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Donnerstag, 16. Oktober 2008

Fiktion und F.cken - ein Diskurs zur Gegenwartspoetik

Im Herbst, wenn die Abende schon dunkel werden und es noch warm ist kommt meine Zeit herumzustreunen zwischen schwarzverhangenen, scheinbar längst verlassenen Häuserschluchten der Stadt. Die Uhrzeit ist weniger wichtig, nur dunkel und still muss es sein; das kreischende Treiben wie auch tosende Geschäftstüchtigkeit zwischen fallendem Laub ist mir höchst widerwärtig beim nächtlich-menschenscheuen Spazieren gehen. Als Kontrastprogramm und damit ich nicht zum weltmüden Eremit verkomme zwinge ich mich anschließend in die lärmende Altstudentenkneipe, trinke ein paar Gläser Merlot zur Nervenberuhigung und beobachte zunehmend gelassener was rings um mich geschieht.

Jonny M. ist ein unglaublich cooler Schriftsteller. Die schwarze, speckig glänzende weil in die Jahre gekommene Lederhose hängt dank einem handbreiten Gürtel mit Harley-Chromschnalle locker an seinen bulemisch hervorstehenden Hüftknochen, sein gebeugt-dürrer Oberkörper richtet sich auf wenn er glaubt beobachtet zu werden und sieht doch ganz verloren aus in dem verschwaschenen schwarzen Toten-Hosen T-Shirt Größe XL. Das Haar ungewaschen, beginnt grau zu werden und ist zu einem etwas lieblos geformten Pferdeschwanz gebunden. Wenn er nüchtern ist, was sehr selten der Fall ist, leuchten seine Augen in einem klaren Grün zwischen einer majestätisch hervorspringenden Hakennase. Das stark fliehende Kinn will freilich gar nicht zu seinem selbst gewählten Image passen und auch sein bürgerlicher Name 'Johann Berthold Mies' klingt nicht ganz so cool wie er's gerne hätte. Aber mit dem neuen Künstlername wird das schon klappen, alle und insbesondere natürlich er sind da ganz zuversichtlich. Veröffentlicht hat er zwar noch nichts, aber die Zeit und die Frankfurter hätten schon die Veröffentlichung einer Kurzgeschichte zugesagt, betont er ausgesprochen häufig und seit Wochen. Alles nur noch eine Frage der Zeit also bis Jonny M. zum Bestsellerautor wird.

Wenn er halbwegs nüchtern ist fährt er Taxi. Seine unveröffentlichte, aber vielfach erzählte, Kurzgeschichte handelt von Joschka Fischer. Der sei, so berichtet er allabendlich und auch gerne mal mehrfach, zu ihm ins Taxi gestiegen und er soll zu dem dicken Fischer gesagt haben: „Für so ein Bastard von Kriegstreiber wie dich fährst dieses Taxi nicht“. Cool, ganz cool hat der Jonny M. das gesagt, wird er nicht müde uns immer wieder zu versichern und dann: „Ihr könnt ja die Geschichte demnächst in der Zeit lesen“. Ganz und gar cool der Jonny M. Anderntags wird es wieder die FAZ sein, aber dies sind nur winzige Irrlichter auf dem Weg zum Erfolg und in die Spiegelbestsellerliste. Und die allabendlich ergebenen Zuhörer nicken im neidischen Takt gegen ein Gitarrenriff, das betäubend aus den Boxen zu wummern anhebt. Gibt schon noch Männer, steht in unseren bewundernden Mienen geschrieben, ganz coole. Und er breitet leicht kopfschüttelnd die Hände aus und lässt sie mit theatralisch stockender Geste ganz langsam wieder auf die Tischplatte sinken und wir fühlen uns verpflichtet wiederum zu nicken, trotzig und anerkennend: Gibt schon noch Männer und wie auf ein Stichwort schiebt die Frau neben Jonny paarungsbereit ihre machtvollen Reize weiter an den großen Poeten heran. Die einstudierten Gebärden des Erzählers funkeln die andächtig Lauschenden an und mehrfach billigendes Nicken setzt erneut seine Hände in Bewegung - Er reibt sie sich grade so als ob er damit die Geschichte zu Ende erzählen müsste, aber sie war ja schon beendet. Sie ist ja doch eine eher kurze Kurzgeschichte, die ja demnächst veröffentlicht werden wird.

Zwischen den Vorträgen seiner Kurzgeschichte übt es sich schon mal darin sich bewundern zu lassen und vor Publikum zu dozieren. Heute scheint er groß in Form und die Frau neben mir raunt mir genervt ins Ohr, dass er seine Geschichte in den letzten zwei Stunden bereits dreimal vorgetragen habe, zuletzt sei gar keiner mehr zum Zuhören bereit gewesen was er zornig mit der Bestellung von mehreren doppelten Tequila quittierte und dabei „Schwachköpfe, Ignoranten“ gezischt haben soll. Jedenfalls scheint er nun wieder hinreichend inspiriert zu sein denn kaum nicke ich ihm bei meinem zweiten Glas zu, brüllt er „die Fiktion entlarvt unsere Erfahrung der Realität!“ in meine Richtung. Speichel sprüht über mehrere Trinker vor ihm und er muss sich mit seiner linken Hand am Stehtisch abstützen, ganz benommen von Bier, Schnaps und der drückenden Last der tiefgründigen Worte. Kurz hört er den Worten nach und schaut mit irrem Raubtierblick in die kleine Runde, ganz so als zähle er die Zuhörer die ihm nun noch folgen können. „Wer sagt das?“ frage ich ihn bemüht lakonisch von der Theke her und muss wegen eines aufheulenden Gitarrensolos von Gallagher lauter werden als es der scheinbar gelassenen Stimmung gut tut. „Ich sag dir das du pseudointellektueller Kretin, klar? Fiktion, das entlarvt einfach“ und nach kurzer Pause hebt er zur gewagten Steigerung an „Fiktion und Ficken, das entlarvt sag ich dir.“. Er wackelt mit dem Kopf als gelte es die dröge Realität abzuschütteln um zur Fiktion oder wenigsten zum Ficken emporzusteigen und sein grauer Pferdeschwanz vollzieht die Bewegung mit, er hat sich etwas aufgerichtet, um eine drohende Haltung anzunehmen, besinnt sich aber noch nüchtern genug eines besseren da ich ihn um zwei Köpfe überrage.

