Mittwoch, 27. Dezember 2006

Das Jahr ward alt



Das Jahr ward alt. Hat dünnes Haar.
Ist gar nicht sehr gesund.
Kennt seinen letzten Tag, das Jahr.
Kennt gar die letzte Stund.

[Erich Kästner: Der Dezember]

Dienstag, 26. Dezember 2006

Heimat – Versuch einer zwischenweihnachtlichen Reisereflexion

„Froh kehrt der Schiffer heim an den stillen Strom
Von fernen Inseln, wo er geerntet hat;
Wohl möchte auch ich zur Heimat wieder;
Aber was hab ich, wie Leid geerntet?

Ihr holden Ufer, die ihr mich auferzogt,
Stillt ihr der Liebe Leiden? ach! gebt ihr mir,
Ihr Wälder meiner Kindheit, wann ich
Komme, die Ruhe noch einmal wieder?“

[Johann C. F. Hölderlin: Die Heimat]




Also, so eine Heimat ist ja schon was Tolles. Obwohl, wenn du in der Heimat bist, ist sie oft gar nicht so toll. Deshalb gehst du woanders hin, sogar ins Rheinland. Aber selbst wenn man woanders hingeht, ist man wo daheim. So ist das.

Obwohl, wenn man weggeht, kommt man wohin, aber je schneller man geht, je kürzer ist man wo, dafür aber öfter, aber eben immer weniger daheim. Es gibt sogar manche, die sind nirgends daheim. So kann das kommen.

Mit einer Heimat gehörst du ja wohin. Andererseits, was ist, wenn es sie nicht mehr gibt? Man wohnt ja eigentlich immer wo. Manche wohnen trotzdem nirgends. Wer nirgends wohnt, der ist natürlich trotzdem wo, aber eben nicht in der Heimat. Meistens jedenfalls.

Man kann natürlich auch in der Heimat nirgends wohnen. Wer auf Dauer nirgends wohnt, der ist meist viel unterwegs. Die Frage ist dann eher: kommst du her oder gehst du hin? Obwohl, da musst du schon wissen, wo du bist. Ganz sicher.

Erst wenn du hier bist, kannst du sagen, du kommst von dort. Aber eigentlich kommt man ja gar nicht von dort. Man war vielleicht dort, aber man kommt von wo ganz anders, eigentlich jetzt. Aber viele sehen das gern auch mal anders. Ich nicht.

Und wenn du zurückkommst, bist du ja auch nicht mehr derselbe. Da ist ja nicht mehr viel von einem übrig, nicht dass man weniger wäre oder so, aber man ist eben inzwischen ein anderer. Selbst wenn die Heimat die gleiche wäre. Selbst dann.

Die Heimat, das ist wie ein Fluss, das fließt einfach so. Aber er ist halt nie gleich. Eigentlich gibt's ihn auch gar nicht, obwohl er lange schon fließt, aber eigentlich fließt er gar nicht, da jedenfalls nicht und mit jedem Tropfen ist er auch ein anderer, ist doch klar oder? Ganz klar.

Zu Hause ist die Heimat am schlimmsten zu ertragen Heimat wird mit jedem Kilometer Entfernung schöner. Und doch gibt’s Heimat bloß, wenn du dort bist. Andererseits ist alles Heimat - obwohl keiner bleibt ewig.



[Buster: Neckar III & IV, Heimat wird mit jedem Kilometer Entfernung schöner, 2006]

Montag, 25. Dezember 2006

Schaust rückwärts - Heimat



Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein. -
Wohl dem, der jetzt noch Heimat hat!

Nun stehst du starr,
Schaust rückwärts, ach! wie lange schon!
Was bist Du Narr
Vor Winters in die Welt entflohn?

[Friedrich Nietzsche: Vereinsamt]



[Buster: Neckar I & II, Heimat wird mit jedem Kilometer Entfernung schöner, 2006]

Sonntag, 24. Dezember 2006

De-Eskalationsversuch

Bürgerliches Weihnachtsidyll

Was bringt der Weihnachtsmann Emilien?
Einen Strauß von Rosmarin und Lilien.
Sie geht so fleißig auf den Strich!
Oh Tochter Zions, freue dich!

Doch sieh, was wird sie bleich wie Flieder?
Vom Himmel hoch, da komm ich nieder.
Die Mutter wandelt wie im Traum.
O Tannenbaum, o Tannenbaum.

