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Sonntag, 14. September 2008

Landgang: Gämuetlischkeid in Monktown

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[Affenstadt und letzter Landgang der Titanic]

In Monktown fand ich den Herrensitz des ländlichen Lords, das war grade mal einen Steinwurf entfernt von der Stelle an der die Titanic auf ihre erste und letzte Fahrt ging. Affen und untergehende (Dampf-)Schiffe also; sollten dies am Ende gütige Hinweise des Weltenlenkers für mich rastlos Wahrheitssuchenden sein oder doch wenigstens Elfenzauber die sich hierzulande ja in jedwede Angelegenheit einzumischen scheinen? Die Fahrt dorthin war jedenfalls ungewohnt qualvoll gewesen. Nun bin ich ja nicht zum ersten Mal in meinem erlebnisarmen Leben in einem Land, in dem auf der ganz und gar falschen Seite gefahren wird (aber noch immer steige ich stets auf der Beifahrerseite ein und empöre mich sehr über das plötzlich fehlende Lenkrad). Und hätte ich nicht unentwegt mein pyramidales „En-Ra-Ha“-Mantra auf den Lippen gehabt – wer solchen Witz nicht versteht, war dieses Jahr definitiv einmal zu wenig im Kino und muss nun einfach schauen wie er sein happygolucky bekommt, ich bin nun mal kein guter Witzeerzähler – und mir unablässig eingebläut links zu fahren, wäre ich nie und nimmer angekommen.

Das Gebäude jedenfalls war ein ungeahnter Ausbund an Scheußlichkeit und doch ausnehmend teuer am grünen Hang mit üppigem Meerblick gelegen. Der Architekt muss beim Entwurf sein zutiefst schizophrenes Wesen in therapeutischer Absicht ganz in diesem Bauvorhaben ausgelebt haben und hat so eine absurde Mischung aus bayerischem Toskanahaus, barockem Bauhaus, klassizistischem Jugendstil mit Südstaatenveranda und griechisch-römischen Kapiteln geschaffen – lediglich die frühägyptischen Entwürfe scheinen, warum auch immer, unberücksichtigt geblieben zu sein. Auf dem geharkten Kies vor dem Haus steht der arg zerschrammte nun doch deutlich weniger gediegen erscheinende Dienstwagen, enttäuscht stelle ich fest, dass keine Pferdeställe auszumachen sind, ich verkehre hier deutlich unter Niveau denke ich noch zur geselligen Einstimmung des folgenden Duells und strebe auf die massige, blutrote, gregorianische Eingangstüre zu, doch die Tür öffnet sich lange, bevor ich die in Bronze gehaltene Klingel erreicht habe – ich werde wohl erwartet.

Die ganz in rosa gekleidete, weißhaarige Gastgeberin schickt die – vermutlich polnische – Hausaltshilfe recht barsch in die Küche und mustert mich, ganz von Elisabeth verschonter Irischer Landadel, ebenso unverholen wie ungeniert ausführlich. Sollte es jemals, warum auch immer, eine Widerholung dieses Zusammentreffens geben, nehme ich mir trotzig vor, während ihre kleinen grauen Augen unablässig einen Scanningprozess durchführen, werde ich mir beim Kostümverleih einen ordentlichen Kilt besorgen und mir frech ein wasserdichtes enges verwandtschaftliches Verhältnis mit dem schottischen Hochadel zulegen. Kurz bevor ich wirklich ungeduldig zu werden drohe, setzt sie ein Lächeln auf, das aufgemalt nicht künstlicher wirken könnte und geleitet mich in die Bibliothek, in der der Provinzfürst in einem ridiklül-karierten, hellbraunem Tweedjackett im Lehnstuhl sitzt.

