Mittwoch, 21. November 2007

The Big Issues



[Pigeon House Road, Dublin 2007]

Dienstag, 20. November 2007

He’s a right pain in the arse – (Lunch) lessons learned

„Man kann immer nett zu jenen sein, die uns nichts angehen“ habe ich bei »Lady Windermeres Fächer« von Oscar Wilde gelernt und bereue ja durchaus aufrichtig und nachhaltig seit langem keine aktuellen TV-Arztserien verfolgt zu haben, mit meiner Handvoll Folgen Schwarzwaldklinik bin ich wirklich nicht up to date.
Beim Lunch im Universitätskrankenhaus gerate ich jedenfalls zufällig in einen Smalltalk zweier Krankenschwestern die offensichtlich nach kurzer Musterung davon ausgingen, ich verstünde - wenn überhaupt eine lebende Sprache - höchsten etwas Ukrainisch oder dergleichen.
Jedenfalls ließen sie sich durch meine Anwesenheit nicht beirren in ihrer Konversation die im Wesentlichen im raschen Schlagabtausch von Kategorisierungen vor allem der Stationsärztinnen und Ärzte aber wohl auch einiger Pfleger bestand (to pigeonhole heißt das mutmaßlich, und ich frage mal bei Gelegenheit einen Taubenzüchter warum, aber ich agiere hier sehr jenseits der Grenzen meines bescheidenen Schulwöterbuches).

(1) „Doctor M. is really bitchy horrible“ - das Wort >bitch< wird offensichtlich zwischenzeitlich allumfassend und gänzlich inflationär nichts sagend eingesetzt.

(2) „Kate gives me the creeps, she’s a real busybody“ beschreibt sie die Else Kling der Dubliner Northside und wirklich: Irgendwer gibt ja immer den Blockwart, wenn die Gruppe nur groß genug ist.

(3) “Don’t be so hypocritical! Juan is a true Gods gift to woman“ - der Bezeichnete saß mit ebenso schwarzen wie wallenden Locken und weit offenem Hemd drei Tische weiter, scheinbar ein Arzt im Praktikum und Machismo wie aus dem Bilderbuch (I deadly swear: his name was "Juan"!).

(4) „Pete is a cushy number“ löst heftige Zustimmung von beiden aus wobei recht zweideutig offen blieb, ob sich dies lediglich auf seine kooperative Arbeitsmoral bezog. (Gerne hätte ich hier mit etwas mehr Sex im Erzkatholischen Ambiente die Story aufgehübscht, aber oberste Chronistenpflicht ist nun mal (leider) zunächst die gültige Fixierung des - äh - Wahrgenommenen).

(5) „Liam is such a slob and eyes you up and down“ dabei eine Art Homer Simpson imitierend und recht anmutig die Bewegung des Scannens nachahmend. Ich grinse derweil breit und diplomatisch in eine andere Richtung über die recht zutreffende Beschreibung des Chefarztes.

(6) „Kelly always winds me up, She is a complete nerd and so dizzy blond“ (eine höchstens dümmliche aber gar nicht blonde Kollegin, vermutlich. Vielleicht ist sie sogar einfach sehr down to earth und rundum praktisch veranlagt).

(7) „He’s a right pain in the arse and rambles on his weird issues“ – „he’s so smug docklands bastard“ kam auch gleich zur Bestätigung vom Gegenüber, anmutiges British English, einen >ass< hat hier keiner, nicht mal ein gutdotierter Vertreter der Verwaltung! Da konnte ich nicht umhin, solidarisch mitzunicken, say no more. Die Docklands heutzutage sind übrigens so gar nicht die aus dem Ulysses, aber das ist eine andere Geschichte …

Als beide meine unerwartete Slang-Lehrstunde beenden, indem sie sich anschicken mit ihrem Tablett zum Ausgang zu gehen, bedanke ich mich höflich für die kurzweilige Übungseinheit und um ihr fast panisches Erschrecken etwas abzumildern zitiere ich aus Oscar Wildes »Lady Windermeres Fächer«: „Die ganze Geschichte ist nichts als Klatsch“.

