Wir haben alles ausprobiert
Die Freiheit endet hier
Wir müssen jetzt
Durch diese Wand
[Tokio Hotel: Übers Ende der Welt, 2007]
Ich darf zurzeit ungewöhnlich oft meinen scheinbar plötzlich vereinsamten HNO-Arzt besuchen. Offensichtlich geht es ihm nicht gut, er wünscht sich jedenfalls täglich meine Nähe und Ansprache. Um dies etwas zu verdecken, tut er so, als ob ich sein Patient wäre und er mein Arzt: Nun hantiert er täglich mit allerlei Gerätschaften in meinem Kopf herum - während er wehmütig seine letzten Segelabendteuer memoriert – und stopft mir schließlich an die zwei Meter Binde und eine halbe Tube Salbe ausnehmend linkisch ins rechte Ohr. Solchermaßen den Kopf auswattiert und auch um das unzumutbare Gefühl des stocknüchternen Taumelns auszugleichen, wurde es mir zur lieben Gewohnheit im benachbarten Cafe zeitungslesend den Tag ein zweites Mal und sehr viel beschaulicher zu beginnen.
Während ich in mich gekehrt bei einem Kännchen Earl Grey neue Gelehrsamkeiten für meine Vieltausenköpfige Leserschaft ersinne, dringen zwischen dem zaghaften Gemurmel der nie Erwachenden Kleinstadt nebelhaft Satzfetzen vom Nebentisch „Partita“, „Kantate“ und „Choral“ an mein auswattiert-geschundenes Sinnesorgan. Ein zaghaftes Umblicken befördert einen Mann und eine Frau in mein Blickfeld. Beide im so genannten besten Alter also jenseits der Zeugungsfähigkeit, vermutlich auch von ersten Demenzanfällen heimgesucht und beider kalt-verhärmte Mimik zeugt davon, dass sie das Leben bereits weit hinter sich gelassen haben. In ihm erkenne ich den Dorfpopen, die andere ist mir zunächst unbekannt, outet sich aber im Verlauf des weiteren Geschehens als Musiklehrerin.
Nun bin ich keinesfalls der Mensch, der nichts anderes zu tun hätte als im Cafe zu sitzen und seine Mitmenschen zu belauern und belauschen. Die Unterhaltung wurde jedoch - offensichtlich altersbedingt - in einer Lautstärke geführt bei der ich Mühe hatte, wegzuhören. Destilliert man die Kernthese der weitgehend sinnentleerten vormittäglichen Kaffestunde zwischen beiden, erhält man die abenteuerliche wie krude These, dass „der Jugend“ heutzutage jedwede Achtung vor der klassischen Musik fehle und sie deshalb „solche Dinge“ tue und nie „ihren Mann im Leben stehen wird“.
Für mich war es zu diesem Zeitpunkt nur noch die Frage wie und nicht mehr dass ich eingreifen musste. Nicht dass ich etwa ein Vertreter „dieser Jugend“ wäre oder „solche Dinge“ täte, aber in aller Öffentlichkeit und vor allem in meiner Gegenwart, darf einfach nicht jeder Allesmögliche denken oder dies gar so laut aussprechen, dass selbst ich Hörgeschädigter es nicht überhören kann.
„Ich erstarre ja in Ehrfurcht, wenn ich die harmonische Gestaltung in Bachs Kreuzstabkantate verfolge“, veranschaulicht der Pope was er unter korrekter Haltung versteht und sie pflichtet ihm lächelnd wie nickend immerfort bei und ergänzt, dass der Bach schon ein ganz großer sei und der Mozart doch über ihn ganz und gar ehrfürchtig gesagt habe „Bach ist der Vater, wir sind die Buben“.
