Herr A. kam nicht bis Düsseldorf
„Visions, Missions, Exit-Strategien – ich mache was sie so brauchen“ antworte ich ihm über meine Lesebrille hinwegblickend mit sorgfältig einstudierter Überheblichkeit auf seine Frage, ob ich als „Philosoph“ auch für Finanzdienstleister beratend tätig würde. Es gelingt mir dabei so gerade eben, dem Geflunker nicht auch noch eine Verbindlichkeit zu unterlegen, als ob es gelte zwischen uns einen Bausparvertrag für die nächsten dreißig Jahre auszuhandeln.
Ein Banker aus Düsseldorf ist mein Gegenüber den die verheerenden Fehlspekulationen der letzten Monate stetig weiter nach oben befördert haben. Nun sitzt er mir in der üblichen schwarzen Le Corbusier-Sitzgelegenheit gegenüber wie sie Banker in ihre weiträumigen Vorstandsetagen zu stellen pflegen. An den Wänden dekorativ pop-artiges, sehr unaufdringlich und überaus stimmig inszeniert; ohne kleinste Brüche, die darauf hinweisen könnten, dass hier gelebt wird. Heißen Menschen, die Betonfluchten solcherart aufhübschen eigentlich immer noch ‚Raumausstatter’?
Aristoteles vertritt die These, dass das Ziel aller absichtlichen Handlungen das im „guten Leben“ verwirklichte Glück ist – lag es daran, dass er keinen Shareholder Value, ja gar keine Banker kannte? Über Ethik hatte er mich gebeten zu referieren, fünfundvierzig Minuten vor einer handverlesenen Zahl seiner Kollegen. Ich dürfe auch gerne, hat er, ganz um eine vertrauliche Atmosphäre bemüht, noch zweifach am Telefon nachjustiert, die aktuelle Bankenkrise „zum Aufhänger machen“.
Und so habe ich ihm den Gefallen getan und aufgehangen, bin professorenhaft konzentrische Kreise abgeschritten um seine Kollegen, die in den Freischwingern wippten wie Schulkinder es zu meiner Zeit taten, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Ich war unverfroren - und offen gestanden auch beschäftigt - genug gewesen mich nicht vorzubereiten, nur eine Handvoll Zitate auf einem USB-Stick, der war dafür jedoch der Etage sehr angemessen goldfarbengrell. Die anschließende Erörterung war jedenfalls so kurzatmig bemüht wie ziellos. Einer der Herren glaubte gar über so etwas wie Halbbildung zu verfügen, was freilich schnell und bestimmt ausgeräumt werden konnte. „Sehen Sie, dafür verstehe ich so gar nichts vom Optionshandel in Chicagoer Schweinehälften“ habe ich ihn später geflissentlich freundlich verabschiedet und zweifle zwischenzeitlich sehr, ob er für das Erkennen solcher Boshaftigkeit überhaupt mit hinlänglich Sensoren ausgestattet ist.
Ethik gilt für Aristoteles als eine philosophische Disziplin, die den gesamten Bereich menschlichen Handelns zum Gegenstand hat, diesen Gegenstand mit philosophischen Mitteln einer normativen Beurteilung unterzieht und zur praktischen Umsetzung der auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse anleitet. Die von den Sophisten vertretene Auffassung, dass es für ein Vernunftwesen wie den Menschen unangemessen sei, wenn dessen Handeln ausschließlich von Konventionen und Traditionen geleitet wird bereite hierfür den Boden. Spätestens seit Aristoteles die Auffassung vertrat dass menschliche Praxis grundsätzlich einer vernünftigen und theoretisch fundierten Reflexion zugänglich sei, wissen wir jedoch gesichert, dass Aristoteles nie bis Düsseldorf kam.
Die Frau meines Gastgebers wurde hinzubestellt zum abschließenden Abendessen in „kleiner Runde“. Sehr unüblich eigentlich solche Besetzung eines Geschäftstermins um einen Vertrag auszuhandeln und noch überraschender aber für mich recht schnell zu erkennen, dass mein Gegenüber seine Frau, eine deutlich jüngere Brasilianerin, in seiner zwischenzeitlichen Position scheinbar schon mehr als Stigma begreift denn als den üblichen Zierrat. Meine fünf Worte Português mit der ich sie begrüße führen jedenfalls zu einer für mitteleuropäische Managementkreise deutlich zu emotionalen Begrüßung. Sie stellt sich als „Vera Cristina“ vor und ihr Mann scheint fortwährend zu leiden unter den überaus sympathischen Missachtungen geltender Verhaltensregeln seiner heute zu bunt bekleideten Gattin.