O Kind, was hast du da gemacht?
Stille Nacht, heilige Nacht.
Leis hat sie ihr ins Ohr gesungen:
Mama, es ist ein Reis entsprungen!
Papa haut ihr die Fresse breit.
O du selige Weihnachtszeit!

[Klabund: Gesammelte Gedichte, Achter Kreis]



"Ich habe Sehnsucht nach dem elektrischen Rausch des Boulevards.
Nach Paris.
Nach den kleinen Dingen, die am Abend wie Porzellan blinken.
Nach dem dünnen Blumenmädchen,
die gegen einen Frank Honorar
im dämmrigen Hausgang mit einem onanieren.
Mein Kopf ist wie gehenkt.
Mein Kopf hängt lotrecht wie ein Kronleuchter von der Decke.
Meine Augen brennen wie Wachskerzen.
Sie duften.
Wie Weihnachten.
Ich bin Maria.
Ich werde den heiligen Geist unbefleckt empfangen."

[Klabund: Marietta. Ein Liebesroman aus Schwabing. Siebenter Kreis: Grotesken]

Samstag, 23. Dezember 2006

Wo der Wahn Sinn macht



Dschingl bälz dschingl bälz! Nu is aber wirklich genug, bitte umstellen auf Ostereier oder Alaaf oder was auch immer. Die längste Nacht jedenfalls ist Geschichte. Der Nachbar hat heute noch ein paar Illuminationen zusätzlich ans Haus genagelt - wo der Wahn Sinn macht graust mir nur noch.


In einer Nacht

In einer Nacht, die keiner kennt,
Substanz aus Nebel, Feuchtigkeit und Regen,
in einem Ort, der kaum sich nennt
so unbekannt, so klein, so abgelegen,
sah ich den Wahnsinn alles Liebs und Leids,
das Tiefdurchkreuzte von Begehr und Enden,
das Theatralische von allerseits,
das niemals Gottgestützte von den Händen,
die dich bestreicheln, heiß und ungewaschen,
die dich wohl halten wollen, doch nicht wissen,
wie man den andern hält, an welchen Maschen
man Netze flicken muss, dass sie nicht rissen -
ach, diese Nebel, diese Kältlichkeit,
dies Abgefallensein von jeder Dauer,
von Bindung, Glauben, Halten, Innigkeit,
ach Gott - die Götter! Feuchtigkeit und Schauer!

[Gottfried Benn: 1949]

Donnerstag, 21. Dezember 2006

Life's a ball, TV tonight



Be a loyal plastic robot
For a world that doesn’t care
Smile at every ugly
Shine on your shoes and cut your hair

[Frank Zappa: Brown Shoes Don’t Make It, Absolutely Free, 1967]

Mittwoch, 20. Dezember 2006

Lambsdorfen

Otto, Otto so mancher Wirtschaftskriminelle wird sich heute heimlich eine Träne aus den Augenwinkeln wischen. Im letzten Kriegsjahr achtzehnjährig und freiwillig in den Krieg gezogen und ein Bein für den Führer im Krieg gelassen. Unvergessen Deine profunde liberale Wirtschaftskompetenz, die im Satz gipfelte: „Mehr arbeiten, weniger Krankfeiern“. „Ein Mann mit Ecken und Kanten“ wie das Genscherl Dich herzlich beschreibt der ganz zu Unrecht alleine für Wankelmut beim Doppelkopf geehrt wird. Wegen geringfügigen Bagatelldelikten wie Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung verurteilt. Wie lächerlich, das macht doch heute jeder. Sehr zu Recht, Otto, hat man Dir das große Bundesverdienstkreuz verliehen. Verbrecher, Unverbesserliche, Hartgesottene wie Dich kann dieses Land mehr gebrauchen als Milch und Honig.

[Plakat Klaus Staeck, 1984]

Die kleine Anfrage



Allgegenwärtige Glühweinstände die spätestens um 10 Uhr geöffnet haben und allzeit bereit sind das lauwarm-wässrige Getränk durch Beigabe von doppeltem Obstbranntwein anzureichern und Dauer-Weihnachtsfeiern fordern erheblichen Tribut auch in Werbeagenturen. Wie anders etwa wäre eine Reklameschrift der Toom-Gruppe erklärbar in der der lächelnd-graumelierten Schwiegermutter das Lachsfilet für 1,49 als „der Tausendsassa in Ihrer Küche“ angepriesen wird, wohingegen die leichtbekleidete Geliebte rechts erst durch den „Premium Kodiak Wildlachs smoked“ für 3,99 Euro in umso unaussprechbareres Verzücken gerät? Welcher Verbraucherminister bitteschön schützt mich sensiblen Konsumenten vor solchen Flugschriften? Nun?

