wohlfeil

Samstag, 11. Oktober 2008

Das Wohnen der ganz Anderen

Ich treffe die Immobilienmaklerin an der Eingangstüre der selbstredend „sehr gepflegten Wohnanlage“. Auf der von ganz und gar „üppigem Grün“ umbrandeten, „idyllisch gelegenen“, Parkbank neben der Haustüre sitzen vier Männer im vorgerückten Alter und lassen – es ist ja schon nach Mittag – einen Karton sicher ganz erlesenen Vin de Pay kreisen und haben Frau Inge K. wie sie da so steht in einem arg hellblauen Kostümchen schon mehrfach angeboten, doch Platz zu nehmen und mitzutrinken. Sie ist daher auch etwas erleichtert als ich komme und redet wie in einer Endlosschleife auf mich ein was das für eine „hervorragende Immobilie“ ist und doch so gleichermaßen „zentral wie ruhig“, „hell und gemütlich“, „exklusiv wie bezahlbar“. Nur beim Wort „exklusiv“ hat sie kaum wahrnehmbar gestockt und lässt den Blick kurz schweifen zwischen den Trinkern zur Rechten der Einganstüre und einem Sperrmüllhaufen zur Linken der dort wohl schon eine Weile liegt. Aber dann gewinnen die vermutlich zahlreichen Vertriebsschulungen wieder die Oberhand und ihr unaufhaltsamer Redeschwall setzt erneut an.

Und wäre sie nicht so arg hellblau kostümiert und hätte sie dazu nicht überaus ridiküle, flammend rote, sehr hohe High Heels und eine gleichfalls rote Aktentasche in Krokolook kombiniert, hätte ich schon längst beigedreht, wohl wissend, dass das nicht meine Heimat werden wird. Aber nun, da sich die rot-hellblaue Inge K. mit solcher Wucht und Liebe zum Detail vorbereitet hat, will ich dann doch nicht vorzeitig die Segel strecken und nicke ihr vielleicht etwas zu sehr aufmunternd zu. Der Flur ist überladen mit Fahrrädern, Kinderwagen und erneutem Sperrmüll kaum passierbar. Die Maklerin schwärmt davon, wie praktisch es ist, dass man hier „sein Fahrrad sicher aufbewahren kann“ als sie grad eines passiert dass offensichtlich als Abenteuerspielplatz benutzt und bis zur Unkenntlichkeit verbogen wurde. Auch vom „Außer Betrieb-Schild“ am Aufzug lässt sie sich nicht aus der Ruhe bringen und sie redet, während wir im offensichtlich selten gereinigten Treppenhaus von dessen Wänden handtellergroße, olivgrüne Platten abblättern, sechs Stockwerke erklimmen, weiter immerfort auf mich ein und zählt nicht vorhandene Vorteile der Lage auf.

Es öffnet uns eine rund dreißig Jahre alte, müde dreinblickende, Frau in einer obszön-geblümten Hausschürze und altrosafarbenen Pantoffeln. Unter ihrem grünlichen Kopftuch sind Lockenwickler zu erkennen, im linken Arm hält sie ein Kleinkind. Sie lässt uns nicht grade freundlich herein und sagt, wir sollten uns alleine umsehen, sie habe zu tun, setzt sich vor einen überdimensionalen Plamafernseher aus dem irgendeine Talkshow wummert und zündet sich eine Zigarette an.

Die rot-hellblaue Inge K tänzelt um das am Boden verstreute Leergut und Altpapier dabei erwähnend dass die Wohnung selbstverständlich noch mal weiß gestrichen werde und die Fenster vor grade mal fünfzehn Jahren erneuert wurden. Demnächst würde, versucht sie sich in ganz verbindlichem Ton, auch eine Wärmedämmung der Fassade erfolgen, dann sei aber alles „pikobello“ betont sie und reckt zufrieden mit dieser Formulierung das Kinn nach vorne. Ich versuche unterdessen den „großzügigen Sonnenbalkon“ zu betreten der, keine vier Quadratmeter groß, Lagerstätte für Leergut und gelbe Säcke ist. Die Nachbar rechts scheint auf seinem zusätzlich noch seinen Müll zwischenzulagern, der links hat als Sichtschutz notdürftig eine Bretterwand errichtet die still klagend vor sich hin schimmelt und dafür sorgt, dass auch wirklich gar keine Sonne ankommen kann. Als sie meinen Blick auffängt, lächelt sie ihr unverbindliches Maklerlächeln und gibt zuversichtlich zu bedenken, dass man da sicher noch einmal mit dem Nachbar reden könne, das sei hier ja eine „unglaublich tolle Hausgemeinschaft“ flötet sie noch hinterher. Als dann noch ein Mann in Unterhemd und Bierflasche aus dem Schlafzimmer kommt und die vor sich hin rauchende Frau sehr laut anraunzt, was für ein störendes Pack sie denn da eingelassen habe, schlage ich der rot-hellblauen Inge K sehr bestimmt vor, dass wir an dieser Stelle abbrechen könnten.

