Das Wohnen der ganz Anderen

Ich treffe die Immobilienmaklerin an der Eingangstüre der selbstredend „sehr gepflegten Wohnanlage“. Auf der von ganz und gar „üppigem Grün“ umbrandeten, „idyllisch gelegenen“, Parkbank neben der Haustüre sitzen vier Männer im vorgerückten Alter und lassen – es ist ja schon nach Mittag – einen Karton sicher ganz erlesenen Vin de Pay kreisen und haben Frau Inge K. wie sie da so steht in einem arg hellblauen Kostümchen schon mehrfach angeboten, doch Platz zu nehmen und mitzutrinken. Sie ist daher auch etwas erleichtert als ich komme und redet wie in einer Endlosschleife auf mich ein was das für eine „hervorragende Immobilie“ ist und doch so gleichermaßen „zentral wie ruhig“, „hell und gemütlich“, „exklusiv wie bezahlbar“. Nur beim Wort „exklusiv“ hat sie kaum wahrnehmbar gestockt und lässt den Blick kurz schweifen zwischen den Trinkern zur Rechten der Einganstüre und einem Sperrmüllhaufen zur Linken der dort wohl schon eine Weile liegt. Aber dann gewinnen die vermutlich zahlreichen Vertriebsschulungen wieder die Oberhand und ihr unaufhaltsamer Redeschwall setzt erneut an.

Und wäre sie nicht so arg hellblau kostümiert und hätte sie dazu nicht überaus ridiküle, flammend rote, sehr hohe High Heels und eine gleichfalls rote Aktentasche in Krokolook kombiniert, hätte ich schon längst beigedreht, wohl wissend, dass das nicht meine Heimat werden wird. Aber nun, da sich die rot-hellblaue Inge K. mit solcher Wucht und Liebe zum Detail vorbereitet hat, will ich dann doch nicht vorzeitig die Segel strecken und nicke ihr vielleicht etwas zu sehr aufmunternd zu. Der Flur ist überladen mit Fahrrädern, Kinderwagen und erneutem Sperrmüll kaum passierbar. Die Maklerin schwärmt davon, wie praktisch es ist, dass man hier „sein Fahrrad sicher aufbewahren kann“ als sie grad eines passiert dass offensichtlich als Abenteuerspielplatz benutzt und bis zur Unkenntlichkeit verbogen wurde. Auch vom „Außer Betrieb-Schild“ am Aufzug lässt sie sich nicht aus der Ruhe bringen und sie redet, während wir im offensichtlich selten gereinigten Treppenhaus von dessen Wänden handtellergroße, olivgrüne Platten abblättern, sechs Stockwerke erklimmen, weiter immerfort auf mich ein und zählt nicht vorhandene Vorteile der Lage auf.

Es öffnet uns eine rund dreißig Jahre alte, müde dreinblickende, Frau in einer obszön-geblümten Hausschürze und altrosafarbenen Pantoffeln. Unter ihrem grünlichen Kopftuch sind Lockenwickler zu erkennen, im linken Arm hält sie ein Kleinkind. Sie lässt uns nicht grade freundlich herein und sagt, wir sollten uns alleine umsehen, sie habe zu tun, setzt sich vor einen überdimensionalen Plamafernseher aus dem irgendeine Talkshow wummert und zündet sich eine Zigarette an.

Die rot-hellblaue Inge K tänzelt um das am Boden verstreute Leergut und Altpapier dabei erwähnend dass die Wohnung selbstverständlich noch mal weiß gestrichen werde und die Fenster vor grade mal fünfzehn Jahren erneuert wurden. Demnächst würde, versucht sie sich in ganz verbindlichem Ton, auch eine Wärmedämmung der Fassade erfolgen, dann sei aber alles „pikobello“ betont sie und reckt zufrieden mit dieser Formulierung das Kinn nach vorne. Ich versuche unterdessen den „großzügigen Sonnenbalkon“ zu betreten der, keine vier Quadratmeter groß, Lagerstätte für Leergut und gelbe Säcke ist. Die Nachbar rechts scheint auf seinem zusätzlich noch seinen Müll zwischenzulagern, der links hat als Sichtschutz notdürftig eine Bretterwand errichtet die still klagend vor sich hin schimmelt und dafür sorgt, dass auch wirklich gar keine Sonne ankommen kann. Als sie meinen Blick auffängt, lächelt sie ihr unverbindliches Maklerlächeln und gibt zuversichtlich zu bedenken, dass man da sicher noch einmal mit dem Nachbar reden könne, das sei hier ja eine „unglaublich tolle Hausgemeinschaft“ flötet sie noch hinterher. Als dann noch ein Mann in Unterhemd und Bierflasche aus dem Schlafzimmer kommt und die vor sich hin rauchende Frau sehr laut anraunzt, was für ein störendes Pack sie denn da eingelassen habe, schlage ich der rot-hellblauen Inge K sehr bestimmt vor, dass wir an dieser Stelle abbrechen könnten.

Sie zuckt nur ganz kurz die Schultern und bringt damit einen Augenblick recht unmissverständlich zum Ausdruck, das dieser Vorschlag sie jetzt nicht ganz unvorbereitet treffen würde. Und als sie im Hinausgehen nochmals einen letzten verzweifelten Anlauf machen will und erklärt dass „die Eigentümergemeinschaft beschlossen habe Maßnahmen zu ergreifen um“, da falle ich ihr freundlich aber entschieden ins Wort weil das doch jetzt zuviel wird. Und während ich noch überlege, ob ich zur Würdigung der allgegenwärtigen Finanzkrise mich ein halbes Stündchen zu den vier Herren auf der Parkbank gesellen sollte um etwas über alte Zeiten zu plaudern, stelle ich enttäuscht unten angekommen fest, dass die vier bis auf einen, der nun schlafend auf der Bank liegt, alle verschwunden sind. Der leere Karton liegt neben anderen, hier also, werde ich nicht wohnen, nicht reden, nicht trinken.

„Den Hunger nennt ihr Liebe,
und wo ihr nichts mehr seht,
da wohnen eure Götter.“

[Hölderlin: Hyperion, 1794]
huflaikhan - 11. Okt, 22:17

Das iste irgendwie ganz traurig auch und in allem so kurios; man weiß nicht so recht.

endlich aber mal zeit gefunden zu haben, in den blogs der anderen zu lesen, tut auch wirklich richtig gut.

BusterG - 12. Okt, 01:41

Das ganz und gar ...

... Unglaubliche ist, dass hier gar keine "künstlerischen Freiheiten" im Spiel waren und alles grad so war, wie im Prekariats-Kinofilm erwartet!
VierlagigeRastung - 12. Okt, 23:49

das ist jetzt

aber wirklich ganz und gar unglaublich bei so einer klischee-ansammlung

BusterG - 13. Okt, 00:41

Sag ich doch!

Unglaublich aber so war das: Mitten in Köln-Sülz.

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