„Bach ist so was von endgeil“ sage ich nun doch etwas zu unbeherrscht aber so laut, dass das ganze Cafe auf mich blickt, launisch in Richtung der Musiklehrerin noch „es ist doch Allgemeingut, dass das Mozart Zitat Carl Philipp Emmanuel Bach adressiert und nicht Johann Sebastian“. Beide schauen entgeistert erst sich dann wieder mich an, schweigen eine halbe Tasse lang und beginnen dann zögernd leise, fast wispernd, ein Gespräch über das Wetter.
Zu Hause angekommen habe ich alter Sack nichts besseres zu tun als den „Actus tragicus“ in Karl Richters Aufnahme von 1967 aufzulegen und während Theo Adam mit drohendem Bass erklingt: „Bestelle dein Haus; denn du wirst sterben und nicht lebendig bleiben!“ und der Münchner Bachchor bestätigend einfällt: „Es ist der alte Bund: Mensch, du musst sterben!“ denke ich noch, bevor ich ganz entrückt werde: Von nix eine Ahnung aber über „solche Dinge“ reden wollen …
BusterG - 14. Feb, 17:35
Sollte es wider Erwarten doch einen Herr GOTT geben, (dieser hat uns in den letzten paartausend Jahren wahrhaftig wenig genug Anlass gegeben, daran auch nur im Entferntesten zu glauben) sollte es also dennoch einen Herr GOTT geben, einen lieben gar, wie man es mir in meiner Kindheit vergeblich hat beibringen wollen, dann sieht er ganz gewiss so aus, wie Wolfgang Borchert ihn in seinem expressionistischen Drama „Draußen vor der Tür“ beschreibt, das vor sechzig Jahren Uraufführung hatte: Ein gebrechlicher, hilflos und verwirrt wirkender alter Mann, der „januareisig", „graugestaubt" und „abgrundverstrickt" zu uns spricht: „Ich bin der Gott, an den keiner mehr glaubt und ich kann es nicht ändern“.
ZDF prime Time gestern Abend: Der Aufmacher der Nachrichtensendung „30 Jahre nach dem Deutschen Herbst“, Claus Kleber spricht von Opfern, die noch immer Opfer sind und Tätern, die nun frei kommen. Spricht nicht von Haftbedingungen, die Amnesty International oft und unwidersprochen als Folter bezeichnet hat - mitten in diesem vielbemühten „Der Rechtsstaat zeigt Größe“. Dann leitet er über zu einem so genannten „Gastkommentar“ und es spricht Margot Käßmann, Hanoveranische Landesbischöfin. Die sucht uns wortgewaltig zu trösten, dass die Taten noch weiter gesühnt werden müssen und werden. Denn, so die Frau Bischöfin, Brigitte Monhaupt wird sich vor Gott rechtfertigen müssen.
Und wenn dann der Herr GOTT und die Brigitte Monhaupt exklusiv bei Kerner auftreten – komplettiert etwa mit Verona Poth und Franz Beckenbauer sollte da doch die 50% Marke Zuschauerbeteiligung geknackt werden können – und der Moderator den „januareisig", „graugestaubt" und „abgrundverstrickten" Herr GOTT fragen wird, was er der Frau Monhaupt zu sagen habe. Diese wimpernschlaglange Stille die entsteht, wenn der allmächtige Herr GOTT dann an all das denkt, was er verhindern hätte können und besser auch verhindert hätte, die werde ich genießen. Aber ob einer das Zögern bemerken wird?
[Buster: Als der Herr GOTT Verona Poth einmal ein Bein stellte, 2007]
BusterG - 13. Feb, 17:00
„Mit dem Alter“ so der vor 203 Jahren verstorbene Kant, „nimmt die Urteilskraft zu und das Genie ab.“ [Kant, I.: Kritik der Urteilskraft, 1790]. Ich bin mir da seit geraumer Zeit nicht so sicher, dass dies heute noch und insbesondere auch für meine Person gilt.