Und während ich noch grüble wie er zu diesem Ziatat kommt bemerke ich übertrieben lässig „das Zitat ist wirklich gut und von Max Frisch. Aber schön, dass Du dir so was merken konntest“ dabei das ‚Du’ provokativ zu lang betonend. Er scheint noch nüchtern genug um dies zu merken, amtet schwer, hässlich und stoßweise wie ein wundes Tier, seine Stimme überschlägt sich im Falsett, er geifert zurück, „Pisser, was redst Du fürn Scheiß!“. Erneut scheint er zu überlegen, ob er aufbrausend werden soll, entscheidet sich aber dann scheinbar einer Eingebung folgend für eine freilich arg wackelige Variation der rhodinschen Position „Der Denker“, dabei ist er sichtlich bemüht nicht vom Barhocker zu fallen und scheint gerade einzunicken, als er noch einmal aufschreckt und zu mir gewandt im überraschend dozierend-pomadigen Ton anhebt: „Ich bin Schriftsteller, du Arsch, ich kenn mich aus. Und der Frisch ist auch ein Schriftsteller.“ „Alles klar, Jonny“, versuche ich ihn zu beruhigen, „ihr seid doch beide Schriftsteller, alles klar doch“. Und dann legte er sich auf die Bank im hinteren Teil der Kneipe und war auch gleich eingeschlafen und die wenigen, die er bislang noch nicht vertrieben hatte, wollten mir dringend einen ausgeben dafür, dass nun endlich Ruhe ist mit dem großen Poeten Johann Berthold Mies – zumindest für diesen Abend und morgen käme dann ja eh seine Veröffentlichung.

„Die Wahrheit kann man nicht beschreiben, nur erfinden.“
[Max Frisch: Schwarzes Quadrat: Zwei Poetikvorlesungen, 2008]

Montag, 6. Oktober 2008

Das Haus und die Rossgeister

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[Atelier Van Lieshout: Bonnefantopia, 2003]

Joep van Lieshout gründete vor dreizehn Jahren in Rotterdam das Atelier Van Lieshout (AVL), und seitdem arbeitet die Künstlergruppe an der Schnittstelle von Kunst, Design und Architektur. Im Ludwig Forum für Internationale Kunst in Aachen ist unter dem Titel „Das Haus“ noch bis Januar eine umfassende Werkschau zu sehen.

Das kürzlich im Folkwang-Museum gezeigte Projekt Slave City war freilich noch beeindruckender weil es einen starken ganzheitlichen Ansatz verfolgte, dennoch ist die Werkschau sehr sehenswert.

Und wenn man schon in Aachen ist, dann sollte man unbedingt auf den “Teufelsberg” genannten Lousberg gehen und die vergängliche Installation von Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger bestaunen die dort schaurig schön die Rossgeister durch das Eibenwäldchen reiten lassen.

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[Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger: Die Rossgeister vom Lousberg, 2008]

Sonntag, 5. Oktober 2008

Das Wohnen der Anderen

„Dies könnte Ihr neues Zuhause sein“. Immobilienmakler sind, ich habe meine diesbezügliche Abneigung hier wohl schon angesprochen, die Blondinen der Kohlenstoffwelt aber wer das Pech hat, auf Wohnungssuche zu sein, begegnet Ihnen bis zur Schmerzgrenze. Deren lyrische Ergüsse peinigen mich grade weit über diese hinaus: Stets gut geschnittene Wohnungen, eine regelrechte Stadtoase in Traumlage, mit tollem Ambiente, in einem Häuser-Ensemble, in hoher Wohnqualität und ebenso zentraler wie ruhiger Innenstadtnähe, umgeben von selbstredend jederzeit üppigem, absolut ruhigem, idyllischem Grün, in stets gepflegtem Mehrfamilienhaus durch Verkehrsberuhigungsmaßnahmen eine zusätzliche Aufwertung erfahrend und dennoch eine eigene Infrastruktur vorweisend. Ruhig schlafen könne ich da, wird mir sehr vorschnell versichert, vom immer zentral gelegenen Flur gelangt man in den großen, schicken, hellen Wohnraum und von dort auf den grundsätzlich schönen, geschützten Sonnenbalkon.

Sülz, Nikolausstraße, 2 Zimmer, Küche, Diele, Bad: Als ich Karl wieder traf, wir haben sehr früher beide manche Wochenenden in Gorleben verbracht - die uralten Revoluzzergeschichten eben. Und plötzlich steht er vor mir noch immer hoch aufgeschossen und ausnehmend schlacksig im schlecht sitzenden, ziemlich blauen Anzug und undefinierbar gelbem Hemd das er mit einer abgrundtief scheußlich gestreift-bunten Krawatte kombiniert hat die aussieht als habe Tante Mimi ihm die herausgelegt. Immobilienmakler sei er nun da er ein Rückenproblem habe und er habe sich zwei Tage Bedenkzeit ausgebeten „ob man das tun könne“ und dann habe er - sagts, bietet mir eine Zigarette an, die ich kopfschüttelnd ablehne, und nimmt sich selbst eine - dann habe er entschieden, dass man das machen könne, wenn man es gut mache.