Gerade als er sich erhebt und mir vermutlich erklären will, ich möge es mir doch gemütlich machen – ein Ansinnen, das er mir seit Tagen vorbringt, gebe ich sehr kühl mein Erstaunen zum Ausdruck, dass doch eigentlich ein Meeting des gesamten Teams geplant war. „Das“ sagt er in einem mir ganz und gar verhasst-väterlichen Ton, „hätte er gecancelt, weil es doch besser sei, wenn wir beide erstmal ins Reine kämen und die ‚dirty tricks campaign’ ad acta legen“. Was er so nennen würde, antworte ich gespielt emotionslos im Tonfall eines desillusionierten Grundschullehrers, wäre andernorts ein gut geführtes Projekt. Und blicke durch die bodentiefen Fenster der Bibliothek auf die Bucht von Cobh, den Hafen von Cork.

Und obwohl es gerade mal Afternoon und somit bestenfalls Teatime ist, macht er noch mal einen vermutlich letzten Anlauf und führt mir seine sehr beachtliche Whiskey-Sammlung vor. Immerhin insofern will ich seiner Vorstellung von Gemütlichkeit (Landlord himself spricht das immer höchst pseudo-german ‚gämuetlischkeid’ aus) und entscheide mich – auch, aber selbstredend nicht nur um ihn zu ärgern – für einen dreißig Jahre alten Malt von den Outer Hebrides. Ach, und dann wurde das irgendwie doch noch gar nicht so aufgesetzt wie befürchtet und ich bin dank Karma und dem magischen Wissen um die Bedeutung des „En-Ra-Ha“-Zaubers einige Gläser später auch bustermässig-cool nach Hause gekommen, ohne nennenswerten Schaden anzurichten und das ganz fern der Heimat und auch und vor allem der sehr Geliebten wohlgemerkt! Aber beim nächsten Mal – soviel ist ganz und gar sicher – erscheine ich als hochgeadelter Scotie MacBuster im altehrwürdig-kariertem Kilt.

Samstag, 13. September 2008

Vermischtes

Der Lord hatte gestern zwei Pflaster auf der Wange und war überhaupt recht wortkarg, wahrscheinlich hat er den ganzen Tag darüber gegrübelt was er mir zu später Stunde wohl alles anvertraut hat, für morgen ist jedenfalls mit einer Einladung auf seinen Herrensitz der nächste Bestechungsversuch geplant. Und so kann ich endlich mal über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens in Cork berichten, die natürlich unter der Rubrik „Vermischtes“ kolportiert werden müssen.

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[Paul hat sich diese Jahr mal was ausgedacht]

Gestern war der Tag an dem in ganz Cork gesammelt wurde für das Marymount Hospice spätestens am Mittag waren alle Gutmenschen an einem Aufkleber an der Jacke erkennbar den es fürs Spenden gab und nickten sich unablässig gegenseitig respektvoll zu fürs gut sein. Und weil die meisten ehrenamtlichen Sammler junge Frauen sind und er im letzten Jahr auf dem vorletzten Platz der Spendenstatistik landete, hat sich Paul dieses Jahr mal etwas ausgedacht wie er mir augenzwinkernd anvertraute und hielt mir seinen grünen Sammeleimer lachend gleich noch dreimal hin mit der Aufforderung: „Gimme more, gimme more!“.

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[Vince und seine Schmuggelware]

Vince steht seit zwanzig Jahren meist vor seinem Gemischtwarenladen in der Cornmarketstreet und ist immer zu einem Schwätzchen mit den Kunden aufgelegt. Nahezu jeder Vorübergehende grüßt ihn. Nur auf die Frage einer Kundin woher denn seine seltsam zusammengestellte und obskur verpackte Ware komme, wird er sehr einsilbig. „Schmuggelgut ist das, ganz klar“ hilft ein älterer, fast zahnloser Mann neben mir aus und alle lachen verschwörerisch ganz wie in alten Zeiten als es noch gegen die Engländer ging.

