Kleine Reise
"Ich hatte mich mehr als vier Monate lang den wildesten und schädlichsten nächtlichen Ausschweifungen ergeben, denen ein Mensch unterliegen kann, wenn die natürliche Anlage zum Laster des Arbeitens bei ihm mächtiger ist als die Gabe bedachtsamen Maßhaltens. Es war so weit gekommen, daß ich früh um acht ins Bett ging und nachmittags um vier aufstand. Mitternacht war für mich Mittag geworden, und ich vernahm sowohl die nächtlich schluchzende Nachtigall wie die morgendlich tirilierende Lerche, nicht zu vergessen das biedere Käuzchen, das so seltsam klagt, wenn es verliebt oder hungrig ist. So viel Musik geht auf die Nerven. Ein guter Freund drückt mir ein Köfferchen und etwas Reisegeld in die Hand, zitierte die Lehren von Nervenärzten der verschiedensten wissenschaftlichen Ueberzeugungen, die aber alle darauf hinausliefen, daß der Mensch in der Nacht schlafen soll, und setzte mich mit diesen Worten vor die Tür:
Fahre wohl! – Wieso? fragte ich; ich sehe kein Automobil, und ich würde mich selbst Lügen strafen, wenn ich mit der Eisenbahn reiste. Ich bin doch kein Frachtstück. – Du sollst auch nicht zu deinem Vergnügen, sondern zur Strafe reisen, antwortete der grausame Freund, und außerdem macht es einen besseren Eindruck, wenn du mit der Eisenbahn fährst. Die dritte Klasse wird am wenigsten übelgenommen."
Und so weiter
[Otto Julius Bierbaum: Kleine Reise, 1908]
Fahre wohl! – Wieso? fragte ich; ich sehe kein Automobil, und ich würde mich selbst Lügen strafen, wenn ich mit der Eisenbahn reiste. Ich bin doch kein Frachtstück. – Du sollst auch nicht zu deinem Vergnügen, sondern zur Strafe reisen, antwortete der grausame Freund, und außerdem macht es einen besseren Eindruck, wenn du mit der Eisenbahn fährst. Die dritte Klasse wird am wenigsten übelgenommen."
Und so weiter
[Otto Julius Bierbaum: Kleine Reise, 1908]
BusterG - 16. Sep, 12:19