BusterG - 12. Feb, 19:27
„In einem Dorf habe ich einmal einen Festzug beobachtet, in dem sogar die Maulesel mit bunten Bändern behängt waren. So unentbehrlich ist den Menschen die Verkleidung geworden, dass sie sogar ihre Pferde damit belästigen müssen.“
[Luc de Clapiers Vauvenargues: Reflexionen und Maximen, 1746]
Für die nicht unbeachtliche Anzahl der Wenigentschiedenen, Kurzentschlossenen, Geringgescheiten und Ultimativfeierbereiten unter meiner Vieltausendköpfigen Leserschaft hat
Bei Chez Buster heute keine Gefahren und Mühen gescheut und
mich ein mutig-verwegenes Forschungsteam zum Zwecke der Erkundung der rheinisch-ländlichen Brauchtumspflege insbesondere aber zur empirischen Felduntersuchung der diesjährigen Kostümierung in einen Stadtteil Bonns entsandt, der seit geraumer Zeit und nicht unerheblich unter dem Namen „Schweinheim“ zu leiden hat.
Offensichtlich um aufbrandende Komplexe ob des schmählichen Namens zu kompensieren wird dort alljährlich mit nicht unerheblichem Aufwand ein „sehr liebevoll und anziehend gestalteter“ Karnevalszug im vom „regen Dorfleben“ umrauschten Dorf durchgeführt [
Wikipedia].
Eine kuriose, aber weitgehend totgeschwiegene Besonderheit des Schweinheimer Karnevalszugs ist es, das der Zug nachdem er die rund ein Kilometer lange Zugstrecke absolviert hat, wendet und diese nach kurzer Pause nochmals in umgekehrter Reihenfolge abschreitet. Dies hat für Ältere, Angetrunkene oder auch Forschende, die alle anderen Attribute in sich vereinen, ganz erhebliche Vorteile. So können erste Eindrücke nochmals vertieft, offenen Fragen zu einzelnen Kostümen keine zehn Minuten später widerholt nachgegangen oder die ‚Halbzeitpause’ zur Hypothesenbildung genutzt werden. Warum dieses Brauchtum der doppelten Zugstrecke so hartnäckig verschwiegen wird, hat einen ganz offensichtlich Grund: Immis und Zuschauer, die mit dem lokalen karnevalistischen Treiben nicht vertraut sind, geben ihre in den frühen Morgenstunden hart erkämpften Positionen fahrlässig auf, begeben sich zum Pittermännchen und der einheimische Jeck hat nicht nur die freie Sicht sondern natürlich auch die Kamelle, Strüßjer und Bützje.
Was aber, sind nun die Bekleidungstrends der aktuellen Session? Erwartungsgemäß lagen die Depp-Piraten heuer deutlich vor den Clowns. Ein interessantes Detail, weil erstmals zu beobachten, war das Auftreten von so genannten „Pipi-Langstrumpf-Piraten“: Rotzopfige, Buntgeringelte mit Schwert und Augenklappe Versehene, die zwar nur noch sehr entfernt an Herrn Depp erinnerten jedoch den „Fluch von Schweinheim“ aufs plastischste herausarbeiteten. Gegen alle Kostümprognosen überraschend wenig anzutreffen war der schwarzrotgoldbekleidete Fanmeilenpublicviewer. Mutmaßlich kam es hier kurzfristig zu einer Bekleidungswanderung. Aber auch Handballer, Radler oder gar Rodler waren kaum repräsentiert. Wenig überraschend dagegen, dass die Scheich-Fraktion erdrutschartige Verluste hinnehmen musste. Am Ende ist es eine weitere Folge der globalen Erderwärmung, dass keine einzige skandinavische Fahne brannte. In die Gruppe der „Sonstigen“ fallen nun auch die dramatisch rückläufigen Feuerwehrmänner und libyschen Kinderkrankenschwestern. Den massiv anzutreffenden Kunstmalern sollte bundesweit weniger Gewicht beigemessen werden, wurden doch alle Schüler der Paul-Klee-Schule per Karnevalszwangsentscheid gezwungen mit farbenverschmierten Kitteln, Palette und Pinseln im ängstlichen Kinderhaar den Zug zu begleiten. Eine weitere, menschenverachtende Schweinheimer Tat, die die zahlreich anwesenden internationalen Kostümbeobachter mit Sorge erfüllte.
Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass Piraten und Clowns in einer großen Koalition weitgehend unbehelligt regieren können. Die seit Jahren notwendige Reform des Kamelle-Wesens könnte endlich mit großer Mehrheit entschieden angegangen werden. Bei der schwelenden Bützje-Frage muss sicherlich auf Pokerspieler, Mexikaner, Biene Maja und Indianer Rücksicht genommen werden, aber auch hier sollten in dieser Session Vorschritte erzielt werden können.
Weitere Detail-Ergebnisse der Untersuchung werden in Kürze unter einer sehr kostenpflichtigen Hotline abrufbar sein. Wie aus gewöhnlich gut unterrichteter Quelle verlautbart wurde, soll Dr. B. Uster kein Verständnis für die Kritik an der Gebührenpflicht haben. Schließlich gehe es hier, so der Doktor, um exklusive und sehr aufwändige Forschungsergebnisse (allein der Bierkonsum des einköpfigen Forschungsteams sei immens gewesen, wusste der ermattete teilnehmende Beobachter zu berichten). Und wer sich mit solchen schweinischen Themen auseinandersetze, hätte „eh schweinisch schwer einen an der Schweine-Waffel“ so der berühmte
Schweine Brauchtumsfeldforscher.
Bei Chez Buster hat für solch maßvolles und engagiertes Vorgehen
schweinisches größtes Verständnis und gibt zurück an die angeschlossen Dunghäuser.
BusterG - 11. Feb, 20:08
Sorgfältig prüf ich
Meinen Plan; er ist
Groß genug; er ist
Unverwirklichbar.
[Bertolt Brecht: Sorgfältig prüf ich]
BusterG - 10. Feb, 19:36
Der einzelne Mensch, mithin auch und vor allem ich, ist ja in Hegels System der „Träger des Geistes“ und „ein Moment auf dem Weg hin zum Absoluten“. Die verregnete, kalte Natur dagegen, durch die ich heute Vormittag mit zunehmend verächtlicherem Blick streifte, der „Abfall der Idee von sich selbst“ [Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften Bd. II, F.a.M. 1986, S. 28] und ohne jede Freiheit: „Die Natur zeigt daher in ihrem Dasein keine Freiheit, sondern Notwendigkeit und Zufälligkeit“ [ebd., S. 27].
Umso verwunderter war ich, inmitten dieser freiheitslosen Baumwüste ein Artefakt vorzufinden, das mich versöhnlich an zarte Jugendjahre erinnerte: Auf einem Schild das behelfsmäßig an einem Baum befestigt wurde, fand ich ein neckisches Männlein im Walde. Die Rede ist von „Trimmy“, ein arg dümmlich grinsendes Wesen mit überdimensioniertem, viereckigem Kopf, der stark an frühe Fernsehgeräte erinnert, einer sehr fragwürdigen Turnhose und ewig auf der Lauer liegend per Anhalter weiterzukommen. „Trimmy“ war Maskottchen der „Trimm-Dich-Bewegung“ des Deutschen Sportbundes der ab März 1970 zum Zwecke des „Trimmens“ breiter Bevölkerungsschichten zahllose „Trimm-dich-Pfade“ in die unfreie Natur holzte. Vorbild hierfür war Norwegen von wo auch das Wort „Trim“ entlehnt wurde, bei den Eidgenossen wurde - wesentlich eleganter - auf dem „Vitaparcours“ die Schulter ausgerenkt.