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{Die Wahrheit von Mr. O’Connor]

Mr. O’Connor ist der beste Fischhändler und überhaupt einzige im English Market, der sein Handwerk ordentlich gelernt hat. Das jedenfalls erzählt er ausführlich seiner Kundin während die Aufnahme entsteht. Die verdreht sichtlich die Augen und flüstert mir ins Ohr, er texte sie nunmehr seit zehn Jahren zweimal pro Woche damit zu. „Wahrheit muss gesagt werden“ versuche ich Gebrauchsphilosoph mehr recht als schlecht zu trösten und Mr. O’Connor hackt dabei den Fischen mit einer Inbrunst den Kopf ab, als wärs Maria Stuart herself. Aber da kommt schon der nächste Kunde und der Mister hebt an ihm zu erklären er sei der beste und überhaupt auch einzige …

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[Eli O’Donnell behind bars]

Eli arbeitet seit über zehn Jahren hinter Gittern beim Taxiservice und ist eine echte Nachfahrin der O’Donnells die die englische Streitmacht bei Yellow Ford 1598 vernichtend geschlagen haben (das Datum wusste sie nicht allzugenau, aber ich konnte da nachhelfen mit einem teutonischen Reiseführer, was sie mit einem freundlich-breiten Lächeln quittierte und auch gleich noch mal ihren Namen gedruckt sehen wollte in dem gelben Büchlein). Was ein historischer Unsinn sie ausgerechnet ‚Elisabeth’ zu nennen, war es doch die gleichnamige Britische Königin die als Reaktion auf die verlorene Schlacht weitere zwanzigtausend Soldaten nach Irland entsandt hat, die den Fürstenaufstand 1603 beendet und fast alle Irischen Adeligen ermordet hat! Die Gäste sind meistens nett, aber sie fühlt sich doch besser geschützt hinter Gittern, selbst Iren können mal unfreundlich werden, sagt sie etwas verlegen. Ich durfte sie nur fotografieren, wenn ich für Shandon Cabs Werbung mache. Was ich hiermit tue: Wer also in Cork ein Taxi benötigt wähle künftig immer nur noch 505522. Immer, bitte.

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[Picture of Love]

Und da war da auch noch Sadie, die, kaum hatte sie mich auf der Strasse mit der Canon hantieren gesehen, auf mich losgestürzt ist und darauf bestanden hat, dass ich unbedingt ein Foto von ihr und dem neuen Freund Rob zu machen habe. Sie hatten sich eben erst kennen gelernt und nun musste dringend ein gemeinsames Bild der Liebe her. Als ich beide fragte, ob ich das Bild veröffentlichen darf, haben sie beide darauf bestanden, das müsse der Welt gefälligst kundgetan werden und wehe ich würde das Bild nicht zügig per MMS auch an sie schicken samt der Internetadresse des Blogs bei dem die Menschheit erstmals von dieser glücklichen Verbindung erfahren hat. „Da girl u met + made u thice a photo“ hat sie mir neben die Nummer geschrieben damit ichs bloß nicht vergesse und als ich beiden, keine halbe Stunde später im Gallagher in der Mac Curtain Street wieder begegne, haben sie sich eng umschlungen beschwert, dass noch immer kein Bild angekommen sei.

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[Dress for success]

„This season fall in love with sexy checks, leopard print, and ultradeluxe faux-fur“ empfielt der Modekenner Julien Macdonald gestern in der Beilage des Irish Examiner dringend. Es hält sich aber keiner dran, nicht mal die Puppen und über Iren und Mode zu schreiben geht doch so was von gar nicht! Darüber soll man schweigen, doch, doch.

Freitag, 12. September 2008

We do not care for amusement, help yourself

Das Leonardo in der Princess Street gilt wohl gemeinhin als „very posh“, die Kellner tragen jedenfalls keine Tennissocken und geben sogar vor, Italienisch zu verstehen. Und wären da nicht die wuchtig-tosenden Abbrucharbeiten am Gebäude gegenüber – nachts um zehn Uhr für meine Ohren sehr gewohnheitsbedürftg aber die Wirtschaftskrise muss ja irgendwie abgewendet werden – die bedingen, das wir uns am Tisch nur laut brüllend und heftig gestikulierend verständigen können, müsste man dieser Einschätzung wohl zustimmen.

