Fürsorglichen Erbauung und die Frage des Wojuwritin?

“Lasset uns fortfahren, Geschichtenerzähler, und furchtlos jede Beute ergreifen, nach der unser Herz begehrt. Alles existiert, alles ist wahr und die Erde ist nur ein bisschen Staub unter unseren Füßen.” [W.B. Yeats: The Celtic Twilight]

Dublin ist die Stadt der dichtenden Trinker wie der trinkenden Dichter, das weiß wenn schon nicht jedes einheimische Kind so doch wenigstens jeder Tourist. Deshalb ist es nahe liegend, dass sich dieser spätestens am zweiten Abend seines Aufenthalts pflichtgemäß in den irischen Pub als Ort der Inspiration begibt. Dies geschieht freilich meist im Schutz einer Gruppe, im definierten Zeitrahmen von rund zwei Stunden, kostet einiges Geld und nennt sich >Literary Pub Crawl< (for educational value), was in etwa mit >Bekriechen von Lieblingskneipen von Literaten zur fürsorglichen Erbauung< übersetzt werden kann und gemäß jeglichem Touristenführer als einer der Höhepunkte einer Dublinreise zu rechnen ist und ein >echter Geheimtip<.

Und so ist es nicht weiter verwunderlich dass allabendlich Gruppen von bis zu 50 Wissens- wie –Durstigen durch vier Pubs im Stadtzentrum ziehen, die zumeist ausschließlich von Touristen bevölkert sind, die ihrerseits etwas hochnäsig auf die unerfahrenen Touristen herabschauen, weil sie selbst schon drei Tage in Dublin sind und das Spektakel bereits am eigenen Leibe durchlitten haben. Dabei rezitieren zwei Schauspieler Oscar Wilde, spielen etwas aus Becketts >Warten auf Godot<, Brian O’Nolan fehlt meist ebenso wenig wie Brendan Behan der trinkende Dichter par excellence der in der Spätphase seines Schaffens der Inspiration mit einem Dutzend Pints und zwei Flaschen Whiskey pro Tag nachgeholfen haben soll und die Schreibmaschine gleich mit in den Pub brachte.

Wie aber kann heute Trinken und die Produktion von Literatur - zum Beispiel bei >Mother Kellys< in der Marlborough Street - vereinbart werden? Zwar verfügen die meisten Pubs über den ortsüblichen alten Säufer der mehr oder weniger originalgetreu Oscar Wilde zitieren kann und höchstwahrscheinlich vom lokalen Tourist Office ausgebildet und hauptamtlich besoldet wurde um den leider allgegenwärtigen Erwartungen der Touristen zu entsprechen. Sobald ich aber – eine Pause im Rugbyspiel nutzend – meinen Skizzenblock zücke, fragt spätestens beim zweiten Satz ein umstehender Dub was ich da treibe. Selbst wenn ich glaubhaft versichere, kein Mitglied des britischen Geheimdienstes zu sein, werden investigative Fragen im Minutentakt gestellt oder gar eine Runde ausgegeben.

Wie konnten die Großen unter solchen widrigen Umständen Weltliteratur produzieren? Die Lösung ist so einfach wie verblüffend: George Bernard Shaw zieht es 20-jährig nach London, Wilde geht in die USA, Beckett und Ulysses nach Paris, Joseph Sheridan Le Fanu, der Meister viktorianischer Schauergeschichten, schrieb zu Hause von Mitternacht bis in die Morgendämmerung bei Kerzenlicht seinen Roman >Willing to Die< bis er starb.

“Solange Irland noch Leute hervorbringt mit genügend Verstand, ihm den Rücken zu kehren, existiert es nicht umsonst” [G. B. Shaw]


Ich jedenfalls werde unter diesen widrigen Umständen keine Weltliteratur produzieren können und da wird schon wieder ein BULMERS vor den >German Poet< gestellt von der 80-jährigen Maggie spendiert, die bereits John Banville und Roddy Doyle eine Runde ausgegeben haben will. Sind beide schon ausgewandert?

By the rents were getting higher,
And we could no longer stay,
So farewell unto ye bonny, bonny
Sliabh Gallion braes.

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