Donnerstag, 22. Februar 2007

Die menschliche Existenz

Die menschliche Existenz ist ja nach Geburtstagskind Schopenhauer grundsätzlich „eine Art Fehler“ und spätestens heute, wo in Passau die „Wir sind Stoiber“-Transparente eingerollt werden – ein zünftiges „Vergelts-GOTT“ noch an das CSU-Mitglied aus dem Kreis Straubing-Bogen für diesen originellen Claim – müssen wir uns doch alle fragen, wer diese Art von Fehler dereinst verantworten wird, dass der Stoiber einfach so weggepaulit wurde.

Und so einen Lustigen wie den Edmund werden wir auch nicht mehr kriegen: Vorbei sind die Zeiten, als man an der Kneipentheke nur ein paar Mal „äh“ stottern musste und alle in Lachen ausbrachen, einen als großen Kabarettisten feierten und den Rest des Abends schulterklatschend mit Freibier versorgten. Politiker von morgen, Herrschaftszeiten, das sind solche wie Erwin Huber: ohne Ecken und Kanten, nicht einmal „ein richtiger Rausch als Zeichen ausschweifender Feierfreude“ [Leipziger Volkszeitung] ist von dem überliefert. Dass die CSU-Landrätin Gabriele Pauli gestern von Bodyguards geschützt werden musste, als sie die Halle verlassen wollte, ist immerhin tröstlich und zeigt, dass die Christsozialen noch weit davon entfernt sind, eine Partei zu sein.

Aber was war da gestern geboten am „größten Stammtisch der Republik“ [Reuters], dem 55. politischen Aschermittwoch: „Stoiber live und unplugged“ [focus online] war er vom wortgewaltigen CSU-Generalsekretär Markus Söder angekündigt. „Der Mann, der die CSU zur erfolgreichsten Partei Europas gemacht habe“, lobte Niederbayer Huber in der Kölnischen Rundschau und „Stoiber sei der Beste“ steigerte wiederum Söder ebenda hinterher um omnipräsent parallel in der Süddeutschen Zeitung - ganz Parteistratege - vom „Stoiber-Festival“ zu schwadronieren und damit gewissermassen die „bierdunstschwangere Atmosphäre“ [Süddeutsche Zeitung] als rhetorische Figur beschwörend, Stoibers „politische Heiligsprechung“ [focus online] vorzubereiten.

In Vilshofen ließ die SPD Stoiber zur Ehrerbierung „Muss I denn zum Städtele hinaus“ intonieren als „kleinen musikalischen Gruß nach Passau“ [Spiegel Online]. Von einer starken, gar „stärksten Rede“ berichtet der - traditionell unparteiische - Münchner Merkur: „Kämpferisch, emotional und bisweilen humorvoll“ sei er gewesen und die Basis habe ihn „dafür gefeiert wie einen Popstar“ [Münchner Merkur] und auch die FAZ zieht eine rundum „Gute Bilanz“, und sieht ihn „offen für Neues, für vieles, aber nicht für alles“. Keiner fordere so Werte von Heimat, Familie und unbedingter Loyalität ein und lässt uns seine überstürzte Flucht aus der Hauptstadt vergessen machen. Wer - außer Seehofer vielleicht - kann dort schon Leben? Die CSU ist eben vor allem Heimatverbunden und nur dann Weltoffen, wenn sich die Welt den Bayern angleicht und der Muselmann im Ramadan ein paar Weißwürsterl und das dazugehörige Weisbier als Brotzeit einnimmt während er aus dem Brauchtumskatalog ein fesches Dirndl für die Braut aussucht.

Was also kann eine verwirrte äh äh äh heimatverbundene Partei wie die CSU dazu gebracht haben, einen weitgehend intakten Politiker gegen seinen Willen in die Frühpension zu schicken? Hat nicht Kurt Beck Recht, wenn er gestern (wahrscheinlich unter Tränen) feststellt, es sei „bitter“ den Edmund so „abzumeiern“ und das sei „keine Art, mit Menschen umzugehen“ [Spiegel Online]? Sicher, das Sprachmodul war nicht immer voll funktionstüchtig aber sollte das der Grund sein für eine so einschneidende Maßnahme?