Die Softwareentwicklung in dieser Größenordnung, sagt John das ‚dieser’ affektiert lang betonend, sei doch eigentlich mehr als schräge (von ‚weird’ war die Rede bis hin zur ‚alienation’), der Espresso war geräuschvoll getrunken und er lehnt sich sehr demonstrativ in den schwarzen Lederstuhl zurück um Vertraulichkeit zu demonstrieren wie im Marketing-Lehrbuch. Wir werden, da sei er sich ganz sicher, schon einvernehmlich zusammenkommen, sagt er mit aufgesetztem Lächeln nach diesem neuerlichen Bestechungsversuch. Der Barolo, antworte ich ebenso verbindlich lächelnd unterkühlt wie ausweichend, war wirklich ausgezeichnet und ein verstohlener Blick auf die Rechnung weist über fünfhundert Euro für die zwei Flaschen auf. Der ganze Tisch hat jeden Versuch der Unterhaltung aufgegeben und scheint nur noch unseren Schaukampf mitzuverfolgen.

John ist der unumstrittene Provinzfürst und hier, wenn man einmal von dem Lärm absieht, ganz in seinem Revier. Das zeigt er freilich auch mit jeder etwas zu sehr einstudierten Geste. Und schon deshalb erwidere ich trocken während er sich so demonstrativ wohlzufühlen scheint – dass ich abgesehen vom italienischen Roten noch nicht sehr überzeugt bin was ich bislang gesehen habe. Und er zeigt prompt jenen gequälten Gesichtsausdruck den ich goutiere. Nur damit Bewegung in die Sache kommt schlage ich vor noch einen Grappa zu nehmen.

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[Coburg Street, Cork]

Viel später, im Sin é in der Coburg Street, einer Kneipe, die ich seinem verkrampften Repertoire so gar nicht zugetraut hätte, und während der Sänger mich mit „she’s got everything she needs, she’s an artist“ aus der die Tage so sorgsam behüteten Bahn zu werfen droht, gesteht John mir in dem blechernen weinerlichen Ton, den nur rechtschaffen Betrunkene zu beherrschen scheinen, dass sein Leben irgendwo bitterböse feststeckt zwischen halbbezahlter Vorstadtvilla, drei missratenen Kindern und einer verhärmten Ehefrau mit der sich keine Gemeinsamkeiten mehr finden. Ruckartig beugt er sich zu mir herüber, jegliche Konvention zwischenmenschlichen Abstand betreffend missachtend und raunt mir mühsam lallend mit glasigen Augen ins Ohr: „I am fuckin pissed, see ya“, erhebt sich umständlich und wankt wie ein schwermütiger Tanzbär, dem vorschnell die Freiheit versprochen wurde, zu seinem fetten schwarzen Dienstwagen, den er in dieser Nacht nicht ohne erhebliche Kratzer nach Hause bringen wird.

Warum vertrauen mir solche Typen immer wieder solche Dramen vom menschlichen Scheitern durch Erfolg an? „Manchmal“, so werde ich zwei Beamisch später zu Eamon, dem in die Jahre gekommenen grauhaarigen Sänger aus Chicago sagen, „manchmal sehnen sich Menschen nach all dem was sie zurückgelassen haben um erfolgreich zu sein.“ Und wie zwei sehr alte Männer hängen wir düster den Worten nach, wer hätte schliesslich noch nichts Nennenswertes zurückgelassen?

Und dann ist er wieder auf die Bühne gegangen und hat für meinen Geschmack etwas zu nachdenklich-zögerlich „it all everything is all right“ angestimmt und mir dabei zugezwinkert, nachdem er sehr launisch den zweiten Live-Block eingestimmt hat mit der Aufforderung “we do not care for amusement, help yourself”. Ich reime mir hastig ridikül noch was fürs Karmakonto, winke Eamon freundschaftlich zum Abschied und er singt zurck „It ain’t home till you take the wheels off“. Da trolle ich mich doch besser grübelnd fort in die feuchtkalte Dämmerung.

Mittwoch, 10. September 2008

And not be touched by blue

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[St. Patricks Quay und Lee, Cork]

"He brushed away the thunder, then the clouds,
then the colossal illusion of heaven. Yet still
The sky was blue. He wanted imperceptible air.
He wanted to see. He wanted the eye to see
And not be touched by blue."