Auch eine Philosophie sage ich launisch und auch dass für mich Immobilienmakler die Blondinen der Kohlenstoffwelt sind. Da lacht er laut und blond auf, für einen aus Bremen mit reichlich Rheinlandfeeling. Um ihn zu trösten erzähle ich ihm noch, dass ich grade vom Golfplatz komme und an meinem 45er Handicap noch mächtig arbeiten müsse, weil er mich so ganz in schwarz Gekleideten etwas zu bewundernd anschaut. Das wirkt freilich auch gleich und er ist sichtlich erleichtert, dass auch ich fehlbar zu sein scheine. Und dann sagt er noch dass die Wohnung vor der wir grade stehen ein wirklich übles Loch sei und der Vermieter ein notorischer Sacklude. Und da er noch so schön den Benn zitieren kann, gehen wir gar nicht rein sondern um die Ecke ins Eckstein auf einen großen Milchkaffee und klönen was, aber (wenn Großväterchen Buster erzählt) so zusammengekommen wie damals sind wir da leider nicht mehr.

Freitag, 3. Oktober 2008

Something Vague

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[Ryan Gander: Felix provides a stage - (Eleven sketches for 'A sheet of paper on which I was about to draw, as it slipped from my table and fell to the floor'), 2008, Fototapete 298 x 446 cm]

Konzeptkunst, ich nenne das alles [1, 2] der Einfachheit halber mal so, gilt ja in aller Regel als schwer verdaulich und in Museen ist man bei solchen Ausstellungen meist sehr unter sich. Manche behaupten, dies sei die Rache der intellektuellen Künstler die unter die Räder des Siegeszugs der Pop Art geraten sind. Ich finde deren Grundtenor, dass Kunst erst im Betrachter entsteht, aber eigentlich durchaus interessant, gestehe hiermit öffentlich ein, (meist) nicht darunter zu leiden und ziehe Reduktion und Abwesenheit vielen allzu barocken Stilrichtungen vor. Auch der 32jährige Londoner Ryan Gander fühlt sich der Dekonstruktion verpflichtet, seine Ausstellung „Something Vague“ ist noch bis zum 2. November beim Bonner Kunstverein zu sehen.

Seine Werke werden dominiert von Unsichtbarem, das erst in der Vorstellung des Betrachters Gestalt annehmen kann. Das weiße Papier in den Aufnahmen aus dem Atelier des Künstlers etwa, scheint nur darauf zu warten, vom Künstler bearbeitet zu werden. Er geht dabei allerdings sehr selbstreferentiell und reflexiv vor: In „Unoxidised Silver on Paper, 2008“ wird ein schwarzes, lichtversiegeltes Paket ausgestellt, das ein belichtetes aber nicht entwickeltes Fotopapier enthält das Ryan Gander zeigt.

Konzeptkünstler arbeiten ja gerne indem sie delegieren: „She walked ahead, leading him through a blizzard of characters, 2008” bezeichnet eine frisch verputzte weiße Wand, hinter der sich der Text einer (vom Ghostwriter gekauften) Erzählung verbirgt die im Auftrag von Gander dort angebracht wurde, um wieder vollständig hinter dem frisch verputzten Gips zu verschwinden. Ein Höhepunkt der „Entmaterialisierung" des Kunstwerks jedenfalls und Sol LeWitt, der Urvater, fände das klasse, ich nicht so sehr. Und die Kuratorin Christina Végh bewundert gar die „raumfüllende Absenz“ und die „thematisiert durch das Aufsetzen einer neuen Schicht auch die Ge-Schichte einer Institution.“ Oh weh, Abgründe der Museumspädagogik.

Neugierde ist ganz gewiss eine notwendige Grundvoraussetzung für die Konfrontation mit Gegenwartskunst, sie wird aber selten befriedigt, schließlich gilt es Verborgenes zu imaginieren. Die Denk- und Handlungsanweisungen sind manchmal allerdings recht eindimensional, so auch bei: „Making it up as he went along (Alchemy Box 7), 2008“ in dem Gander eine Inventarliste ausstellt, die über das (nicht sichtbare) Innenleben eines ca halben Meter hohen Sockels Auskunft gibt. Immerhin gibt es noch was zu sehen, das war bei Konzeptkunst-Ausstellungen ja nicht immer so. Wurden doch auch schon völlig leere oder gar geschlossene Räume zur Ausstellung erklärt.

Überall auf dem Boden verstreut liegen übrigens einhundert lasergeschliffene Kristallkugeln mit rund 15 Zentimetern Durchmesser (darauf beziehen sich die Fototapeten) – „Trau keinem Bild“ hat der Gerz mal gesagt und ich habs gleich heute wieder bestätigt, denn ich habe ein paar Kristallkugeln bewegt und neu ausgerichtet und bin sicher, Ryan findet das ganz okay.

Mittwoch, 1. Oktober 2008

25 (gute?) Gründe ....

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[B.C. Buster: 25 (gute?) Gründe, 2008, Acryl auf Malpappe (with a little help of PhotoImpact and Chateau Saint Benezet)]

Samstag, 27. September 2008

Diskurse habermasieren ins heideggerische

Wenn man so in sehr überschaubarer Runde vom Hausherrn um einen Kamin herumdrapiert wurde, grade so, als wäre man sprechendes Ornament und gewagtes stylisches Dekorationsobjekt wobei jener Allgewaltige auch noch darauf geachtet hat, dass sich widerstreitende Positionen möglichst gegenüber und nicht nebeneinander verortet finden, dann, scheint es, bleibt schrittweises Cocooning und altdeutsche Lagerbildung leider nicht aus.