Die Wahrheit liegt ganz offensichtlich im Klimabericht und dem Hinweis, dass neben Kohlendioxid auch Methan- und Lachgas die heraufziehende Klimakatastrophe verursacht. Da hat sich die stets sorgende Sozial-Partei gedacht: Wenn der Australier auf die Glühbirne verzichtet, der Inder auf die heilige Kuh, dann ja dann müssen wir eben im Namen des großen Ganzen auf den Edmund verzichten, in der Hoffnung es werde künftig weniger Lachgas emittiert (was genuin chemisch zwar schierer Nonsens ist, aber halt schon arg menschlich).

Nun wissen wir seit Schopenhauer, dass in der streng kausal geordneten empirischen Welt, der Welt der Vorstellung, kein Platz ist für ohne rein-empirische Ursache handelnden Menschen was er uns und dem Edmund versucht hat in dem Satz mitzugeben: „Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.“ [A. Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, 1818/19] Und wirklich weiß die die Süddeutsche Zeitung, Stoiber habe zwar eine Abschiedsrede gehalten, „aber Abschied nehmen will er nicht“.

Aber wie, vieltausenköpfige Leserschaft, soll es nun weitergehen mit dem Edmund? Für eine verantwortungsbewusste Solidargemeinschaft stellt sich doch die Frage, wie Stoiber neuen Lebenssinn finden kann. Nicht dass Stoiber am Ende, aller Partei- und Führungsämter beraubt, ziellos durch den Bayrischen Wald streift, von Braunbärenjägern gehetzt. Wird ihn der Seehofer mal an seine Geliebte ranlassen und sich im Gegenhandel die Parteispitze erbeten? Einen wichtigen Hinweis auf sein künftiges Wirken hat der humorige Noch-CSU-Chef bereits vor acht Jahren der [Frankfurter Neue Presse, 15.06.1999] gegeben: „Ich werde eher Trainer von FC Bayern München als Kanzlerkandidat der Union.“ Na, dann hätten wir das doch auch gelöst.

Mittwoch, 21. Februar 2007

Leben ohne Elferrat

„Lassen Sie uns einmal allein sein, ohne Bücher, und wir werden sofort in Verwirrung geraten und ratlos sein und nicht wissen, wo wir uns anschließen und was wir festhalten sollen, was wir lieben und hassen, verehren und verachten sollen.“
[F. M. Dostojewskij: Aufzeichnungen aus dem Untergrund, 1864]

So, ich will doch sehr hoffen, dass nun alle ihr Aschekreuz ordentlich zur Schau stellen heute beim Teetrinken. Und wo es keine alten Palmwedel zum verbrennen gibt, tut es sicher auch die Asche aus den Papierschlagen und dem Konfetti. Der Herr GOTT wird da schon nicht Päpstlicher sein als der Ratzi. Ansonsten bitte ich noch darum auf das Halleluja und Gloria in den Kommentaren zu meinen einzigartig-vielgerühmten Beiträgen zu verzichten und möchte daran erinnern, dass es überaus gottgefällig ist, in der Fastenzeit rechtschaffen demütig zu sein, laut und öffentlich zu büssen, sich zu geißeln und „gute Werke“ zu verrichten. Falls Sie also öffentlich Fehltritte gestehen wollen, soll dies der richtige Platz sein und wenn noch Verwirrung darüber besteht, was heutzutage denn „gute Werke“ sind, fragen Sie Ihren Blockgeistlichen zuständigen Stellvertreter vom Herr GOTT auf diesem Planeten, den Edi Stoiber oder den Ethikbeauftragten des Einzelhandels.

Nachdem die „Mir alle sin Kölle“-Zeit unwiderbringlich perdu ist und nur noch Punkte in Flensburg wehmütig an diese schönste Jahreszeit erinnern, lärmt die Herz Jesu Kirche heute sehr aufdringlich-geschäftig zum Schreibtisch her. Ein Gebäude, dem Mensch von weitem ansieht, dass es hier etwas zu verteidigen gilt. Schmale Schiessscharten in einer abweisen Fassade bilden ein Bollwerk gegen die Ungläubigen, die Manifestation eines Steingewordenen Herzens. Dort jedenfalls findet nun an jedem Fastensonntag eine Predigtreihe zum Thema „Verwirrte Welt“ statt, die „von einer künstlerischen Verhüllungsinstallation begleitet werden“ wird, darüber hinaus werden die Messfeiern „in besonderer Weise musikalisch gestaltet“ [Quelle].