Das abschließende Essen findet, gerade so als ob es gelte einen größtmöglichen Kontrast zur chromglänzenden Vorstandetage zu finden, in einer Art Cantina im Düsseldorfer Süden statt. Der „echte Geheimtipp“ erweist sich als ebenso fragwürdig wie vieles an diesem Tag und fügt sich schon deshalb überaus angemessen ein. „Also wir können von Ihnen“ sagt mein männliches Gegenüber mit jovialer Betonung auf dem „wir“ beim letzten Glas Tapada Grande tinto und meint damit nicht das vor mir sitzende ungleiche Ehepaar sondern das Unternehmen mit dem er sich überaus eifrig zu identifizieren scheint, „noch jede Menge profitieren“. Aber im letzten Moment hält er die kurz aufzuckende Hand zurück die mir den für einen derben Kuhhandel angebrachten Handschlag anzubieten scheint. „Profitieren?“ erwidere ich sicher eine Handbreit zu unterkühlt, „ging es nicht irgendwie um Ethik angesichts der Bankenkrise?“ und proste Vera Cristina demonstrativ eine Sekunde länger als wahrscheinlich angemessen zu.
„Nicht um zu wissen, was die Tugend ist, machen wir die Ethik zum Gegenstand unserer Betrachtung, sondern damit wir tugendhafte Menschen werden, denn was hätten wir sonst für einen Nutzen davon?“ [Aristoteles, Nikomachische Ethik]
„Ethik kann so wenig zur Tugend verhelfen, als eine vollständige Ästhetik lehren kann, Kunstwerke hervorzubringen.“ [A. Schopenhauer: Aphorismen]
Ein Banker aus Düsseldorf ist mein Gegenüber den die verheerenden Fehlspekulationen der letzten Monate stetig weiter nach oben befördert haben. Nun sitzt er mir in der üblichen schwarzen Le Corbusier-Sitzgelegenheit gegenüber wie sie Banker in ihre weiträumigen Vorstandsetagen zu stellen pflegen. An den Wänden dekorativ pop-artiges, sehr unaufdringlich und überaus stimmig inszeniert; ohne kleinste Brüche, die darauf hinweisen könnten, dass hier gelebt wird. Heißen Menschen, die Betonfluchten solcherart aufhübschen eigentlich immer noch ‚Raumausstatter’?
Aristoteles vertritt die These, dass das Ziel aller absichtlichen Handlungen das im „guten Leben“ verwirklichte Glück ist – lag es daran, dass er keinen Shareholder Value, ja gar keine Banker kannte? Über Ethik hatte er mich gebeten zu referieren, fünfundvierzig Minuten vor einer handverlesenen Zahl seiner Kollegen. Ich dürfe auch gerne, hat er, ganz um eine vertrauliche Atmosphäre bemüht, noch zweifach am Telefon nachjustiert, die aktuelle Bankenkrise „zum Aufhänger machen“.
Und so habe ich ihm den Gefallen getan und aufgehangen, bin professorenhaft konzentrische Kreise abgeschritten um seine Kollegen, die in den Freischwingern wippten wie Schulkinder es zu meiner Zeit taten, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Ich war unverfroren - und offen gestanden auch beschäftigt - genug gewesen mich nicht vorzubereiten, nur eine Handvoll Zitate auf einem USB-Stick, der war dafür jedoch der Etage sehr angemessen goldfarbengrell. Die anschließende Erörterung war jedenfalls so kurzatmig bemüht wie ziellos. Einer der Herren glaubte gar über so etwas wie Halbbildung zu verfügen, was freilich schnell und bestimmt ausgeräumt werden konnte. „Sehen Sie, dafür verstehe ich so gar nichts vom Optionshandel in Chicagoer Schweinehälften“ habe ich ihn später geflissentlich freundlich verabschiedet und zweifle zwischenzeitlich sehr, ob er für das Erkennen solcher Boshaftigkeit überhaupt mit hinlänglich Sensoren ausgestattet ist.
Ethik gilt für Aristoteles als eine philosophische Disziplin, die den gesamten Bereich menschlichen Handelns zum Gegenstand hat, diesen Gegenstand mit philosophischen Mitteln einer normativen Beurteilung unterzieht und zur praktischen Umsetzung der auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse anleitet. Die von den Sophisten vertretene Auffassung, dass es für ein Vernunftwesen wie den Menschen unangemessen sei, wenn dessen Handeln ausschließlich von Konventionen und Traditionen geleitet wird bereite hierfür den Boden. Spätestens seit Aristoteles die Auffassung vertrat dass menschliche Praxis grundsätzlich einer vernünftigen und theoretisch fundierten Reflexion zugänglich sei, wissen wir jedoch gesichert, dass Aristoteles nie bis Düsseldorf kam.
Die Frau meines Gastgebers wurde hinzubestellt zum abschließenden Abendessen in „kleiner Runde“. Sehr unüblich eigentlich solche Besetzung eines Geschäftstermins um einen Vertrag auszuhandeln und noch überraschender aber für mich recht schnell zu erkennen, dass mein Gegenüber seine Frau, eine deutlich jüngere Brasilianerin, in seiner zwischenzeitlichen Position scheinbar schon mehr als Stigma begreift denn als den üblichen Zierrat. Meine fünf Worte Português mit der ich sie begrüße führen jedenfalls zu einer für mitteleuropäische Managementkreise deutlich zu emotionalen Begrüßung. Sie stellt sich als „Vera Cristina“ vor und ihr Mann scheint fortwährend zu leiden unter den überaus sympathischen Missachtungen geltender Verhaltensregeln seiner heute zu bunt bekleideten Gattin.
