Abweisung und Rechtfertigung des Leides



[Buster: Als einmal ganz viele Säulen den Blick versperrten, 2006]

„Die Zeit verzehrt die Kinder der Zeit“ schreibt Kierkegaard in seiner ‚Abweisung und Rechtfertigung des Leides’ und alljährlich wiederkehrend im Herbst spielt sich bei mir eine Miniaturgroteske ab: Im Gegensatz zum Frühjahr stelle ich die Uhren in meiner Wohnung nicht um. So kommt es, dass ich mich jedes Mal beim Anblick einer Uhr kindlich über die „zurückgegebene“ Stunde freue. Das geht rund einen Tag wirklich gut und jede Uhr in meiner Wohnung führt zur kurzfristigen Erheiterung und transformiert mich zum glucksend-blubbernden Siebenjährigen und auch Kierkegaard gibt mir recht: „Nur vom Verwandelten können Verwandlungen ausgehen“.

In der zweiten Phase und die kommt in aller Regel nach spätestens 24 Stunden, bin ich schon nicht mehr in der Lage zu differenzieren zwischen umgestellten Uhren im öffentlichen Raum und den nicht umgestellten Uhren in meiner Wohnung. Die Folge ist unausweichlich: Ich stelle zurückgestellte Uhren im Geiste nochmals zurück und verpasse Züge, stehe vor geschlossenen Supermärkten und verpasse am Ende sogar die Telenovela. „Die Wahrheit ist immer in der Minderheit“ versuche ich mich mit Kierkegaard zu beruhigen aber Verwirrung verbreitert sich klebrigzähausdauernd und führt schließlich unausweichlich und alljährlich unerbittlich zur letzten Phase.

„Es ist Talent nötig zum Zweifeln, aber es ist schlechterdings kein Talent nötig zum Verzweifeln“ nennt das Kierkegaard und ich trau bereits keiner Uhr mehr: Insbesondere nach dem Aufstehen kann ich minutenlang eine Uhr anstarren und stelle im Geiste mehrfach die Uhr vor und zurück bis ich schließlich kapituliere. Dann gebe ich mich dem Alkohol hin, stelle alle neun Uhren im Haushalt mehrfach um als gelte es die Weltzeit abzubilden und lese immerfort Kierkegaards ‚Abweisung und Rechtfertigung des Leides’. Und - was soll ich sagen - tatsächlich, so ist das:

„Ein einzelner Mensch kann einer Zeit nicht helfen oder sie retten, er kann nur ausdrücken, dass sie untergeht“.

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