Nun ist der Herr GOTT ja bekanntlich persönlich verantwortlich für die Verwirrung der Sprachen und wird schon allein deshalb von Goethe-Instituten und allen Fremdsprachenlehrer über alle Massen verehrt. Aber geht es nicht doch ein bisserl zu weit, wenn Pfarrer Dr. Wolfgang P. die Irritation Irritierter und die Verwirrung Verwirrter durch „künstlerische Verhüllungsinstallationen“ verantwortungs- wie hemmungslos vorantreibt? Gilt hier womöglich nur, dass wer nicht überzeugen kann, wenigstens Verwirrung stiften sollte indem er in „besonderer Weise musikalisch gestaltet“? Was da wohl verhüllt werden wird in dieser fleischfernen Zeit? Wird am Ende gar ein lehrreiches Potpourri aus Bachchoral und Tokio Hotel gegeben wie ich es die Tage wenn schon nicht empfahl so doch anregte? Und wer alle Sünden in der richtigen Reihenfolge kennt, kommt in die Endausscheidung von Deutschland sucht den Superchrist?

Klar nennen wir mit Marcel Proust jene Gedanken, die „dasselbe Maß an Verwirrung haben wie unser eigener Geist“. Wenn ich jedoch von meinen Wirklichkeiten schreiben wollte, bräuchte ich Worte, die nur weitere Verwirrung erzeugten. Sollte ich nun also eine solche angerichtet, verursacht, erregt oder hervorgebracht haben, Sie in Verwirrung gebracht, gestürzt, gesetzt oder versetzt haben, Verwirrung entstanden oder ausgebrochen sein und nun herrschen, Sie mithin in Verwirrung geraten sein und sich nun in Verwirrung befinden, verhüllen Sie einfach mal was die Tage und lassen sich dabei in besonderer Weise musikalisch begleiten und für die ganz Unverbesserlichen wird die „ Predigtreihe später als CD erhältlich sein“ [ebd.] was freilich der „künstlerischen Verhüllungsinstallation“ so gar nicht gerecht werden will.

„dann was kan besser seyn, als weit von aller lust,
die vnser fleisch gebiert, jhm gantz sein wol bewust,
vnd den verwirrungen desz hertzens nicht verhengen“
[M. Opitz: Teutsche Poemata, 1624]

Dienstag, 20. Februar 2007

Der Winter

Das Feld ist kahl, auf ferner Höhe glänzet
Der blaue Himmel nur, und wie die Pfade gehen,
Erscheinet die Natur, als Einerlei, das Wehen
Ist frisch, und die Natur von Helle nur umkränzet.

Der Erde Stund ist sichtbar von dem Himmel
Den ganzen Tag, in heller Nacht umgeben,
Wenn hoch erscheint von Sternen das Gewimmel,
Und geistiger das weit gedehnte Leben.

[Friedrich Hölderlin: Der Winter]

Montag, 19. Februar 2007

Alle reden vom Fussball



... wir nicht.

Sonntag, 18. Februar 2007

noch alles klarmachen

„Auch wird man einsehen, dass Dummköpfen und Narren gegenüber es nur einen Weg gibt, seinen Verstand an den Tag zu legen, und der ist, dass man mit ihnen nicht redet.“ [Arthur Schopenhauer: Aphorismen]

Es ist ja nichts wirklich Neues, dass der heterosexuelle Geschlechtsverkehr gänzlich überbewertet wird. Insbesondere gilt dies offensichtlich für den nicht stattgefunden habenden. Ich möchte dies heute aber dennoch kurz ansprechen; nicht nur für Bruce Lee, aber sicherlich hat auch nicht alles, was ich ihm gestern an höchst hilfreichen und überaus lebensklugen Ratschlägen gegeben habe, seinen komatösen Zusammenbruch überlebt. Vielleicht ist es am Ende aber sogar so gewesen, dass nicht alle meine Argumente, womöglich alkoholbedingt, so ganz und gar blitzsauber und wohlsortiert waren.

Jener Bruce Lee jedenfalls war so gegen Mitternacht sehr entmutigt und durch zahlreiche Biere wohl auch etwas ermattet an der Theke an meine Schulter gesunken und hatte mir ins fast taube Ohr gebrüllt, er sei Charly und diese Session sei „einfach fürn Arsch“. Nun bin ich im Allgemeinen ein eher wortkarger Mensch der – mit gewisser Menschenscheue ausgestattet – versucht, obiges Schopenhauer-Zitat jedenfalls dann ernst zu nehmen, wenn ich auf mir völlig unbekannte Menschen treffe, die offensichtlichen Unsinn reden. Andererseits ist es im Rheinland nicht nur in diesen Zeiten durchaus üblich, ungefragt Lebenshilfe zu geben oder was man dafür hält. Ich schaue Charly also verwundert an und frage, wo sein Problem denn nun im Detail auszumachen sei.