[W. Stevens: Lanscape with boat]

Montag, 8. September 2008

Feuchtigkeit: 93%

Dienstag: Regen
Mittwoch: Überwiegend bewölkt mit Niederschlag
Donnerstag: Schauer
Freitag: Durchziehende Wolkenfelder

Samstag, 6. September 2008

Nadelarbeit: gut

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[Birgit Rüberg: Service, 2008]

Kunst mit Nadel und Faden ist zu sehen im Rahmen der Ausstellung Nadelarbeit: gut bis 16. November im museum für verwandte kunst im belgischen Viertel, Köln.

Sonntag, 31. August 2008

Bloß zum Verkaufe: Nächstenliebe, Selbstkritik und Waschen

„Selbstkritik ist ebenso notwendig, wie es notwendig ist, zu waschen“ ist von der Rede von Maxim Gorki „An die 2000 Pioniere in der Polarstadt Igarka“ von 1936 überliefert – und mir als einziger Satz der ganzen Rede hängengeblieben, analysiere das wer will, ich stehe da schon lange sehr drüber (meinethalben auch drunter) vor lauter sublimieren.

Nun leben wir ja heute gewiss in einer Zeit in der wenig Selbstkritik geübt wird und gleichzeitig dennoch gewaschen werden muss: Mal sich selbst, anderntags vielleicht auch die Wäsche oder – das ist mir jetzt ganz fremd – das Auto oder die Fenster. Zur fehlenden Selbstkritik kommt schließlich noch erschwerend hinzu, dass der Verbraucher heutzutage (und mag er auch ‚mündig’ und somit geadelt sein) nicht mehr so recht aus eigenen Stücken unterscheiden kann, ob er gerade das Kulturprogramm der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten verfolgt oder seiner Waschmaschine (Energieklasse tripplA+ versteht sich) bei der Schmutzwäsche zusieht. Nur konsequent scheint es daher dass auf den 160.000 Quadratmetern der Funkausstellung - pardon der internationalen Funkausstellung natürlich - die sehr künstlich gezogenen Grenzen zwischen Unterhaltung und täglicher Verrichtung (wie etwa dem selbstkritikfreien waschen) aufgehoben werden. Zu verwirrend dieser Gedankengang? Nun denn, dann übergebe ich ihn wie auch die Grenzziehung zwischen brown- und whiteware hiermit dem ortsansässigen Haus der Geschichte und komme – wenn meine erbaulichen Reden so wenig verstanden werden und auch weil schließlich ja der Kierkegaard vor lauter erbaulichen Reden am Ende doch arg christlich geworden ist – zu meinem eigentlichen Anliegen Ihnen eine kleine Anekdote über Hilfe am Nächsten (auch und selbst wenn er ungeliebt ist!) und die fast daraus folgende Umwälzung der herrschenden Verhältnisse zu skizzieren (zur allfälligen Erbauung und fürsorglichen Bestätigung Buster-gefälligen Lebenswandels versteht sich).

Als ich gestern mit allerlei Gepäck beladen zum Ausgang des hässlichen Hauses, das ich zu bewohnen derzeit gezwungen bin, strebe, sehe ich rechts in Höhe der sechs Briefkasten einen nicht unerheblichen Berg an Schmutzwäsche und inmitten des ganzen die ältere Dame die ein Stockwerk unter mir wohnt und mit der ich sagen wir einmal ein ‚gebrochenes’ Verhältnis pflege. Nun bin ich von Hause aus dazu erzogen worden, dass ich solch kompromittierende Situationen wie etwa Menschen die inmitten ihrer schmutzigen Unterwäsche in der Öffentlichkeit stehen wenn schon nicht übersehe so doch geflissentlich ignorieren sollte. Dies sei - so die stark ins pietistische hineinspielende Ansicht meines Elternhauses - für alle Beteiligte das Beste sprich Angenehmste. Natürlich muss ich nun schon rein sozialisationbedingt genau gegenteilig agieren und meine Ansprache war sicher auch der Tatsache geschuldet, dass jene ältere Dame durch mehrfache Intervention bei meiner im fernen Italien im doch höchstwahrscheinlich unvorstellbaren Luxus hausenden Vermieterin ursächlich für meine Kündigung zum Jahresende verantwortlich ist.

