Donnerstag, 15. Februar 2007

greatest happiness

Wegen seiner immensen Rohstoffvorkommen an Kölsch und Mettbrötchen gilt Köln für zahlreiche Bewohner des Rheinlandes als eine der (erlebnis-)reichsten Städte der Welt, um provokativ mal das Wort „Weltstadt“ zu vermeiden. Nicht zuletzt deshalb strömen aus dem Umland einem kollektiv praktizierten, wiederkehrenden Ritual gleich, allabendlich erlebnishungrige Angehörige der Landbevölkerung in die Kölner Innenstadt. Bevorzugtes Beförderungsmittel ist hierbei neben den weit ins öde Land ausgreifenden Straßenbahnen Kölns der Vorortzug den Herr Mehdorn fahrlässig und zu viel versprechend „Regional-Express“ nennen lässt.

Als ich die Tage in einem solchen „Express“ sitzend die ridikül-clowneske Mütze der mir gegenüber auf der Bank hüpfenden etwa Achtjährigen lobe, in Hoffnung die offensichtlich völlig überzuckerte, hysterisch auf dem Sitz Stampfende (deren Mutter sicher unentwegt die drei Buchstaben „ADS“ im Munde führt, wenn die Sprache auf dieses engelsgleiche Wesen kommt) möge sich durch maßvolle Komplimente etwas beruhigen. Ich bekomme ein trockenes „Klappe Du Dickarsch“ zur Antwort und schließe hieraus nicht nur auf erkleckliche Erziehungsdefizite sondern auch darauf, dass es sich wohl gar nicht um eine Verkleidung handeln soll.

In der Tat habe ich insbesondere in diesen Zeiten auch in stocknüchternem Zustand etliche Mühe, Mitmenschen dahingehend zu beurteilen, ob ihre Bekleidung karnevalistisch begründet ist oder ganz und gar ernstgemeinte respektive sogenannte Alltagskleidung darstellen soll. Nicht immer ist es so leicht wie bei meiner Nebensitzerin, die sich blinkende rote Hörner auf dem Kopf tragend einen rotschwarzen Dreizack auf die Wange gemalt hat und so jedem offen legt, dass sie sich für teuflisch hält resprektive so gesehen werden will, soll und kann.

Kaum ist die achtjährige Krawallmacherin in irgendeinem unaussprechlichen Kaff zwischen Bonn und Köln ausgestiegen, nimmt mir gegenüber ein offensichtlich als Callgirl verkleideter Teenager Platz: Ein silberfarbener Minirock in dem ein unbedarfter Bonner Ministerialbeamter auch eine breitere Krawatte hätte vermuten können, kombiniert mit goldenen High-Heels und einer ebenfalls goldenen Handtasche aus Krokodillederimitat. Neben ihr ein offensichtlich als eine Mischung aus Blues Brothers und Cherno Jobatey verkleideter Junge: Der arg zerknitterte schwarze Anzug wurde dabei wenig originell mit weißem Hemd und weißer Krawatte zu weißen Turnschuhen mit vierfingerhohen Plateausohlen kombiniert. Dazu trägt er selbstverleugnend eine Stevie-Wonder Sonnenbrille. Beide haben sich, wie ich bald erfahre, ins Kino verabredet und sehen sich selbst vermutlich gar nicht verkleidet.

Als sich dann noch ein älteres Pärchen in mein Blickfeld schiebt, sie mit federn-puschigem rosafarbenem Hütchen, er als früher Helmut Schmidt verkleidet mit Lotsenmützte, ganz der Tüp, der in der Kritik der reinen Vernunft einzelne Sätze anstreicht, an den Rand mit Bleistift „sehr richtig“ schreibt und mit Ausrufezeichen versieht. Was will mir die Frau im grellroten Mantel zu verstehen geben, die mir eine prall gefüllte Tragetasche entgegenreckt auf der „Ja ich will …“ steht? Geht’s denn noch eindeutiger? Beim Aussteigen dann fand sich doch noch das desillusionierende Verb „… sparen“ auf der Tüte ein.

„Erfahrung ist verstandene Wahrnehmung“ lehrt uns Kant Bescheidenheit [Kant, I.: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können, 1783] und es ist wohl doch „das Verstehen“ mein Problem. Ich bin nun mal ein Immi, ich muss das nicht alles verstehen und beschliesse, dass es sich hierbei um ein bislang noch ganz und gar unerforschtes Phänomen Südkölner Vorortzüge handelt oder gar die Folge von fehlgeleiteten Maximen zur Beförderung der greatest happiness for the greatest number?

Aber was beklage ich mich? Anderwo gehts noch viel dummdreister vonstatten: Hunderte Diletantinnen im langen Abendkleid und Diletanten im Frack werden ihn um 22 Uhr eröffenen, die Netrepko fährt in den Saal mit einer originalrestaurierten Kutsche ein, vom Herrn Glaubstdunicht höchstpersönlich kutschiert. Ein ehemaliger Nicaragua-Helfer darf auch erstmals die gefrackte Ordensbrust herzeigen und der Herr Mörtel hat heuer die Paris Hilton eingeladen von der zu hoffen ist, dass sie von den Afterwinden des Zeitgeistes weggeblasen wird heute abend und wenigstens ihre Unterwäsche beinander hat.

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