Diese Session sei „ganz und gar fürn Arsch“ wiederholt er den Satz und um seine Verbitterung zu unterstreichen schlägt er bei jedem Wort mit beiden Fäusten auf die Theke. Dies fällt freilich in keiner Weise auf, weil aus den Boxen in voller Lautstärke „Viva Colonia“ wummert. Nun schien das Bier dem wackeren Asienkämpfer den Rest zu geben, er drohte jedenfalls wegzusinken und warf auf der Suche nach Halt noch allerlei Gläser und Narren um. Als ich gerade jedes Interesse zu verlieren drohe, greift er das Gespräch wieder auf: Er habe, artikuliert er mühsam und schwer lallend, „noch keine einzige flachgelegt“. „Keine Einzige flachgelegt“ brüllt er trotzig gegen die Karnevalslieder an und dreht sich dabei im Halbkreis zu einem imaginären Publikum. Und es sei doch „schon Samstag Nacht“, mithin – jetzt versucht er an seinen Fingern etwas abzuzählen – ergo „quasi Halbzeit durch“.

Nun war es an mir, ihm Mut zuzusprechen, denn er hatte sich mit diesem Geständnis offensichtlich sehr verausgabt, das er noch ein paar Mal leiser wiederholte, fast flüsterte. Der Abend sei doch noch jung, versuche ich ihn zu trösten, auch wenn sein Zustand offensichtlicher Vorbote künftiger Erfolglosigkeit zu werden drohte. Er könne, verspreche ich und proste ihm zu, doch noch „alles klarmachen“ und dann würde er über die Session sicher anders urteilen.

Ich gestehe, dass ich dieses „alles klarmachen“ aus [E. Henscheid: Die Vollidioten] entlehnt habe, weil es mir die Zielgruppenspezifischste Ausdrucksweise erschien. Offensichtlich hatte mein Gegenüber den Kern meiner (bzw. Henscheids) Botschaft verstanden – und ich möchte Herrn Henscheid an dieser Stelle ausdrücklich wie nachhaltig für vollbrachte Lebenshilfe danken – denn Charly versucht mich nun mehrfach zu umarmen und betont dabei unentwegt, ich sei „ein guter Mensch“. Diese Nachricht schien ihm dermaßen bedeutsam, dass er mehreren Umstehenden dies ausführlich zu erklären suchte und bei der Bedienung „dafür eine Lokalrunde“ orderte (was wir umstehenden Gutmenschen dann freilich stornierten).

„Dabei habe die eine Kuh“ fiel er in einem plötzlichen Stimmungsumschwung wehmütig wieder in eine Reprise, am „Donnerstag so zu ihm hingelächelt“, da hatte er noch gedacht er könne schon am ersten Tag „alles klarmachen“ benutzte er nun sogar meine (bzw. Henscheids) Worte und sie „gleich flachlegen“. Aber dann hätte er sich nicht hingetraut und nun sei „alles fürn Arsch“. Offensichtlich war damit die Anzahl der ihm zur Verfügung stehenden Worte erreicht, ich gab ihm noch ein Bier aus, das ihm für die nächsten Stunden auch genügen sollte. Er schlummerte friedlich in der Ecke nur wenn sich die Kneipentüre öffnete, hob er kurz den Kopf und sagte laut er werde schon „noch alles klarmachen“.

Irgendwann hatten wir Erwin dann endlich überredet, dass er Charly mit seinem Taxi nach Hause fährt. Der hatte lange nüchtern und wortreich Widerstand geleistet und um seine Schonbezüge gefürchtet. Da war die Ecke aber schon verlassen und so muss völlig offen bleiben, ob Charly es gestern gepackt haben sollte und „noch alles klargemacht“ hat.