„Großer Waschtag heute?“ frage ich alle drei Worte unnatürlich langsam betonend um damit die Komik der Situation wenig filigran herauszuarbeiten und schaue begierig über ihre Schmutzwäsche grad so als gelte es zwischen den auf dem zimtfarbenen Steinboden verstreuten Wäschestücken einen faustgroßen Klumpen angespülten Bernsteins zu finden. Der Nachbarin ist solch eine schonungslos investigative Intervention freilich ausnehmend lästig wenn nicht gar peinlich. Dennoch hebt sie zu entschuldigenden Erklärungen an: Die Waschmaschine sei mitten im Waschen plötzlich stehen geblieben. In sechzehn Jahren sei solches noch nicht passiert und nun das. Der ganze Waschtag wäre verdorben, sie habe auch schon ihre Nichte verständigt, die nun mit dem Auto kommend das angefangene Werk bei sich zu Ende führen müsse.

Grad im unerklärbaren Affekt einer woher auch immer aufkeimenden Nächstenliebe Solidarität – manche mögen hier noch an das ganz gewiss ausgestorbene Wort ‚Gemeinsinn’ denken – schlage ich dieser (bislang mir nicht eben sehr verbundenen) Person vor, doch einfach meine Waschmaschine zu nutzen, die grade eben einen Meter neben der ihren steht. Die zwischenzeitlich zum vertraulichen Flurgespräch hinzugekommene, arg schmächtige Nichte vermag dies stark zu begrüßen – unablässiges Kopfnicken und Wiederholen der Worte „oh ja, oh ja“ scheinen dies jedenfalls offensichtlich zu bestätigen.

„Wozu muss eigentlich“ versteige ich mich nun in frühmorgendlich-sozialistischen Theorien des idealen Zusammenlebens „jeder eine Waschmaschine kaufen wo er sie doch nur ein paar Mal in der Woche benutzt?“ Solche rhetorisch geschulte provokative Frage bleibt freilich nicht ohne Widerhall: „Ja und im Urlaub“ fällt die ungeliebte Nachbarin wie zur Bestätigung ein „da benutzt man sie gar nicht“ und denkt auch diesem Gedanken lange und versonnen hinterher als gelte es noch eine heideggersche Weisheit aus dem Waschküchengespräch zu destilieren. „Oder nehmen Sie mal so etwas wie eine Bohrmaschine“ lege ich – entgegen meinen Gewohnheiten um diese Uhrzeit ungewohnt forsch nach – „jeder in der Straße, ja sogar im Haus hat eine und wie oft benutzt er sie?“.

Plötzlich merkten wir beide dann aber doch, dass das jetzt alles zu weit ging und so haben wir uns – kurz bevor in Bad Godesberg die Revolution ausgerufen wurde – aber dann doch unserer Grenzen besonnen und uns freundlich aber bestimmt verabschiedet nicht bevor ich ihr meine solide süddeutsche Waschmaschine und deren (geschätzte) fünfhundert Programmvariationen erklärt habe verbunden mit der Zusicherung sie könne „jederzeit in meiner Waschmaschine waschen“ und der freilich sehr unausgesprochenen Hoffnung, dass diese unsägliche Gemeinsamkeit ein schnelles und klares Ende habe. Spießer der ich bin werde ich froh sein, wenn ich auf solche Mitbürger nicht Rücksicht nehmen muss und zwar nur zweimal in der Woche wasche aber bitte doch wann ich will.

Und indem ich nun, verehrte vieltausendköpfipe Leserschaft, diese eigentlich peinliche Geschichte zur fürsorglichen Erbauung wie auch meiner selbstlos intensiven Selbstkritik dienend aufgeschrieben habe, sollte doch eigentlich wieder alles im Lot sein oder?