Sie zuckt nur ganz kurz die Schultern und bringt damit einen Augenblick recht unmissverständlich zum Ausdruck, das dieser Vorschlag sie jetzt nicht ganz unvorbereitet treffen würde. Und als sie im Hinausgehen nochmals einen letzten verzweifelten Anlauf machen will und erklärt dass „die Eigentümergemeinschaft beschlossen habe Maßnahmen zu ergreifen um“, da falle ich ihr freundlich aber entschieden ins Wort weil das doch jetzt zuviel wird. Und während ich noch überlege, ob ich zur Würdigung der allgegenwärtigen Finanzkrise mich ein halbes Stündchen zu den vier Herren auf der Parkbank gesellen sollte um etwas über alte Zeiten zu plaudern, stelle ich enttäuscht unten angekommen fest, dass die vier bis auf einen, der nun schlafend auf der Bank liegt, alle verschwunden sind. Der leere Karton liegt neben anderen, hier also, werde ich nicht wohnen, nicht reden, nicht trinken.

„Den Hunger nennt ihr Liebe,
und wo ihr nichts mehr seht,
da wohnen eure Götter.“

[Hölderlin: Hyperion, 1794]

Donnerstag, 21. August 2008

Metzingen, OGUH SSOB!

080820_76

[B.C. Buster: Inside - Outside #07, 2008]

Metzingen, das kracht!


Also die hier
Die musste doch haben!
Nimm gleich die große -
Tütenbunt glibberts.
Das gibtet nur hier:
Das Metzingen, OGUH SSOB!

Abstoßpreise, alles versellen,
Kontensorgen handzahm.
Rabatte krachledern siegesgewiss
Durchs Milchglas geifern
Wühltischfrisuren tagträumend
Von Metzingen, OGUH SSOB!

Zweite Wahl das,
erstklassig natürlich.
Rabattschweigen
Ramscht wohlig zufrieden.
Palettenweise: Schnäppchenpreise
Bei Metzingen, OGUH SSOB!

Jetzt kauf doch!
Buy one, feel two.
Sei Sales be Outlet.
Schluss Verkauf jetzt.
Jetzt kauf doch (raunts dir im Ohr).
In Metzingen, OGUH SSOB!

Warte mal hier du
Nur kurz noch dortrüber
Prozentweich schnürsenkelts
Davon und spart stündlich
Unsägliche Summen
Durch Metzingen, OGUH SSOB!


080820_900

[B.C. Buster: Inside - Outside #12, 2008]

Freitag, 30. November 2007

Chapel Street



[Chapel Street, Dublin. Buster 2007]

Mittwoch, 21. November 2007

The Big Issues



[Pigeon House Road, Dublin 2007]

Sonntag, 15. Juli 2007

In Dänemark



[Internetlos in Hirtshals, Dänemark, Juli 2007}

Mittwoch, 31. Januar 2007

In der Badeanstalt

Köpfe glatzen
Bäuche blähen
Latschen knartzen
Haar verweist

Günter netzert
Johann lafert
Stirne tropfen
Handtuchfern

Nägel gilben
Düsen walken
Meersalz totes
Brillenblind

Ärsche wogen
Schwänze kräuseln
Titten wippen
Salzaufguss

Füße kneipen
Wechselbäder
Froilein hörnse
Nochn Bier

Montag, 15. Januar 2007

Schmonzette der Woche



[Buster: Letzte Sonne am Wasserturm - eine richtig kitschige Schmonzette, 2007]

Montag, 20. November 2006

Als das Ferntonkino einmal fast nicht erfunden wurde ...

