Freitag, 12. September 2008

We do not care for amusement, help yourself

Das Leonardo in der Princess Street gilt wohl gemeinhin als „very posh“, die Kellner tragen jedenfalls keine Tennissocken und geben sogar vor, Italienisch zu verstehen. Und wären da nicht die wuchtig-tosenden Abbrucharbeiten am Gebäude gegenüber – nachts um zehn Uhr für meine Ohren sehr gewohnheitsbedürftg aber die Wirtschaftskrise muss ja irgendwie abgewendet werden – die bedingen, das wir uns am Tisch nur laut brüllend und heftig gestikulierend verständigen können, müsste man dieser Einschätzung wohl zustimmen.

Die Softwareentwicklung in dieser Größenordnung, sagt John das ‚dieser’ affektiert lang betonend, sei doch eigentlich mehr als schräge (von ‚weird’ war die Rede bis hin zur ‚alienation’), der Espresso war geräuschvoll getrunken und er lehnt sich sehr demonstrativ in den schwarzen Lederstuhl zurück um Vertraulichkeit zu demonstrieren wie im Marketing-Lehrbuch. Wir werden, da sei er sich ganz sicher, schon einvernehmlich zusammenkommen, sagt er mit aufgesetztem Lächeln nach diesem neuerlichen Bestechungsversuch. Der Barolo, antworte ich ebenso verbindlich lächelnd unterkühlt wie ausweichend, war wirklich ausgezeichnet und ein verstohlener Blick auf die Rechnung weist über fünfhundert Euro für die zwei Flaschen auf. Der ganze Tisch hat jeden Versuch der Unterhaltung aufgegeben und scheint nur noch unseren Schaukampf mitzuverfolgen.

John ist der unumstrittene Provinzfürst und hier, wenn man einmal von dem Lärm absieht, ganz in seinem Revier. Das zeigt er freilich auch mit jeder etwas zu sehr einstudierten Geste. Und schon deshalb erwidere ich trocken während er sich so demonstrativ wohlzufühlen scheint – dass ich abgesehen vom italienischen Roten noch nicht sehr überzeugt bin was ich bislang gesehen habe. Und er zeigt prompt jenen gequälten Gesichtsausdruck den ich goutiere. Nur damit Bewegung in die Sache kommt schlage ich vor noch einen Grappa zu nehmen.

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[Coburg Street, Cork]

Viel später, im Sin é in der Coburg Street, einer Kneipe, die ich seinem verkrampften Repertoire so gar nicht zugetraut hätte, und während der Sänger mich mit „she’s got everything she needs, she’s an artist“ aus der die Tage so sorgsam behüteten Bahn zu werfen droht, gesteht John mir in dem blechernen weinerlichen Ton, den nur rechtschaffen Betrunkene zu beherrschen scheinen, dass sein Leben irgendwo bitterböse feststeckt zwischen halbbezahlter Vorstadtvilla, drei missratenen Kindern und einer verhärmten Ehefrau mit der sich keine Gemeinsamkeiten mehr finden. Ruckartig beugt er sich zu mir herüber, jegliche Konvention zwischenmenschlichen Abstand betreffend missachtend und raunt mir mühsam lallend mit glasigen Augen ins Ohr: „I am fuckin pissed, see ya“, erhebt sich umständlich und wankt wie ein schwermütiger Tanzbär, dem vorschnell die Freiheit versprochen wurde, zu seinem fetten schwarzen Dienstwagen, den er in dieser Nacht nicht ohne erhebliche Kratzer nach Hause bringen wird.

Warum vertrauen mir solche Typen immer wieder solche Dramen vom menschlichen Scheitern durch Erfolg an? „Manchmal“, so werde ich zwei Beamisch später zu Eamon, dem in die Jahre gekommenen grauhaarigen Sänger aus Chicago sagen, „manchmal sehnen sich Menschen nach all dem was sie zurückgelassen haben um erfolgreich zu sein.“ Und wie zwei sehr alte Männer hängen wir düster den Worten nach, wer hätte schliesslich noch nichts Nennenswertes zurückgelassen?

Und dann ist er wieder auf die Bühne gegangen und hat für meinen Geschmack etwas zu nachdenklich-zögerlich „it all everything is all right“ angestimmt und mir dabei zugezwinkert, nachdem er sehr launisch den zweiten Live-Block eingestimmt hat mit der Aufforderung “we do not care for amusement, help yourself”. Ich reime mir hastig ridikül noch was fürs Karmakonto, winke Eamon freundschaftlich zum Abschied und er singt zurck „It ain’t home till you take the wheels off“. Da trolle ich mich doch besser grübelnd fort in die feuchtkalte Dämmerung.

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