Nachsatz und Moral: „Was die Philosophen von der Wirklichkeit sagen, ist oft geradeso täuschend, wie wenn man bei einem Trödler auf einem Schilde liest: »Hier wird gerollt.« Käme man nun mit seiner Wäsche, um sie gerollt zu bekommen, so wäre man angeführt: denn das Schild steht da bloß zum Verkaufe.“ [S. A. Kierkegaard, Entweder-Oder]

Sonntag, 17. August 2008

Weltverbesserung, kulinarisch (very plenty)



[Chidi Kwubiri: R.S.V.P. Rice and stew very plenty, Installation 2008 (Ausschnitt)]

Heute Finissage in der Deutzer Brücke, Köln

Donnerstag, 7. August 2008

Laborbefund

Radiologische Anmutung
vor inzestuöser Klangtapete,
Fingerpreizend wie Blaupause die
Innenansicht als Wohnbeispiel für

Atemnot im Kaumlicht.
Flüssigmetallen dengelnd, sensend,
Gewährleistung träge verwesend im
Scharf staubigen Abspann.

Raubkopierter Schadensbericht,
Mondverschlungen unhörbar.
Sprachlos steinern ergraut,
Dazwischen: Fallende Sterne.

Samstag, 2. August 2008

Perspektivwechsel

„Kunst wird als Instrument für kulturelle Definition oder als Ware auf dem Kunstmarkt oder als ‚Glücklichmacher’ an der Wand hinter dem Sofa gebraucht. Eine Funktion hat die Kunst immer. Ich selbst spiele permanent mit der Frage der Funktion, was definiert die Funktion und was die Klischees über die Non-Funktion eines Kunstwerkes.“ [T. Rehberger, Interview 2008]
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[T. Rehberger: Cutting, preparing withbout missing anything – beeing happy about whats coming next, 1999 und Infections 2008]

In einer siebzig Meter langen Installation im Museum Ludwig
finden sich 25 Arbeiten aus fünfzehn Jahren unsystematisch aneinandergereiht. Möbelstücke, Papierblumen, Lampen aus Klettband, Prothesen, Videoregale und Plexiglasobjekte. Von Theaterscheinwerfern beleuchtet, werfen all diese Ausstellungsstücke Schattenbilder auf die gegenüber liegende weiße Wand eine Wandmalerei aus Licht, Schatten und Farbe.

[T. Rehberger: Kaputte Zwergenmutter 16, 2006 und Helgoland is boring 2005]

„Alle Skulpturen in dem Raum werden aus verschiedenen Winkeln so beleuchtet, dass sie Schatten an die Wand werfen. Es gibt eine meist flüchtig auf den Schatten skizzierte Wandzeichnung, die ich vor Ort gemacht habe. Mir gefällt der Gedanke, dass etwas Solides, Ausgeklügeltes, der Anfang von etwas Vagem und Unbestimmten sein kann. (…) Ich kann es (das Licht) als Strategie zum Perspektivwechsel einsetzen, im wörtlichen und im metaphorischen Sinne (…) Jetzt erst versteht man den Mechanismus des Werks an sich, es ist eine fast schon sezierische Sichtweise der Arbeit, plötzlich liegen die Organe frei“ [T. Rehberger, Interview 2008]

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Seit langen das beste...
Seit langen das beste Gedicht was ich gelesen habe....
Laura Kinderspiel - 12. Nov, 11:30
wow..
..echt "hot" diese Sonnenblumen.. seit langem die beste...
jump - 6. Sep, 11:53
Danke
Danke
huflaikhan - 28. Aug, 08:25
Ich mag sowas ja sehr...
Ich mag sowas ja sehr gerne lesen, vor allem richtig...
huflaikhan - 26. Dez, 16:15
Hatschi
... ok, bin wieder auf dem Boden der Tatsachen.. ;-)
jump - 17. Dez, 19:18
So weit!
Ja genau, also doch schon gar sooo weit ;-).
BusterG - 17. Dez, 00:26
Das ist in der Nordeifel:...
Das ist in der Nordeifel: Heimbach in Nebel und Sonnenschein.
BusterG - 17. Dez, 00:24
Geschätzte Wassertemperatur:...
Geschätzte Wassertemperatur: ca zwei Grad, also vielleicht...
BusterG - 17. Dez, 00:23
Danke
Danke
BusterG - 17. Dez, 00:21
Natürlich ist das ...
... AUCH an Dich gewandt. Ich würde doch sonst nicht...
BusterG - 17. Dez, 00:21

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