Blöde Patienten
[Buster: Doppelte Dosis, Bleistift und Textmarker auf Speiseplanrückseite, 2007]
Der Physiker Johann Wilhelm Ritter wies an Fröschen nach, dass Muskelfasern, Nerven und Gewebeflüssigkeit in ständigem elektrischen Austausch stehen. Um zu klären, welche Auswirkung Strom auf den Puls, Zeugungs- und Sinnesorgane haben, schreitet er zum Selbstversuch. In der Folge leidet er unter heftigen Schmerzen und Entzündungen, Schwindel und Erbrechen, zeitweise erblindet er. Ritter – Begründer der Elektrochemie und Entdecker der UV-Strahlen – stirbt 1810 mit 33 Jahren.
Der Arzt William Stark stellt sich die Frage nach der richtigen Ernährung des Menschen und geht davon aus, dass eine möglichst abwechslungsreiche Ernährung das Beste für die Gesundheit ist. Stark möchte dies nachweisen indem er sich konsequent falsch ernährt: Wochenlang nimmt er nur Brot und Wasser zu sich – 1770 stirbt Stark mit 29 Jahren.
Andrew White sucht nach einem Mittel gegen die Pest und testet an sich selbst als Gegenmittel die Ansteckung mit Malaria: Keine sechs Tage später stirbt er.
Den ersten Impfstoff gegen die Kinderlähmung entwickelte Jonas Salk im Jahr 1952 aus abgetöteten Viren, die er im Selbstversuch an sich und seiner Familie ausprobierte. Albert Bruce Sabin erfand daraufhin einen Impfstoff aus lebenden, aber abgeschwächten Viren, das Kinder als Schluckimpfung auf einem Stück Zucker einnahmen.
Der Pathologe Barry Marshall möchte nachweisen, dass Magengeschwüre nicht durch Stress sondern durch Bakterien ausgelöst werden und schluckt rund eine Milliarde davon und bekam ein lehrbuchreifes Magengeschwür.
Lange boomte der Selbstversuch, insbesondere Ärzte forschten oft am eigenen Körper, tranken Gift, infizierten sich absichtlich oder schluckten Bakterien. Irgendwann muss sich das insofern geändert haben, dass Ärzte doch lieber Patienten für solche Forschungsfelder einsetzten. Natürlich erst, nachdem sie diese gezwungen haben zu unterschreiben, dass alles auf ganz und gar freiwilliger Basis von sich geht.
Als ich die obige Liste meinem behandelnden Arzt heute in seiner Kaffeepause vorgelesen habe, antworte er launisch: „Na da sehen Sie mal: Selbst wir Ärzte lernen hin und wieder dazu. Haben Sie heute schon ihre Million Bakterien geschluckt?“. Und auch der Arzt, der besser Wirt geworden wäre (und nun gerne wieder „Das Personal“ genannt werden will), raunte nur kurz angebunden: „Recht so, gibt doch viel mehr blöde Patienten als Ärzte“.
BusterG - 23. Jan, 17:59