Schöpfer und Graphiker Dieter Sihler wollte „Trimmy“ (laut eigener Aussage) optimistisch und unkompliziert wirken lassen und auf emotionale Weise darstellen, dass Bewegung auch mit großem Kopf und fremdländisch anmutender Kleidung gut tut. Nun scheint auch dies mir wieder ein überaus eindrucksvolles Beispiel dafür zu sein, dass das schiere „gut meinen“ noch lange nicht zu einem auch nur annähernd befriedigenden Ergebnis führt. Steht doch „Trimmy“ aus moderner Fitness-Sicht für den äußerst unbeholfenen Versuch, mit robustem Turngerät - sprich ein paar Baumstämmen, Stangen und Seilen – herumzuhampeln inmitten von Killerwespen, Zecken, tollwütigen Füchsen und grellbunt bekleideten Sonntagsspaziergängern. (Problembären waren seinerzeit gnädigerweise alle totgeschossen). Ergo und sehr zu Recht gerät „Trimmy“ zum ewigen Symbol der Jungsteinzeit für freudlose Leibesertüchtigung, Achselnässe und Fußschweißgeruch.
Tempus fugit: Wahre Fitness, das ist heute unbestrittenes Allgemeingut, kann ohne Halogendeckenbeleuchtung, Personal Trainer, Chromblitzende Sportgeräte, linksdrehende Energy Drinks, Fettschmelz- und Muskelaufbaupräparate und ohne Dauermedikation mehrerer 24Stundenachselschweißsprays nicht ernst genommen werden und jeder Versuch ohne diese zwingend notwendigen Hilfsmittel wäre der weithin schallenden Lächerlichkeit preisgegeben.
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war dies die letzte Sichtung des zwischenzeitlich schon als ausgestorben geltenden, überaus menschenscheuen „Trimmy“. Und wenn vermutlich auch letzte einzelne Exemplare verborgen im tiefen dunklen Kottenforst noch eine Weile überdauern werden, ist es doch nur eine Frage der Zeit, bis rührige Anthropologen oder gar Sportarchäologen die Fetzen der letzten schwarzen „Trimmy“-Sporthose in die laufenden Kameras halten zum Beweise, dass auch dieser überaus sympathische Zeitgenosse für immer von uns gegangen ist.
Nun sind bekanntlich unsere Medien voll von Wehklagen über Dinge, die ausgestorben oder in Vergessen geraten sind. Nach einer aktuellen Umfrage trauern etwa nahezu 65% der Deutschen der DMark hinterher. Von anderen schwerwiegenden Verlusten wie dem Tyranosaurus Rex oder zum Beispiel den störungsfreien schwedischen Kernkraftwerken ganz zu schweigen.
Ob dies dann im Hegelschen Deutungssinne der Menschheitsgeschichte als der „Marsch der Vernunft durch die Welt“ bezeichnet werden kann oder Schelling doch näher am subjektiven Empfinden liegt, weil alles zu einem „eintönigen, beinah einschläfernden Fortschreiten (...) völlig ohne wahres Leben“ führt [Schelling: Zur Geschichte der neueren Philosophie. Münchner Vorlesungen, Stuttgart 1856, S. 212], möchte ich nun aber besser der messerscharfen Urteilskraft der vieltausendköpfigen Leserschaft überlassen.
BusterG - 10. Feb, 15:27
„Bügeln ist eine Kunst
hat der Professor gesagt
das Bügeln wird immer unterschätzt
die Bügelkunst ist eine der höchsten Künste“
[
Thomas Bernhard: Heldenplatz, 1988]
BusterG - 9. Feb, 12:31
„Die Aufklärung“ - oder um es mit Immanuel Kant zu sagen „die Maxime, selber zu denken“ - ist „keine Kaffeefahrt“, vertraute Reinhold Robbe (SPD), Wehrbeauftragte des Bundestages, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ an.
„Aufklärung dient vorrangig dem Schutz“ weiß dagegen Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) und: „Aufklärung ist nicht Kampfeinsatz“. Vorgestern in Kabul hat er sich sogar zur Aussage verstiegen: „Der Tornado kann das gesamte Land aufklären“. Die Rede ist vom Einsatz der „Aufklärungsmaschine“ Tornado-Flugzeug vom Typ „Recce“, die in den Händen eines Johann Gottfried Herder oder Immanuel Kant zur schrecklichen Waffe werden könnte.