Dienstag, 19. Dezember 2006

Glühweihnachten

...
Orangenschälmesser
Socken
Crème brûlée-Hochleistungsküchenbrenner
Kravatten
Bortbackautomat
Digitalkamera


Was da nicht alles in plastikbunten Tüten nach Hause getragen wird vorbei an den ewig schlechtgelaunten weil vermeintlich immer zu wenig Umsatz machenden Einzelhändlern und spätestens am fünften Glühweinstand wird - Temperatur hin mangelnder Schneefall her, Rast gemacht, es ist schon ein Kreuz mit dem Friedensfest und dann kommt auch noch so ein christlich-fanatischer Kulturkämpfer vorbei und textet einen zu von wegen Verballermanisierung der Vorweihnachtszeit. Der Fanatismus ist ja laut Nietzsche die einzige 'Willensstärke', zu der auch die Schwachen gebracht werden können. Na denn mal prost.

Jean Cocteau, ein Bewunderer von Genet schieb am 6. Februar 1943 in seinem Tagebuch: „Ich glaube, dass es nur noch vier Exemplare gibt. Den Rest hat er zerrissen.“

„Oh mein alter Marino, oh liebliches Cayenne!
Ich sehe die Körper von fünfzehn bis zwanzig Sträflingen
Um einen blonden Knaben gebeugt, der die Stummel raucht,
Von den Wärtern in die Blumen und das Moos gespuckt.“

[Jean Genet: Der zum Tode Verurteilte.
Le Condamné à mort Übers. von G. Edler.
In F. Flemming (Hrsg.): Es waren härtere Tage. WA Bd VII]

Das Gehirn des Menschen hat sich im Lauf der letzten sagen wir rund 50 Millionen Jahre nicht wirklich nennenswert entwickelt. Aktuelle Forschungen wollen zwar herausgefunden haben, dass jener Hirnteil, der für das Sozialverhalten zuständig sein soll, sich seit den Einzellern deutlich vergrößert haben könnte. Pädophobiker sind da aber anderer Meinung, wenn eine Gruppe Jugendlicher auf sie zukommen und ihnen die in letzter Minute beschafften Geschenke

...
Grillschürze
Bratapfelzubereiter
Jahresrückblick mit 700 Farbfotos
Grosse Eismaschine
Weihrauch
Myrrhe
Gold
Mobiltelefon


abzunehmen drohen. Die Kriminalpolizei hat mal wieder nix besseres zu tun, als „Ruhe bewahren“ zu raten, wenn die halbe Bronx auf sie zukommt. „Augenkontakt vermeiden und wenn möglich ruhig die Straßenseite wechseln.“ rät der freundliche Herr Oberwachmeister im Radio eben. Dann sagt er noch was von wegen „nicht den Helden spielen“, aber ich hör schon gar nicht mehr zu, weil man mir ja gar kein

...
Mälzer-Kochbuch
Tastatursauger mit USB-Anschluss
Kerner-Kochbuch
Leselampe mit USB-Anschluss
Bio-Kochbuch
Kaffeewärmer mit USB-Anschluss
Lafer-Kochbuch
Weihnachtstischbäumchen mit USB-Anschluss
Schröderkochbuch


entwenden kann, weil ich ja seit über zwanzig Jahren gar nicht mehr weiß, was ein Weihnachtsgeschenk ist, geschweige denn wie schwierig das früher war, eins zu kaufen. Umso vehementer gilt es heute noch dem zweiten Geburtstagskind zu gedenken von dem der bereits oben erwähnte Jean Cocteau in sein ebenfalls oben erwähntes Tagebuch schrieb:

„Jedesmal, wenn sie singt, meint man, sie risse sich endgültig die Seele aus dem Leib.“

Non, rien de rien Non, rien de rien
Non, je ne regrette rien
Ni le bien qu'on m'a fait, ni le mal
Tout ça m'est bien égal

[M. Vaucaire: Je ne regrette rien, 1960]

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Laura Kinderspiel - 12. Nov, 11:30
wow..
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BusterG - 17. Dez, 00:23
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Natürlich ist das ...
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BusterG - 17. Dez, 00:21

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