Mir gegenüber sitzt (schon wieder) ein Banker der, nachdem ihm mit übertrieben großer Geste das Wort erteilt wurde, zunächst von Erfahrungen zu berichten weiß, die „eindrücklich“ ja eigentlich gar „existentiell“ sind, Und so lauscht die Runde pathetisch verschwiemelt ergriffen, die doch laut Einführung dem interdisziplinären Austausch von Forschungsergebnissen verpflichtet sein sollte, den ridikülen Berichten einer Segelreise, einhändig durchgeführt versteht sich ja wohl von selbst – darunter wird heute kein Klüver mehr gehisst. Und als grade allen die imaginäre Gischt um die furchtsamen, kanapeegefüllten Finger brandet, wechselt er unvermittelt das Thema und kommt auf Carl Schmitts Abhandlungen „Theorie des Partisanen“ zu sprechen die er ebenso „faszinierend wie aktuell“ empfindet. „Eindrücklich“ hat er jetzt nicht grade gesagt, aber schlimmer doch: „hier hat doch mal einer an der Wahrheit gekratzt“, krabbelgruppt es infantil aus ihm heraus.

Und da alle so mönchisch-andächtig vor sich hin diesen unsinnig-platten Gedanken nachhängen grad so als ob es dafür gleich mindestens einen Nobelpreis geben muss, kann ich nur gepresst und sehr spöttisch erwidern: „Und was für einer und was für eine elende Wahrheit“ und das wohl auch etwas zu laut und heftig und plötzlich ist alle gefasste intellektuell-gefärbte Abgeklärtheit aus dem Raum gefegt, offene Feindseligkeit wechselt sich ab in den grauen Gesichtern mit gelangweilter Verwunderung. „Hitlers willfähriger Speichellecker“, aufzähle ich, „Totengräber der Demokratie, Antisemit sonder gleichen, habe also die Wahrheit geschnuppert“, und je länger desto mehr bin ich wieder meiner selbst gewiss und deutlicher ironisch zitiere ich den Hobbesianer Carl Schmitt aus müdem Kopf: „Die Essenz des Politischen ist die Unterscheidung von Freund und Feind“. Na das merkelt ihr euch jetzt aber.

Der Kantianer Jürgen Habermas war es, der Schmitt seinerseits schonungslos und sehr gut begründet kritisiert hat: Habermas' Diskurstheorie ist freilich normativ angelegt, sie beschreibt eine „Sollgeltung“, keine Faktizität. Dass die Welt nicht immer so ist - Habermas weiß es am besten. Ein sehr höhnisch-gefräßiges Lachen kommt von gegenüber, altes Zeug sei das, 68er-Kitsch ganz offensichtlich und Arnold Gehlen und Martin Heidegger werden sehr eifrig bemüht für die deutsche Rechte (und der allgewaltige Hausherr schweigt wie ein Eunuch). Und lebten wir nicht in gefährlichen Zeiten, der isalmische Terror-Krieg, der Konflikt im Kaukasus, die Finanzkrise? Lehrten sie uns nicht, wie schnell althergebrachte und für selbstverständlich gehaltene Sicherheiten unseres Lebens wegbrechen können? Wer hätte in diesen Tagen nicht das Gefühl, auf schwankendem (Börsen-)Boden zu stehen? Und ist nicht der Eindruck unabweisbar, dass in dem internationalen Haifischbecken der Globalisierung andere Gesetze herrschen als die, welche das "Paradies" der Habermas'schen Kommunikationsgemeinschaft nahelegt?

Das alles findet bald ein ebenso frühzeitiges wie ungewollt-ruppiges Ende und kommende atomare Stammeskriege werden wohl vorerst ohne Habermas’ und Schmitts Propädeutik stattfinden müssen, befürchte ich. Letztlich wird es zur Annahme eines möglichen Besseren keine Alternative geben, was ja nicht für diesen Abend gelten muss. Und so flüstere ich ins Ohr des unbedarften Repäsentanten der Bunsräpublik Doitschland in der Runde den Pigor von 1999:

„Mamma lieber alle Heidegger Heidegger ou ou ou

Ich heideggere euch in Grund und Boden
Heideggere euch den Schwarzwald rauf
Und wieder runter heideggere Euch die Hoden
Und maroden Schädel auf

Heideggere euch die Wand entlang
Heideggere euch - so klein
Heideggere euch zurück auf Anfang
Auf die Frage nach dem

Sinn nach dem Sinn dem Sinn nach dem Sinn vom Sein ...

Da hatter hatter hatter Heidegger wiederma recht ...

Heidegger Heidegger ou ou ou“

Dienstag, 23. September 2008

Answer the call enter the daw

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Erstes Gesprächsthema beim Smalltalk ist auch in Dublin gerne das Wetter und wie es nun mal bei grundoptimistischen Menschen wie den Dubs der Fall ist, versichern sich alle jederzeit und immerzu wie schön das Wetter ist, selbst wenn es unaufhörlich regnet. Wenn der Landregen allerdings in die Sprichwörtlichen ‚cats and dogs’ übergeht und selbst der Mutigste sich nicht mehr traut das Wetter zu loben, versichern sich alle jederzeit und immerzu, dass das Wetter morgen gewiss wieder schön sein wird. Seit Tagen ist allerdings strahlender Sonnenschein in Dublin und ein so blauer Himmel wie ihn Touristen nur von den Postkarten her kennen und alle fotografieren sich und alles immerfort gegenseitig vor blauem Himmel und keiner traut sich mehr das Wetter zu loben grade so als ob das ausgesprochene Lob zu Regenwetter führen würde.

