Sonntag, 4. Februar 2007

wie gehabt

die gesellschaft
ist wieder geteilt
in wächter
und bewachte

wie gehabt
ein geruch breitet sich aus
der geruch einer maschine
die gas erzeugt

[Alfred Andersch: artikel 3 (3), 1976]

Das ganze Gedicht

Was sind das für Zeiten in denen ein Stöckchen …

Definiere kurios: Wenn man - während stündlich in den Nachrichten vom selbstgemachten, bald irreversiblen Klima-Gau die Rede ist, Amerikanische Politiker das bisserl eigenes 25% Anteil an der Treibhausgasemmission als nicht relevant erklären und der Chinese (der nie schläft) von der ganzen Aufregung nichts wissen will, (vom Inder nichts zu hören ist,) wenn man also in solchen Zeiten (Brechts Bäume hör ich drohend knarzen) - aufgefordert wird, mal über die eigenen Kuriositäten nachzudenken.

Diese Einleitung soll jetzt freilich nicht grundsätzlich gegen Ärzte im Allgemeinen und eine im ganz und gar Besonderen gerichtet sein. Nein, nein. Nein, NEIN: Selbst Ärzte können nicht für alles Schuld tragen, haben, werden und sollen (und die eine Besondere schon gar nicht). Was weiß der (nie schlafende) Chinese denn von der Kassenärztlichen Vereinigung und was bitte der Amerikaner von Brecht’s Bäumen? Ebendarum, vieltausendköpfige Leserschaft, wäre eine Stöckchen-Verweigerung plump und was soll ich sagen einfach nicht rechtschaffen. Ne, nee: Eins geht immer, eins geht noch.

Ich denke ja bei so was wie „kurios“ gleich an - zugegeben wenig politisch korrekte - Kuriositäten-Ausstellungen auf dem Jahrmarkt: Die Dame ohne Unterleib, der Hund mit zwei Köpfen, die Schlange mit vier Beinen, der unbestechliche Politiker und dergleichen Monstrositäten. Dabei steht das lateinische „curiosus“ doch für „sorgfältig, aufmerksam, neugierig“ das zu „cura“ (Sorge, Pflege) und dem ehrwürdigen „Curator“ führt. Im Grimm steht unter „CURIOS“ einerseits „curiosus, neugierig: bins curios zu sehen“ aber auch „insolitus, seltsam: das sind mir curiose leute“. Noch bis ins 17. Jahrhundert wurde „kurios“ im denkbar positivsten Sinne verwandt bis - scheinbar unvermeidlich und recht schrittweise - „ein bisschen verrückt“ daraus werden konnte und auch das schwesterliche französische „curieux“ wird heute eher als „wunderlich, merkwürdig“ verwandt und nur nachrangig als „wissbegierig, neugierig, sorgsam“ und was sonst auch.

Ich bins jedenfalls – Sie ahnen das längst – natürlich nicht niemals (gewesen und sein). „Kurios“ sind bestenfalls „die Anderen“ sechs, sechs Milliarden Mitbewohner dieses deutlich wärmer werdenden Gestirns. So finden die es etwa „kurios“, dass ich

1) noch nie eine Tanzschule besucht habe: Zu „meiner“ Zeit passten obligatorischeres PLO-Tuch und olivgrüner Parka einfach nicht zum Abschlussballestablishment. Wehe daher, wenn ich mit meiner Schuhgröße 46-47 zum Tanz aufgefordert werde ;-).

2) noch nie eine Autowäsche in meinem Leben durchgeführt oder veranlasst habe. (Von innen habe sogar ich schon mal die Scheiben geputzt). Das mag sich ändern, wenn künftig nur noch einmal im Jahr Regen fällt, aber die daraus resultierende Wasserknappheit wäre mir andererseits sicher willkommener Anlass auch künftig mehr als sparsam mit Autowäschen umzugehen.

3) mein Brot selbst backe und gekauftes Brot knapp an der Grenze zur Ungenießbarkeit, mindestens aber jenseits der Fadheit proklamiere (viele Sätze gehören verboten, solche allemal).

Wie gesagt: Alles eine Frage der gesellschaftlichen Konvention, was so als skurril - oops "kurios" - gilt. Ebenso wenig überraschend ist es vermutlich, dass ich kurios finde, dass ich

4) mich nun leidlich und halbwegs rechtschaffen ins 44zigste (und bald 45zigtse) Jahr gelebt habe, um etwa im Einzelhandel immer noch und regelmäßig (!) als „Junger Mann“ tituliert zu werden!

5) noch immer mit einem Auto durch die Gegend kurve das mindestens einhundert Pferdestärken zuviel unter der sehr silberfarbenen Haube hat, von dem vermutlich die Mehrzahl der (nie schlafenden) Chinesen träumt.

6) es „kurios“ finde in solchen Zeiten über „Kuriositäten“ zu berichten (aber das hatten wir ja auch schon).

Und nu? Wohin mit dem Stöckchen? Rachelustig Menschen zwischen die Beine werfen, die mich mehrfach gequält, verfolgt, gedemütigt haben? Nein, vieltausendköpfige Leserschaft, ich bin ein - ach woher >DER< Gutmensch, ich lass es liegen, jeder der eins braucht soll sich eins nehemen: Gehet hin und mehret euch, ihr wackeren Stöckchen. *Vorhang fällt langsam, Heiligenschein wird abgedimmt* …

ACH NEEEE: *Vorhang öffnet sich ruckartig, Heiligenschein implodiert* Doch lieber ohne und ordentlich Rache nehmen und das Stöckchen weiterwirbeln an den Remstalrebell und Wahlschwaben Redunzl, eins werf ich zu der Eidgenossin für die gewonnenen Schwabenkriege, die Frau Polly soll auch nicht immer nur über die Insel nachdenken sondern über eigene Unzulänglichkeiten, Frau Schnatterliese sich nicht tagelang still (!) daran erfreuen, dass ihr kein Unglück widerfährt, die sehr Kritische Masse muss schon allein deswegen eins bekommen, weil der nichts kurios sein sollte und der unvergessene Bon-Jovi-Head-Banger soll auch nicht ohne Feuerholz bleiben …

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