Samstag, 17. Februar 2007

O heil‘ges Eseltum

„O heil‘ges Eseltum, o heil‘ge Ignoranz!
O heil‘ge Dummheit, heil‘ge Devotion!
Du ganz allein verschaffst
ein Glück uns ganz,
Das keiner Geistesarbeit wird zum Lohn!
Nie ja wird mühevolle Vigilanz
Der Kunst, sei noch
so groß die Invention,
Nie eines Denkers Kontemplation
Erlangen deines Heil‘genscheines Kranz!
Was nützt euch, Forschern,
alles Studium,
Was grübelt ihr mit wissbegier‘gem Hirn,
Ob Feuer, Erde, Meer hat ein Gestirn?
Nicht kümmert heil‘ges Eseltum
sich drum;
Es beugt die Knie, es faltet
fromm die Hände,
Erwartet, dass der Herr ihm
Segen spende;
Denn höher als Vernunft ist
jener Frieden,
der frommen Seelen
nach dem Tod beschieden!
Vergänglich ist, was man auch treibt, hienieden."

[Giordano Bruno [1], [2]: Kabbala des Pegasus]

Freitag, 16. Februar 2007

Karma im Pyjama

„Die traurigen Geschäfte; und man beneidet uns noch!“
[G. E. Lessing: Emilia Galotti, 1772]

Der Psychologe Wolfgang Oelsner beschwerte sich die Tage im Zentralorgan für gefühlte emotionale Intelligenz, dass Gebildete einen Bogen um die fünfte Jahreszeit machen: „Der Karneval leidet darunter, dass er in dieser Gruppe nicht gesehen wird“ [taz vom 12.2.2007, S. 2]. Zwar gebe es im Karneval auch „billiges Trallala“, aber es würden ebenso „intelligenter Humor und glänzende Büttenreden“ geboten.

Der „Kölner Experte“ muss es ja wissen, schließlich ist er Autor des Werks „Fest der Sehnsüchte - Warum Menschen Karneval brauchen“ und wird vom jecken Kölner Marzellen Verlag schon mal als „Karnevalsphilosoph“ bezeichnet. Gilt denn hierfür nun das alte Sprichwort „Was Narren loben, das ist getadelt“ oder „Gelehrte Narren sind die schlimmsten“?

„Wat jeit et uns dann joot,
jo su unwahrscheinlich joot,
mir han bes Äschermettwoch,
och met Sorje nix am Hoot!

La la la la la la
La la la la la la
La la la la la la
La la la la la la la.”
[Räuber: Sulang die Botz noch hält]

Donnerstag, 15. Februar 2007

greatest happiness

Wegen seiner immensen Rohstoffvorkommen an Kölsch und Mettbrötchen gilt Köln für zahlreiche Bewohner des Rheinlandes als eine der (erlebnis-)reichsten Städte der Welt, um provokativ mal das Wort „Weltstadt“ zu vermeiden. Nicht zuletzt deshalb strömen aus dem Umland einem kollektiv praktizierten, wiederkehrenden Ritual gleich, allabendlich erlebnishungrige Angehörige der Landbevölkerung in die Kölner Innenstadt. Bevorzugtes Beförderungsmittel ist hierbei neben den weit ins öde Land ausgreifenden Straßenbahnen Kölns der Vorortzug den Herr Mehdorn fahrlässig und zu viel versprechend „Regional-Express“ nennen lässt.

Als ich die Tage in einem solchen „Express“ sitzend die ridikül-clowneske Mütze der mir gegenüber auf der Bank hüpfenden etwa Achtjährigen lobe, in Hoffnung die offensichtlich völlig überzuckerte, hysterisch auf dem Sitz Stampfende (deren Mutter sicher unentwegt die drei Buchstaben „ADS“ im Munde führt, wenn die Sprache auf dieses engelsgleiche Wesen kommt) möge sich durch maßvolle Komplimente etwas beruhigen. Ich bekomme ein trockenes „Klappe Du Dickarsch“ zur Antwort und schließe hieraus nicht nur auf erkleckliche Erziehungsdefizite sondern auch darauf, dass es sich wohl gar nicht um eine Verkleidung handeln soll.

In der Tat habe ich insbesondere in diesen Zeiten auch in stocknüchternem Zustand etliche Mühe, Mitmenschen dahingehend zu beurteilen, ob ihre Bekleidung karnevalistisch begründet ist oder ganz und gar ernstgemeinte respektive sogenannte Alltagskleidung darstellen soll. Nicht immer ist es so leicht wie bei meiner Nebensitzerin, die sich blinkende rote Hörner auf dem Kopf tragend einen rotschwarzen Dreizack auf die Wange gemalt hat und so jedem offen legt, dass sie sich für teuflisch hält resprektive so gesehen werden will, soll und kann.