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[Rachel Whitehead: Modern Chess Set, 2005, S. Guiness Galery, Eustace Street]

Schon Leopold Bloom im Ulysses konnte sich einen Tag in Dublin ohne Pubs gar nicht vorstellen und nachdem ich die erste von zwei Präsentationen des Tages launisch mit Oscar Wildes Zitat “I am not young enough to know everything” tiefstapelnd eröffnete und alles leidig gelungen war, musste ich also zum Mittag mit den Kollegen in die Barge Bar an der Charlemont Street, ein Etablissement das mittags von Anzugträgern der umliegenden Docklands bevölkert wird (und solchen wie mich, die gerne einen hätten). Als plötzlich der teutonische Oberstudienrat gekleidet in Wanderschuhen, Kniebundhosen und Lodenjacke aus deren Seitentasche ein schlecht gefalteter Stadtplan neben mir aufragt und seine Begleiterin hat - wie ichs schon in Limerick vorherwahrsagte rote Wandersocken zu etwas mit Dirndlhafter Anmutung an. In seiner Hand einen etwas abgegriffen Ulysses in der ihren ein Baedecker versucht er in einer Sprache, die er wohl für Irisch hält, einen Whiskey zu bestellen. „uisce beatha“ wiederholt er mantrahaft während er sich bei seiner Frau in stark oberbayerischem Dialekt darüber beschwert wie alles früher viel tiefsinniger war als heute und wie schade es ist, dass das Dublin des Ulysses verschwunden sei unter all diesen Neubauten. Als auch ein erneuter Orderversuch nur ein verständnisloses Grinsen beim Barman auslöst und meine Banker von einem vornehm amüsierten Kichern in ein infernalisches Gelächter auszubrechen drohen angesichts dieser ridikülen Szene spreche ich den Herrn an und gebe ihm den Hinweis, dass er mit einer halbwegs englischen ausgesprochenen Bestellung sicher schneller ans Ziel kommen werde. „Das meiste in gälischen Wörtern“ aufkläre ich ihn jetzt ganz zielgruppenorientiert Oberstudienratskonform, „spricht man nicht aus, und das, was man ausspricht, spricht man anders aus“, es sei also besser er vermeide Irisch rate ich distinguiert. Im Übrigen würden auch viele Dubliner es auch dann nicht verstehen, wenn es korrekt ausgesprochen würde, rutsche ich ins Konjunktive, weil sie Irisch in der Schule wie eine Fremdsprache gelernt und danach wieder vergessen haben.

Rein literarisch sei das schon schade, wiederholt er sich jetzt weinerlich zu mir gewandt, dass alles sich, dass das good dirty old Dublin sich so ändere und sagt „you can call me Alois“, er sei ja Oberstudienrat aus Oberbayern. Ich bitte einen der immer noch kichernden Kollegen das einzige irische Sprichwort auszusprechen das ich kenne: “Is fearr an t-imreas ná an t-uaigneas.” Was übersetzt so viel bedeutet wie “Besser der Streit als die Einsamkeit.“ Es ist der Lieblingsspruch des Poeten und wüsten Trinkers Brendan Behans, wohl nur deshalb kenne ich es. Und nachdem er seinen Whiskey und die Rotbesockte ein Glas Cider getrunken haben hat er etwas in seinem mit Lesezeichen gespickten Ulysses geblättert und fragt mich auch noch nach dem Weg zum Davy Byrne’s. „Sie wollen jetzt bitte nicht so dorthingehen um ein Glas Burgunder und ein Gorgonzola-Sandwich mit Senf zu essen?“ antworte ich sehr barsch und beide erschrecken rechtschaffen, weil ich sie in Deutsch angesprochen habe und für die Banker, die es in der kurzen Mittagspause zwischenzeitlich zum dritten Pint geschafft haben, brechen endgültig in Gelächter aus, das lauthalser gar nicht mehr sein könnte und Oberstudienrat Alois nebst seiner Rotbesockten Begleitung eilen erschrocken am Grand Canal davon.

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Les White, der Besitzer der Eclectic Galeriea „the brown envelope“ in der es vor knick-knacks und gewgaws nur so wimmelt, sonnt sich in der Dean Street. Und als wir grade so darüber plaudern wie denn die Geschäfte so laufen für Eklektisches beginnen die Glocken von St. Patrick, Irlands größter Kirche, in seinem Rücken zur Abendandacht zu läuten. Da wird er unvermittelt laut und wütend und meint, Cromwell hätte das schon ganz richtig gemacht als er die Kirche in einen Pferdestall verwandelt hätte. Auf meinen verwunderten Blick führt er schon wieder etwas ruhiger werdend aus: Kein Mensch brauche Kirchen, schon gar nicht solche, in der Priester an Touristen überteuert Salz- und Pfefferstreuer verscherbelten. Und bei diesem Wort scheint wieder der Geschäftssinn in ihm zu erwachen und er lockt mit großer Gestik und Mimik: Er hätte da einen unglaublich eleganten Art Deco-Spiegel in seiner Eclectic Galeria, den müsse ich einfach kaufen. Da antworte ich aber ganz katholisch reserviert: kein Mensch brauche elegante Art Deco-Spiegel und er lacht laut auf.