Informationen über Sexualität könnte an Jugendliche und junge Erwachsene weitergegeben werden mit der Absicht, diese zu einer Form der Ausübung des angeborenen Sexualtriebs zu führen, die unserem Kulturkreis und der dort vorherrschenden Sexualmoral entspricht. Patienten könnten informiert werden über ihre Erkrankung und geplante Diagnostik oder Therapiemaßnahmen. Morde und andere Straftaten könnten aufgeklärt werden und breite Kreise der Bevölkerung würden in die Lage versetzt, Deutungs- und Aufklärungsfähigkeit zu erwerben was dem Ende der Religion gleichkäme: „Die hohe, reich dotierte Geistlichkeit fürchtet nichts mehr als die Aufklärung der unteren Massen.“ so Geheimrat Goethe zu Eckermann.
„Der größeste Teil der Menschen ist Tier; zur Humanität hat er bloß die Fähigkeit auf die Welt gebracht, und sie muß ihm durch Mühe und Fleiß erst angebildet werden“ warnte Johann Gottfried Herder in seinen „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ vergeblich. Dennoch sind scheinbar nicht alle an besseren Vernichtungsmöglichkeiten des Feindes durch klarere Sicht auf diesen interessiert. Andreas Schockenhoff (CDU), Experte für vernichtende Verunsicherung, spricht in gleichem Zusammenhang von „optimaler Aufklärung“ wohlwissend, dass es ein Zuviel an Aufklärung nicht geben kann.
Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Bundestages, Otto Fricke (FDP), forderte in der „Netzeitung“ eine vernünftige Kostenkalkulation für den Einsatz der Aufklärungsmaschinen, der Bundestag werde keinen „ungedeckten Scheck“ für Aufklärung ausstellen. Weit über 200 Jahre sind es her, dass Kant in seiner Schrift „Was ist Aufklärung?“ forderte „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Ganz unverständlich daher das Treiben vom stellvertretenden Grünen-Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin, der die Bundesregierung in der „Berliner Zeitung“ aufforderte, zu belegen, dass es tatsächlich einen Bedarf für die Tornados - sprich Aufklärung - gebe.
„Was hilft alle Aufklärung, alles Licht, wenn die Leute entweder keine Augen haben oder die, die sie haben, vorsätzlich verschließen?“ [G. C. Lichtenberg, Sudelbücher]
BusterG - 8. Feb, 20:09
[Buster: So war das heute, 2007]
"Es ist sonderbar, aber die Russen befinden sich schon seit langem unter der Herrschaft, ja, dem Joch des Wortes. Die Dänen haben ihren Kierkegaard hundert Jahre lang nicht gelesen; Stendhal war, bis er starb, für die Franzosen keineswegs eine Autorität; aber wenn bei uns irgendein Schullehrer aus einer Saratower Popenfamilie schreibt, daß es für das Wohl des Volkes gut sei zu lernen, wie man auf Nägeln schläft, dann fängt die Hälfte des Landes an, auf Nägeln zu schlafen. Dieser Gehorsam gegenüber dem geschriebenen Wort ist um so seltsamer, weil es allen außer Verrückten und Kindern klar ist wie der lichte Tag, daß hinter dem Wort nichts anderes als eine leblose Widerspiegelung der Wirklichkeit, ein Modell, steht. Und das auch nur im besten Fall; im schlimmsten Fall setzen sich die Leute an ihren Schreibtisch und erfinden alle möglichen Märchen, berauschen sich an dem Spiel »Leben«, indem sie Männer und Frauen, die nie existiert haben, Dinge tun lassen, die in Wirklichkeit niemals und von niemandem getan wurden."
[Wjatscheslaw Pjezuch: Die neue Moskauer Philosophie, 1989]
BusterG - 7. Feb, 21:36