Am 20.11.1928 nahm der Sender Königs Wusterhausen bei Berlin das Bildfunkverfahren auf und eröffnete damit wenig rühmlich das Zeitalter des Deutschen Fernsehens. Fehlendes Konzept wie auch das überaus mäßige Interesse führten allerdings gut ein Jahr später wieder zur Einstellung des Versuchsbetriebes.

So hätte es bleiben sollen, und alle Einschlafquoten wären Geschichte. Weiß doch ein italienisches Sprichwort: „Das Radio ist eine Art verbessertes Fernsehen, weil nur noch der Ton übertragen werden muss.“ 1929 begann aber fahrlässiger Weise das Reichspostzentralamt erneut mit der Ausstrahlung von Versuchssendungen, ein Jahr später kamen erste vollständige Fernsehgeräte auf den Markt, die vielversprechend „Ferntonkino“ oder „Telehor“ genannt wurden. Es begann das, was nach Luhmann die Kommunikationsmedien definiert:

„… diejenigen evolutionären Errungenschaften, die an jenen Bruchstellen der Kommunikation ansetzen und funktionsgenau dazu dienen, Unwahrscheinliches in Wahrscheinliches zu transformieren.“ [Luhmann: Soziale Systeme, 220] und letztendlich dazu führt, dass mir Menschen im Ferntonkino heute um 14:40 Uhr von ihren 26 Piercings im Intimbereich und der unklaren Vaterschaft von sechs Kindern erzählen, nur weil ich mich gefreut habe einmal fünfzehn Minuten weder Kerner noch Beckmann zu sehen. So kommt das.

Wer heute nicht mehr hinschauen mag, stöbere in den Materialien zur Geschichte des Fernsehens auf Histoire de la Television, ich bleibe unerbittlich am Ball und werde heute ausnahmsweise mal zur frühen Stunde belohnt. Ab morgen ist dann bezüglich der Startzeiten wieder alles wie gehabt und „Mies vailla menneisyytta“, soviel verrate ich schon mal, endet mit diesem unvergesslichen Dialog: „Ich hatte Angst, du kommst nie wieder”. „Grundlos“.

Dienstag, 31. Oktober 2006

Busters brillante ...

Busters brillante Business-Bläne (Teil 246.):
Echthaarverkürzung: Pro Strähne nur 50 Cent

Samstag, 2. September 2006

Die kleine Anfrage: Baudelaire …

Frau Polly fragte an und ich möchte lösen:

A une passante

La rue assourdissante autour de moi hurlait.
Longue, mince, en grand deuil, douleur majestueuse,
Une femme passa, d'une main fastueuse
Soulevant, balançant le feston et l'ourlet ;

Agile et noble, avec sa jambe de statue.
Moi, je buvais, crispé comme un extravagant,
Dans son oeil, ciel livide où germe l'ouragan,
La douceur qui fascine et le plaisir qui tue.

Un éclair... puis la nuit ! - Fugitive beauté
Dont le regard m'a fait soudainement renaître,
Ne te verrai-je plus que dans l'éternité ?

Ailleurs, bien loin d'ici ! trop tard ! jamais peut-être !
Car j'ignore où tu fuis, tu ne sais où je vais,
Ô toi que j'eusse aimée, ô toi qui le savais !

[Charles Baudelaire, A une Passante. Recueil : Les fleurs du mal]

Zu finden beispielsweise bei Poésie francaise und der - vermutlich auch „Olle“ - Stefan George übersetzt das (zum Beispiel hier) dann so:

EINER VORÜBERGEHENDEN

Es tost betäubend in der strassen raum.
Gross schmal in tiefer trauer majestätisch
Erschien ein weib - ihr finger gravitätisch
Erhob und wiegte kleidbesatz und saum

Beschwingt und hehr mit einer statue knie.
Ich las - die hände ballend wie im wahne
Aus ihrem auge (heimat der orkane):
Mit anmut bannt mit liebe tötet sie.

Ein strahl ... dann nacht! o schöne wesenheit
Die mich mit EINEM blicke neu geboren
Kommst du erst wieder in der ewigkeit?

Verändert - fern - zu spät - auf stets verloren!
Du bist mir fremd - ich ward dir nie genannt
Dich hätte ich geliebt - dich die's erkannt.

[Charles Baudelaire, A une Passante. Übersetzung Stefan George]

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