Samstag, 20. September 2008

Showtime on Moore Street

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Margie ist nach eigener Aussage die beste Fischverkäuferin ganz Irlands und als ich am Spätnachmittag eines für irische Verhältnisse eher warmen und eher regenarmen Tages in der Moore Street vorbeikomme, riecht es schon ziemlich was streng. Den Fisch köpft sie (was ist das eigentlich für einer, hab ich ganz vergessen zu fragen) mit der schon in Cork beobachtbaren Inbrunst, wahrscheinlich eine conditio sine qua non in diesem Beruf für langjährige Zufriedenheit – Berufsberater sollten diesen meinen ungeheuer brillanten Gedanken bitte eilfertig notieren. Als ein Umstehender fragt, ob sie der Fischgeruch nicht stört lacht sie keck auf und antwortet: „My husband really loves it“ hält dabei trotzig das ‚o’ bis ihr fast die Luft ausgeht und verteilt unentwegt Luftküsse. Und es bewahrheitet sich so erneut: Echte Showtalente werden auf der Straße geboren.

Die Comedy-Shows im Ha’penny Bridge Inn am Wellington Quay waren einmal ein must have (wenn ‚Großväterchen Buster erzählt’), insbesondere dann, wenn sich ambitionierte Laien vors Publikum wagten. Dieses war schließlich dafür bekannt, dass es unerbittlich urteilte: Bei Nichtgefallen wurden die Akteure regelrecht und gnadenlos von der Bühne gepfiffen, kamen die Gags an, durfte man nicht von der Bühne abgehen. Zwischenzeitlich hat das Publikum allerdings so großen Gefallen an der rüden und vernichtenden Kritik gefunden, dass jeder Darbieter unabhängig von der Qualität des Beitrages nach spätestens zwei Minuten die Bühne verlassen muss. Dafür auch noch Eintritt zu zahlen ist nicht jedermanns Sache.

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[Rob Williams, „don’t call me Robbin I’m not rotten“]

Einzige Alternative bleibt der International Comedy Club im ersten Stock der International Bar in der Wicklow Street. Auf dem Foto ist Rob Williams zu sehen wie er auf einer Alt- und Sopranmelodica ein Meat Loaf-Medley spielt und dabei noch den Leadsänger gibt. Sein Lieblingsgag beschäftigt sich damit, wie Sprache sich im Laufe der Zeit verändert:

Früher waren seltene Dinge so selten wie Nadeln im Heuhaufen.
Dann kam das Heroin und überall lagen Nadeln herum.
Dann kam das Farmensterben und nirgendwo gab es mehr Heu oder gar Haufen davon.
Heute sind seltene Dinge so selten wie …
(Jetzt, vieltausendköpfige Leserschaft, bitte den Witz selbst zu Ende führen und dabei die Zeit stoppen, ich frage das die Tage noch mal nach …).

Mittwoch, 17. September 2008

Sachdienliche Hinweise

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Für Lyriker: Den besten Limerick in ganz Limerick kennt Colm Tucker der sich sehr gefreut hat, dass ich ihn und nicht etwa das fotografiert habe, was gewöhnlich von den zahllosen Zugereisten und Dahergelaufenen ins Visier genommen wird: Keine sieben Meter vor seinem Wohnzimmerfenster erheben sich wuchtig die beiden Wehrtürme von King Johns Castle, sein Haus um das Vierfache überragend. Er nötigt mich auf ein Tässchen hereinzukommen weil es sehr zu regnen anfängt und auch weil er dringend wissen will, wer da mehr Interesse an ihm hat als am Frühmittelalter. Gefragt, wie das denn so sei, im Schatten von Könix zu leben, grinst er erst verschmitzt um dann verhalten zu stöhnen, dass schon ziemlich was los sei so tagsüber, aber abends sei es dagegen ausnehmend ruhig (und schenkt noch genüsslich Tee nach) der Nachbar sei ja schließlich schon bald 800 Jahre tot, da mache man nicht mehr so viel Lärm. Und dann hat er mir zum Abschied noch seinen schönsten Limerick erzählt und obwohl der ganz wunderschön war, habe ich Trunkenbold den anderntags nicht mehr zusammenbekommen. Wer also demnächst dort vorbeikommt, frage bitte in der Castle Street No.7 bei Colm noch mal nach und richte Grüße aus.

Für Projektleiter: Keine.

Für Arrivierte: Schönheitssalonbesitzer sollten ihr Etablissement bitte nicht „Beyond Belief“ nennen, das riecht ja geradezu nach Zentimeterdicker Tünche, Neppern Schleppern, Bauernfängern; Bierbrauer ihr Produkt nicht mit „It’s alive inside“ bewerben, wenn sie auch die Vegetarier zu ihren künftigen Kunden zählen wollen; Buchhändler noch mal ordentlich drüber nachdenken, ob die Buchkategorie „chick fiction“ ein eigenes Regal wert ist und Dienstleister, ob sie mit „always going an extra mile“ nicht am Ende sehr Nachteiliges über ihre institutionelle Intelligenz ausdrücken.

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Für Künstler: Insbesondere solche, die endlich verkaufen wollen oder nach neuen Vertriebskanälen suchen, kann das Konzept des Limerick Arts Festivals sicher hilfreicher Quell der Inspiration sein. Maler, Bildhauer und Zeichner stellen derzeit in den Schaufenstern zahlreicher Einzelhandelsgeschäfte aus: Zwischen Unterwäsche, Haarspray und Lebensmitteln finden sich Werke zur gefälligen Betrachtung wie auch zum Verkauf arrangiert. Bei Micheal O’Laughlin der sich selbst bei den „Old World Master Butchers“ verortet, wird Kunst ganz nach seinem Sujet präsentiert und man kann nun wählen zwischen Lammhaxe, Clonakilly Pudding und Oil on Canvas (Mana Levitees: “Blue Remembered Hills”, Gaffie Mountains, 300 €).

