Sonntag, 17. Dezember 2006

Metamorphoses heute



[Hans Arp: Bewegtes Tanzgeschmeide, Bonzeplastik 1960/70]

[Nachtrag: Puzzlidee via - und dort gibts auch ein Schönes]

Samstag, 16. Dezember 2006

Von den Träumen (II)



Lorenz Cotter besaß ein kleines Gut in der Gegend von dem See Gur und gedieh dabei, denn er war ein guter, fleißiger Mann, der bis an seinen Tod still und ruhig darauf gelebt haben würde, wenn ihn nicht ein Unglück betroffen hätte, von dem ihr sogleich hören sollt. Nah am Wasser gehörte ihm ein feines Stück Wiesenland, wie man es sich nicht besser wünschen kann, um dessen Ertrag er aber schmählich gebracht wurde und niemand konnte sagen, durch wen. Ein Jahr um das andere fand es sich immer auf dieselbe Weise zu Grund gerichtet. Die Einfriedigung war im gehörigen Stand und kein Grenzstein verrückt; des Nachbars Vieh konnte keinen Schaden gestiftet haben, denn es war gekoppelt; aber wie es nun geschehen mochte, das Gras auf der Wiese wurde zu großem Verluste Lorenz völlig verdorben.
»Was in der weiten Welt soll ich nur anfangen?« sagte Lorenz Cotter zu Thomas Welch, seinem Nachbar, einem ehrsamen Mann: »Das bißchen Wiese, wofür ich schwere Abgaben entrichten muß, bringt mir so viel wie nichts ein und die Zeiten sind bitter schlecht genug, sie brauchten nicht noch schlimmer zu werden.«
»Ihr redet wahr, Lorenz« versetzte Welch, »die Zeiten sind bitter schlecht, aber ich glaube, wenn ihr bei Nacht wachen wolltet, ihr könntet bald dahinter kommen; Michel und Diether, meine beiden Jungen, sollen mit euch wachen, es ist zum Erbarmen, daß ein so ehrlicher Mann, wie ihr seid, auf so schimpfliche Weise zugrunde gehen sollte.«

[Jacob und Wilhelm Grimm: Irische Elfenmärchen, Die Kuh mit den sieben Färsen]

Freitag, 15. Dezember 2006

Von den Träumen



Nur das Sommergras ist noch da
von den Träumen
früherer Helden.

[Basho]

Donnerstag, 14. Dezember 2006

Vom zoon politicon und der Dienstleistungswüste

61 Jahre nachdem einen Steinwurf von meinen Schreibtisch entfernt eine Partei gegründet wurde, die sich auf die Fahnen geschrieben hat uns mit christlichem Sozialismus in den Untergang zu führen und 34 Jahre nachdem der letzte Mensch den Mond verlassen hat, ist die Menschheit allem Anschein nach trotz Karl Kraus Warnungen noch nicht untergegangen. Dies allerdings widerlegt „Die letzten Tage“ durchaus nicht: Ignoranz, Borniertheit, Doppelmoral und vor allem die Inkompetenz der so schlecht genannten „Entscheidungsträger“, also alles, was schon Kraus an den Rand des Wahnsinns getrieben hat, finden wir heute mehr denn je vor. Wir haben uns - schlimmer noch - daran gewöhnt.

„Der Mensch ist im wörtlichsten Sinne ein zoon politikon, nicht nur ein geselliges Tier, sondern auch ein Tier, das nur in der Gesellschaft sich vereinzeln kann.“ [Karl Marx, Kritik der politischen Ökonomie, MEW 13]

Die Vorweihnachtszeit kommt für Angestellte im Einzelhandel fraglos einer Charakterprüfung gleich. Ich selbst konnte die letzten Tage mehrfach feststellen, dass zur Adventszeit überdurchschnittlich viele Menschen in Buchhandlungen auftreten, die offensichtlich nicht in der Lage sind, den Beipackzettel ihrer Psychopharmaka zu lesen. Umso wohltuender sind da unkritische und vorbehaltlos konsumwillige Mitmenschen, wie ich eben einen angetroffen habe in der Schlange vor mir.

