später – Jimenez und ich wechselten uns tapfer ab bei unseren Thekengängen die zunehmend unsicherer werden – bemerke ich erstaunt, dass Rosalia eine sehr weiße, frisch gestärkte, Rüschen-Bluse trägt, die mir vorher gar nicht aufgefallen ist. Wir trinken darauf einen doppelten Brandy. Der Gomez hat einen spanischen Vater? Als ich mit allerlei Gläsern von der Theke komme sehe ich Rosalias feurig roten Rock. Hatte die vorher nicht eine schwarze Hose an? Warum liegt denn jetzt der Ballack da rum, sollte der nicht spielen? Jimenez und ich stützen uns etwas, der Raum wogt freudig erregt. Moral und Willensstärke hätten sie doch die Deutschen wird mir ins Ohr gemurmelt von Dolores. Hieß die nicht früher einmal anders? Klinsmann scheint unzufrieden mit dem Verlauf. Noch ein Glas könne man allemal trinken ermutigt mich Jimenez und die schwarzäugige Dolores pflichtet - während Jimenez einen Famenco-Tänzer imitierend schon Richtung Theke torkelt - bei, dass so ein Tag ja gewiss so schnell nicht wiederkehren würde und legt mir ihre braungebrannten Hände um meine schwankende Hüfte.

Der Abpfiff, eine wimpernschlaglange Stille, dann ein infernalisches Aufheulen und kehliges Gröhlen. Ich ertappe mich dabei wie ich Olé, Olé Olé brüllend versuche Dolores auf meine Schultern zu heben. Die Raumhöhe aber auch der Grad meiner Alkoholisierung sind überzeugende Argumente dagegen. Ermattet sinke ich auf eine senfgelbe Ledercouch, stand die schon immer hier? Der Raum dreht sich, nein scheint zu schunkeln, wallend-lange, lockig schwarze Haare von Dolores schmiegen sich an meine Brust. Willensstärke. Jimenez bringt mir lachend ein Glas Wein, Jimenez schunkelt, nein der Raum, er schwingt nach vorne und zurück. Die Merkel gratuliert dem König. Der Raum schwingt, ich bewege mich nicht, die Kastagnetten gleiten zu Boden, der Raum schwingt, immer weiter, immer weiter. Olé, Olé Olé. Ob ich meinen Vater die Tage mal nach seiner Dolores frage?

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