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Für (Krimi-/Drehbuch)Autoren: Die perfekte Location für einen sauber inszenierten Mord ist ganz fraglos der Potato Market, ein schlecht beleuchteter, mit zahlreichen Nischen versehener und direkt am Shannon gelegener Parklatz. Der – natürlich – gedrungene, schwarzgekleidete Mörder schleicht sich, vom St. Georges Quai kommend an das Opfer heran, zückt ein Messer (doch, doch: In Irland macht man so was besser noch ganz traditionell) und sticht unter dem Schild „Pay and Display“ dreimal kraftvoll zu. Die Leiche wirft der ganz und gar Skrupellose natürlich gefühllos wahlweise über das weiße Geländer der Fußgängerbrücke oder das blaue Geländer des Erkers in den Shannon, sie wird zwei Tage später von einem frisch geschiedenen Banker und Hobbysegler aus Ulster wieder herausgeangelt werden, der sich keine Woche später solchermaßen traumatisiert mit einem grade mal acht Pfund schweren Klappanker um den Hals unrasiert bei Killarny im Upper Lake ertränken wird. Die Leiche wird dank einer Arschgeweih-Tätowierung, die sie sich bei Toms Tattoos vor knapp einem Monat in der Upper William Street hat anfertigen lassen, als Theresa O., die Halbschwester des Besitzers des Gemischtwarenladens ‚Polski Smak’ in der Parnell Street identifiziert werden. Ian, der Aushilfskellner im Portleys in der Broad Street wusste zuviel, weil er just zu dem Zeitpunkt als der – natürlich – gedrungene Mörder über den halbdunklen Friedhof der St. Mary’s Cathedral flieht, aus dem Kirchenportal tritt wo er für sein viel zu früh verstorbenes Mütterchen eine Kerze zu zwei Euro entzündet hat und lebt keine zwei Tage mehr. Seine selbstredend grausam zerstümmelte Leiche und die blutbesudelte aber fingerabdruckslose Mordwaffe findet der Gewohnheitstrinker Kurt B. im Morgengrauen an einem Donnerstag vor dem Milk Market. Beim Versuch das mit Elfenbein verzierte Mordwerkzeug zu versilbern, wird er von der ‚Garda’ aufgegriffen und verstirbt aus ungeklärten Gründen in der Ausnüchterungszelle. Viele Spuren werden zu Joe Mc Kenna führen, der ehemalige Freund und zwielichtiger Gebrauchtwagenhändler in dessen Lager beim Bahnhof immer wieder seltsame Geschäfte stattfinden sollen. Von Steuerbetrug im großen europäischen Rahmen wird gemunkelt aber selbstredend kann keiner etwas beweisen bis dieser Mord geschieht.
Das sollte doch, Herrschaften, jemandem ein paar Euros wert sein, ist doch schließlich alles haarklein und blitzsauber recherchiert. Zur Not könnte man auch irgendsoeinen unsäglichen Tatort draus machen und der Bienzle ist im Urlaub mit seiner Frau oder wem auch immer (ich bin da nun wirklich nicht parkettsicher) und die logieren im Railway Hotel grad gegenüber vom Bahnhof und der Bienzle sitzt in der Plüschroten Hotelbar und seine Frau oder wer auch immer hat ständig Wanderschuhe an und dazu rote Socken und ist schon ganz hibbelig, weil’s immer noch nicht zum wandern geht und der Bienzle den Fall wie der Leibhaftige im Alleingang in der Bar löst noch bevor die ‚Garda’ auch nur einmal um die Ecke gedacht hat.
Der Fall löst sich ja eigentlich und genau genommen von selbst weil der Gebrauchtwagenhändler unter dem Ermittlungsdruck die Nerven verliert, den Gemischtwarenhändler und ehemaligen Halbbruder zur Rede stellt (der, so erfahren wir ganz en passant und sehr erwartungskonform Betrügerkumpan ist) und mit dem Messer bedroht und dann gibt es ein so ganz und gar gestelltes und getürktes Gerangel wie man es wenn überhaupt nur im öffentlich rechtlichen Fernsehen erleben kann und am Ende ist der Gebrauchtwagenhändler tot und es soll auch noch Notwehr gewesen sein. „Der Mörder hat sich selbst gerichtet“ wird man den sich bitter irrenden Bienzle in der vorletzten Szene sagen hören bevor er mit seiner Frau oder wem auch immer zum Wandern aufbricht nicht ohne vorher zur Stärkung noch ein Glas Beamish getrunken zu haben und dann, in der allerletzten Szene werden wir in einer Beichte vom selbstredend bislang völlig unverdächtigen Brendan Foley, dem Pfarrer der St. Mary’s Cathedral zu hören bekommen, dass er die abgrundtiefreligöse und ihm hörige Theresa O. während des Bibelunterrichtes schwängerte und, um die Schande zu vertuschen, tötete ohne Reue und wenn sie nicht gestorben sind wandert ienzle noch heute und Brendan Foley gibt weiterhin Bibelunterricht grad so als obs keine Gerechtigkeit gäbe heutzutage.