„Sie wünschen bitte?“
„Ein Buch.“
„An was haben Sie denn da gedacht?“
„Ein Buch für fünf Euro.“
„Irgendeine besondere Richtung?“
„Nein.“
„Für Kinder?“
„Nein.“
„Für eine Frau?“
„Nein.“
„Für Sie selbst?“
„Nein.“

Die Verkäuferin beginnt unkoordiniert zu blinzeln und sucht mit nervös-hektischen Blicken ihre Kollegin. Offensichtlich ist sie mit der Situation hoffnungslos überfordert. Hinter mir stehen an die fünf zunehmend unzufrieden werdende Kunden, ich überschlage die Wahrscheinlichkeit dass unter ihnen ein potentieller Amokläufer sein könnte und bin mir sicher, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis mir einer der Wartenden mit den Memoiren des Altbundeskanzlers aus Ungeduld und Angst, er könnte das Fest des Friedens verpassen, die Schädeldecke zertrümmert.

Neben mir türmen sich Bücher zu Knabenhohen Stapeln. Auf einem dunkelblauen mehrere Hundert Seiten dicken steht mit rotem Aufkleber hervorgehoben „Bestseller 5 €“. Ich nehme das Buch und drücke es dem vor mir Wartenden wortlos in die rechte Hand. Zustimmendes Gemurmel hinter mir zeugt von unverholenen Beifallsbekundungen. Der Mann nickt mir gütig zufrieden zu, legt die fünf Euro auf die Theke, schickt der Buchhändlerin einen mürrischen Blick hinterher, wohl um seinen Unmut über die unzureichende Beratung auszudrücken, und geht.

So macht man das.

Mittwoch, 13. Dezember 2006

In den letzten Tagen der Menschheit

„Der ist ein großer Schweinehund,
dem je der Sinn für Heine schwund“

schrieb Erich Mühsam in seinen ‚Schüttelreimen’ über Geburtstagskind Nummer eins. Nach anderthalb Jahren Amtszeit tritt dagegen der allen völlig unbekannte Vorsitzende des größten SPD-Landesverbandes zurück. Der Unbekannte will jetzt doch lieber ein bekannter Anwalt werden. Und das Geburtstagskind kommentiert

„Das ist schön bei uns Deutschen; keiner ist so verrückt, dass er nicht einen noch Verrückteren fände, der ihn versteht.“ [H. Heine: Die Harzreise]

Über die Autobahnvignette muss gar nicht mehr geredet werden, sie ist mal wieder vom Tisch noch ehe sie auf ihm war und sogar Nietzsche redet mal nicht nur über sich, das hat doch was:

„Den höchsten Begriff vom Lyriker hat mir Heinrich Heine gegeben ... Er besaß jene göttliche Bosheit, ohne die ich mir das Vollkommene nicht zu denken vermag ... Man wird einmal sagen, dass Heine und ich bei weitem die ersten Artisten der deutschen Sprache gewesen sind ...“

Schrieb Friedrich auch über Geburtstagskind Nummer eins. Die Bunzregierung verliert einen Rechtstreit in dem es darum ging, dass, wenn schon sie die Nichtraucher nicht schützen will, es sonst gefälligst auch keiner tun darf. Und natürlich ist es so, dass, wo es ein Geburtstagskind Nummer eins gibt, es meist auch eines Nummer zwei gibt und das, verehrte unzählbare Leserschaft, ist nicht minder anbetungswürdig und hat im übrigen den Heinrich-Heine-Preis 2004 viel zu spät und sehr zu recht eingestrichen.

Vier Schenker nah´n sich
bilderschwer –
wer schenkt Dir was,
was wünscht Dir wer?

Der erste sitzt am
Musenhort –
der wünscht das Wort
der wünscht das Wort

Der zweite greift nach
hoher Blum –
der wünscht Dir Ruhm
der wünscht Dir Ruhm

Dem dritten krault ein Weib
die Brust –
der wünscht Dir Lust
der wünscht Dir Lust

Der vierte dringt gleich
in sie ein –
das wird der
Reimverdränger sein.