Das abschließende Essen findet, gerade so als ob es gelte einen größtmöglichen Kontrast zur chromglänzenden Vorstandetage zu finden, in einer Art Cantina im Düsseldorfer Süden statt. Der „echte Geheimtipp“ erweist sich als ebenso fragwürdig wie vieles an diesem Tag und fügt sich schon deshalb überaus angemessen ein. „Also wir können von Ihnen“ sagt mein männliches Gegenüber mit jovialer Betonung auf dem „wir“ beim letzten Glas Tapada Grande tinto und meint damit nicht das vor mir sitzende ungleiche Ehepaar sondern das Unternehmen mit dem er sich überaus eifrig zu identifizieren scheint, „noch jede Menge profitieren“. Aber im letzten Moment hält er die kurz aufzuckende Hand zurück die mir den für einen derben Kuhhandel angebrachten Handschlag anzubieten scheint. „Profitieren?“ erwidere ich sicher eine Handbreit zu unterkühlt, „ging es nicht irgendwie um Ethik angesichts der Bankenkrise?“ und proste Vera Cristina demonstrativ eine Sekunde länger als wahrscheinlich angemessen zu.
„Nicht um zu wissen, was die Tugend ist, machen wir die Ethik zum Gegenstand unserer Betrachtung, sondern damit wir tugendhafte Menschen werden, denn was hätten wir sonst für einen Nutzen davon?“ [Aristoteles, Nikomachische Ethik]
„Ethik kann so wenig zur Tugend verhelfen, als eine vollständige Ästhetik lehren kann, Kunstwerke hervorzubringen.“ [A. Schopenhauer: Aphorismen]
BusterG - 17. Jun, 00:45
Ich würde ja sagen, Nichts! Aber das reicht für 45 Minuten Vortrag nicht hin.
Hier in Berlin wird mittlerweile ja Ethik in der Schule unterrichtet, gelehrt und gelernt. Aber auch da habe ich meine Zweifel am Sinn und Erfolg solchen Unterfangens.
Die Banken haben sich „unethisch“ verhalten hätten die gerne gehört, vielleicht sogar noch ein theoretisches Rohrstöckchen auf blossem Managerhinterteil erwartet. Dabei wurde in dem hier diskutierten Fall einfach nur arrogant, dumm und in völliger Unkenntnis des Systems agiert. Ich werde die Geschichte in meinem Zentralwerk „Materialien zur kritischen Propädeutik des messianischen Busterismus“ hinreichend würdigen, sobald mein Schweigegelübde abgelaufen ist. Das ganze aufgeregte Ethikgedöns, die zahllosen Kommissionen seit den 90ern, ein bitterböses Unterfangen um zwielichtigste Entscheidungen zu rechtfertigen (vor wem auch immer). Ich halte es in jedem Fall für höchst sinnstiftend die ganzen „Ethikexperten“ mit einem ordentlichen Schweigegeld auszustatten und nach Mallorca auszufliegen. Zwischenzeitlich ist solch falschverstandene Rechtfertigungs-Ethik unverzichtbar wie die Metapysik.
Wenn Kinder in der Schule zum reflektieren über soziales Verhalten angeregt werden ist dagegen ja nicht wirklich Gewichtiges einzuwenden, aber das muss man ja nicht gleich „Ethik“ nennen und überhaupt waren die beiden „Ethik“-(Schul)Lehrer die mir bislang über den Weg gelaufen sind, mehr als fragwürdig aus- und vorgebildet. Nicht grade signifikant, ich weiß, aber ich bin von moralisierenden Pädagogen hinlänglich traumatisiert.
PS: Dein Name verlinkt falsch
Ich stamme ja noch aus einer Zeit, wo in der Einführungsveranstaltung des Zentrums für Wissenschaften (so nannte sich das in Gießen) über die Disziplin "Ethik" gesprochen wurden. Zusammen mit Begriffen wie Moral. Und Moral war beispielsweise etwas, was meines Erachtens damals nur mit Spießbürgerkeit übersetzt worden wäre, jedenfalls für 19-jährige Niedersachsen.
Über Tugenden und Tugendhaftigkeit zu reden, schiene mir damals ähnlich sinnlos zu sein. Ob wohl ich gewiss zu den ganz Tugendhaften gehört hatte. Und dann gab es auch noch Tugenthat oder wie der hieß. :-)
Ethik in der Schule hat wie Religion vielfach wenig Anhalt. Benotung von Ethik scheint mir wie ein totalitärer Widerspruch. Ich habe ja mal so ein paar Arbeiten der Tochter gelesen und die Bemerkungen der Lehrerin dazu. Manchmal hieße das Fach dann besser: Normung. (So hieß übrigens ja auch mal in meiner Schulzeit: Werte und Normen. - Interessant, dass einem das so spät jetzt einfällt.)