Dienstag, 16. September 2008

Watervilles headless hero

„Avoid fuckin hangovers – stay drunk“ werde ich am Morgen von einem breit grinsenden Dubliner Workshopteilnehmer herzhaft begrüßt der dort, wo sich bei mir eine Tasse Earl Grey befindet, eine Büchse Beamish hält. Mein stay dry kommentiert er mit einem schiefen Grinsen. Anscheinend hat ein Teil der Gruppe nach dem ich die Aufgaben formuliert und mich in die ungeheuer beschauliche Kerry-Natur getrollt habe, mit dem Feiern und Fraternisieren begonnen und dies bis zum nächsten Morgen. Da solche Gruppendynamik allemal sinnstiftender sein kann als bunte Kärtchen zu bemalen und keiner so recht Lust hat, schlage ich vor Gruppen zu bilden die je ein Thema im Laufe des Tages irgendwie und irgendwo besprechen.

Die feierfreudigen Dubliner und Ken, der hochgewachsene und eigentlich recht aufgeschlossene Assistent des Lords stehen um mich herum, es ist aufgeregte Stimmung wie beim Schulausflug. Alle stimmen meinem Vorschlag zu mal nach Westen raus ans Meer zu fahren aber die Hauptstädter wollen fischen, Ken golfen, er hätte da einen Lieblingsplatz direkt an den Klippen, was mir schon mehr zusagt als sich im kalten Wasser stehend anzuschweigen, nur damit die Fische nicht verschreckt werden. Nun mag man berechtigt einwenden, dass schwiegen eine sehr wichtige gemeinsame Tätigkeit sein kann, aber als Teambildungsmaßnahme ist sie eher etwas für Fortgeschrittene, denen die Grundregeln des Nicht-Schweigens bereits geläufig sein sollten.

080913_027Wir trennen uns also, Ken und ich fahren – obwohl wir weder ein Team sind, noch es eine Maßnahme für uns bräuchte, ans Ende der Halbinsel. Der Golfplatzmanager akzeptiert aber mein Handicap nicht und so kommt kein Flight zustande was Ken ordentlich peinlich zu sein schien. Da just in diesem Moment aus dem Nieselregen ein ausgewachsener Landregen wird, hält sich meine Enttäuschung in sehr überschaubaren Grenzen. Der Greenkeeper schlendert neugierig her, stellt sich zu mir unters Dach der Driving Range und lacht meckernd laut als ich ihm erzähle, dass ich auf Weisung des Managers hier als rabbit nicht spielen darf. Murmelt etwas, was ich als „fuckin stupid ass“ interpretiere. Er erweist sich schneller als echter Kerryman vom dunkelgrünen Gummistiefel bis zur ausgebeult karierten Kappe, dabei sehe ich ihn immer wieder energisch mit den Beinen aufstampfend um, wie er auf meine verwunderte Nachfrage ob dies eine Kerry-Variante eines Riverdance sei, zu erklären, dies diene dazu, die Blutzirkulation anzuregen. Gut die Hälfte dessen, was er sagt, dabei immer eine zerkratzte englische Pfeife zwischen die gelben Zähne geklemmt, glaube ich zu verstehen. Früher hätte der Platze ja eine halbe Meile westwärts gelegen und zeigt mit dem abgekauten Mundstück aufs Meer. Alles erzählt er und man hört schnell, dass er es schon vielmals und vielen erzählt hat, alles sei dem Meere abgetrotzt, den Wikingern blutig abgerungen oder dem kargen Boden, die Besten wären die Ersten hier beim Auswandern.

080913_038Chaplin habe, flunkert der Wirt später, nur bei ihm gegessen, nie aber bei dem Wucherer gegenüber und deutet auf einen Pub auf der anderen Straßenseite an dem mit kindlichem Gemüt ein circa drei Meter großer Hummer an die Hauswand gemalt ist. Dann stellt er den seafood chowder vor uns ab und zeigt ganz ungefragt auf eine zerknittert-verblichene und auch etwas angegilbte Fotografie einer Fußballmannschaft an der Wand hinter uns und an der Stelle auf die er mit nikotingelbem Finger zeigt ist der Spieler vom vielen Reiben schon fast Kopflos. „Kerry 1969 All-Ireland Football Champion“ steht da und während ich noch über headless heroes nachdenke und wie gut es nun wäre, auch wer zu gewesen zu sein, vielleicht ein Boxer oder ein Rodeostar, verfällt Ken gleich in den vom Wirt offensichtlich gewünschten Championbewundersmodus und droht ganz die Fassung zu verlieren, dass wir hier in der nach altem Bratfett riechenden Kneipe eines Champions verweilen dürfen.

080913_040„Hier wundert man sich“, rezitiere ich J. M. Singe an der Strandpromenade gegen den anpeitschenden Starkregen und Ken lächelt vieldeutig, „warum noch jemand in Dublin oder London oder Paris wohnt, wo doch ein Leben in einem Zelt oder einer Hütte hier, an dieser großartigen See und unter diesem Himmel, hier, wo man Luft atmen kann, die wie Wein schmeckt, so viel besser erscheint.“ An der Uferpromenade angekommen frage ich Ken nach seinem Verhältnis zum Lord und ob und wann er sich als Nachfolger sieht. Da winkt er nur belustigt ab und antwortet lachend: „He’s a little Hitler, you know?“ Und dass er sich nach Dublin versetzen lässt, weil mit dem keiner zusammenarbeiten könne. Wir biegen grade auf die Hauptstrasse des Kaffs als wir keine hundert Meter vor uns die beiden Dubliner Kollegen schwanken sehen, jeder mit einer Büchse Devils Bite in der Hand, so sieht also angeln bei denen aus.

Und fast wäre es bei uns vieren irgendwie ganz gemütlich geworden da wir auf Plüschsofas im ‚Peter’s Café’ saßen, einem Bach-Chor lauschten und dazu homebaked Brownies vertilgten als der lütte Hitler himself in seinem verschrammten und ehemals gediegenen Dienstwagen in die Atlantic Street von Waterville geräuschvoll einbog.

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