[R. Gernhardt: Deutung vierer Miniaturen
aus der Manessischen Handschrift]

Am Sonntag, 17. Dezember 2006, zu nachtschlafender Zeit, wird ihm im Nordwestradio ein Hommage-Feature gegeben, vielleicht ist’s auch ein Feature zu einer Hommage, ich kenn mich da nicht hinreichend genug aus. Und als ob nicht alles schon bedeutungsschwer genug wäre, jährt sich heute zum 88 Mal der Jahrestag an dem der Vorabdruck „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus Jahren in der „Fackel“ erschien.

“Die Handlung, in hundert Szenen und Höllen führend, ist unmöglich, zerklüftet, heldenlos wie jene Leute, die unter der Menschheit gelebt und sie überlebt haben. Sie sind als Täter und Sprecher einer Gegenwart, die nicht Fleisch doch Blut, nicht Blut doch Tinte hat, zu Schatten und Marionetten abgezogen und auf die Formel ihrer tätigen Wesenlosigkeit gebracht.“ [Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit, Vorwort, 1918]

Also mal unter uns: Wozu brauche ich Winterreifen und einen Frisörtermin?

Dienstag, 12. Dezember 2006

Im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen



[Buster: Dezember auf dem Münsterplatz, 2006]

„Im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen, überall, wo ihr geht, könnt ihr nicht einen Schritt tun, ohne daß Zwangsherrschaft, Ungerechtigkeit, Geiz, Habgier euch voller Selbstsucht zurückstoßen. Überall, sage ich euch, werdet ihr auf Leute geraten, die euch zurufen: »Geh mir aus der Sonne!« – »Hebe dich weg! Du betrittst den Sand, den ich mir auf die Erde gestreut!« – »Kehr um! Du bist auf meinem Grund und Boden!« – »Zurück! Du atmest Luft, die mir gehört!«
Ja, ja! Der Mensch ist ein durstiger Wanderer; er bittet um Trinkwasser; man verweigert es ihm, und er geht zugrunde.
[Gustave Flaubert: Gedanken eines Zweiflers, 1838. Übers. A. Schurig]

Originaltexte

Montag, 11. Dezember 2006

Blauer Montag



[Buster: Rheinhafen, 2006]


Le Rhin

Ô Rhin, sais-tu pourquoi les amants insensés,
Abandonnant leur âme aux tendres rêveries,
Par tes bois verdoyants, par tes larges prairies
S'en vont par leur folie incessamment poussés ?

Sais-tu pourquoi jamais les tristes railleries,
Les exemples d'hier, ni ceux des temps passés,
De tes monts adorés, de tes rives chéries,
Ne les ont fait descendre et ne les ont chassés ?

C'est que, dans tous les temps, ceux que l'homme sépare
Et que Dieu réunit iront chercher les bois,
Et des vastes torrents écouteront les voix.

L'homme libre viendra, loin d'un monde barbare,
Sur les rocs et les monts, comme au pied d'un autel,
Protester contre l'homme en regardant le ciel.

[Alfred de Musset: Poésies posthumes]

Alle Gedichte

Sonntag, 10. Dezember 2006

Einmal als Abend im Rot den Tag vergaß



[E. Bosslet: Regenfänger. Skulpturenufer Remagen]

Einmal
als Abend im Rot den Tag vergaß
gründete ich auf dem Stein der Schwermut
die Zukunft
Vorgeburtliches Wiedersehen -
eine Melodie aus Meer gemacht
lief ihre Bahn -
Vielleicht ein Fisch am Äquator
an der Angel eine Menschenschuld bezahlte
und dann mein Du
das man gefangen hielt
und das zu retten ich erkoren war
und das in Rätseln weiter ich verlor
bis hartes Schweigen sich auf Schweigen senkte
und eine Liebe ihren Sarg bekam -

[Nelly Sachs: Einmal
als Abend im Rot den Tag vergaß]

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