Kaum ist die achtjährige Krawallmacherin in irgendeinem unaussprechlichen Kaff zwischen Bonn und Köln ausgestiegen, nimmt mir gegenüber ein offensichtlich als Callgirl verkleideter Teenager Platz: Ein silberfarbener Minirock in dem ein unbedarfter Bonner Ministerialbeamter auch eine breitere Krawatte hätte vermuten können, kombiniert mit goldenen High-Heels und einer ebenfalls goldenen Handtasche aus Krokodillederimitat. Neben ihr ein offensichtlich als eine Mischung aus Blues Brothers und Cherno Jobatey verkleideter Junge: Der arg zerknitterte schwarze Anzug wurde dabei wenig originell mit weißem Hemd und weißer Krawatte zu weißen Turnschuhen mit vierfingerhohen Plateausohlen kombiniert. Dazu trägt er selbstverleugnend eine Stevie-Wonder Sonnenbrille. Beide haben sich, wie ich bald erfahre, ins Kino verabredet und sehen sich selbst vermutlich gar nicht verkleidet.

Als sich dann noch ein älteres Pärchen in mein Blickfeld schiebt, sie mit federn-puschigem rosafarbenem Hütchen, er als früher Helmut Schmidt verkleidet mit Lotsenmützte, ganz der Tüp, der in der Kritik der reinen Vernunft einzelne Sätze anstreicht, an den Rand mit Bleistift „sehr richtig“ schreibt und mit Ausrufezeichen versieht. Was will mir die Frau im grellroten Mantel zu verstehen geben, die mir eine prall gefüllte Tragetasche entgegenreckt auf der „Ja ich will …“ steht? Geht’s denn noch eindeutiger? Beim Aussteigen dann fand sich doch noch das desillusionierende Verb „… sparen“ auf der Tüte ein.

„Erfahrung ist verstandene Wahrnehmung“ lehrt uns Kant Bescheidenheit [Kant, I.: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können, 1783] und es ist wohl doch „das Verstehen“ mein Problem. Ich bin nun mal ein Immi, ich muss das nicht alles verstehen und beschliesse, dass es sich hierbei um ein bislang noch ganz und gar unerforschtes Phänomen Südkölner Vorortzüge handelt oder gar die Folge von fehlgeleiteten Maximen zur Beförderung der greatest happiness for the greatest number?

Aber was beklage ich mich? Anderwo gehts noch viel dummdreister vonstatten: Hunderte Diletantinnen im langen Abendkleid und Diletanten im Frack werden ihn um 22 Uhr eröffenen, die Netrepko fährt in den Saal mit einer originalrestaurierten Kutsche ein, vom Herrn Glaubstdunicht höchstpersönlich kutschiert. Ein ehemaliger Nicaragua-Helfer darf auch erstmals die gefrackte Ordensbrust herzeigen und der Herr Mörtel hat heuer die Paris Hilton eingeladen von der zu hoffen ist, dass sie von den Afterwinden des Zeitgeistes weggeblasen wird heute abend und wenigstens ihre Unterwäsche beinander hat.

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Seit langen das beste...
Seit langen das beste Gedicht was ich gelesen habe....
Laura Kinderspiel - 12. Nov, 11:30
wow..
..echt "hot" diese Sonnenblumen.. seit langem die beste...
jump - 6. Sep, 11:53
Danke
Danke
huflaikhan - 28. Aug, 08:25
Ich mag sowas ja sehr...
Ich mag sowas ja sehr gerne lesen, vor allem richtig...
huflaikhan - 26. Dez, 16:15
Hatschi
... ok, bin wieder auf dem Boden der Tatsachen.. ;-)
jump - 17. Dez, 19:18
So weit!
Ja genau, also doch schon gar sooo weit ;-).
BusterG - 17. Dez, 00:26
Das ist in der Nordeifel:...
Das ist in der Nordeifel: Heimbach in Nebel und Sonnenschein.
BusterG - 17. Dez, 00:24
Geschätzte Wassertemperatur:...
Geschätzte Wassertemperatur: ca zwei Grad, also vielleicht...
BusterG - 17. Dez, 00:23
Danke
Danke
BusterG - 17. Dez, 00:21
Natürlich ist das ...
... AUCH an Dich gewandt. Ich würde doch sonst nicht...
BusterG - 17. Dez, 00:21

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