Allein alle profunde Literaturkenntnis vermag hier nichts mehr auszurichten – beide verlassen so fluchtartig den Raum, dass ihnen sogar Juans Aufmerksamkeit sicher ist. Life is a roleplay, wem sage ich da was Neues? Aber was um alles in der Welt könnte mich jetzt noch davon abhalten aus den hier vorgestellten sieben Hauptdarstellern eine Telenovela von sagen wir mal 1.300 Folgen à 45 Minuten (abzüglich zweier Werbeblocks mit round about fünf Minuten) zu entwickeln und für den Rest des Lebens ganz und gar ausgesorgt zu haben, weil das ZDF die Serie alle fünf Jahre bedenkenlos als Erstausstrahlung wiederholen kann?

Montag, 19. November 2007

Fürsorglichen Erbauung und die Frage des Wojuwritin?

“Lasset uns fortfahren, Geschichtenerzähler, und furchtlos jede Beute ergreifen, nach der unser Herz begehrt. Alles existiert, alles ist wahr und die Erde ist nur ein bisschen Staub unter unseren Füßen.” [W.B. Yeats: The Celtic Twilight]

Dublin ist die Stadt der dichtenden Trinker wie der trinkenden Dichter, das weiß wenn schon nicht jedes einheimische Kind so doch wenigstens jeder Tourist. Deshalb ist es nahe liegend, dass sich dieser spätestens am zweiten Abend seines Aufenthalts pflichtgemäß in den irischen Pub als Ort der Inspiration begibt. Dies geschieht freilich meist im Schutz einer Gruppe, im definierten Zeitrahmen von rund zwei Stunden, kostet einiges Geld und nennt sich >Literary Pub Crawl< (for educational value), was in etwa mit >Bekriechen von Lieblingskneipen von Literaten zur fürsorglichen Erbauung< übersetzt werden kann und gemäß jeglichem Touristenführer als einer der Höhepunkte einer Dublinreise zu rechnen ist und ein >echter Geheimtip<.

Und so ist es nicht weiter verwunderlich dass allabendlich Gruppen von bis zu 50 Wissens- wie –Durstigen durch vier Pubs im Stadtzentrum ziehen, die zumeist ausschließlich von Touristen bevölkert sind, die ihrerseits etwas hochnäsig auf die unerfahrenen Touristen herabschauen, weil sie selbst schon drei Tage in Dublin sind und das Spektakel bereits am eigenen Leibe durchlitten haben. Dabei rezitieren zwei Schauspieler Oscar Wilde, spielen etwas aus Becketts >Warten auf Godot<, Brian O’Nolan fehlt meist ebenso wenig wie Brendan Behan der trinkende Dichter par excellence der in der Spätphase seines Schaffens der Inspiration mit einem Dutzend Pints und zwei Flaschen Whiskey pro Tag nachgeholfen haben soll und die Schreibmaschine gleich mit in den Pub brachte.

Wie aber kann heute Trinken und die Produktion von Literatur - zum Beispiel bei >Mother Kellys< in der Marlborough Street - vereinbart werden? Zwar verfügen die meisten Pubs über den ortsüblichen alten Säufer der mehr oder weniger originalgetreu Oscar Wilde zitieren kann und höchstwahrscheinlich vom lokalen Tourist Office ausgebildet und hauptamtlich besoldet wurde um den leider allgegenwärtigen Erwartungen der Touristen zu entsprechen. Sobald ich aber – eine Pause im Rugbyspiel nutzend – meinen Skizzenblock zücke, fragt spätestens beim zweiten Satz ein umstehender Dub was ich da treibe. Selbst wenn ich glaubhaft versichere, kein Mitglied des britischen Geheimdienstes zu sein, werden investigative Fragen im Minutentakt gestellt oder gar eine Runde ausgegeben.

Wie konnten die Großen unter solchen widrigen Umständen Weltliteratur produzieren? Die Lösung ist so einfach wie verblüffend: George Bernard Shaw zieht es 20-jährig nach London, Wilde geht in die USA, Beckett und Ulysses nach Paris, Joseph Sheridan Le Fanu, der Meister viktorianischer Schauergeschichten, schrieb zu Hause von Mitternacht bis in die Morgendämmerung bei Kerzenlicht seinen Roman >Willing to Die< bis er starb.

“Solange Irland noch Leute hervorbringt mit genügend Verstand, ihm den Rücken zu kehren, existiert es nicht umsonst” [G. B. Shaw]


Ich jedenfalls werde unter diesen widrigen Umständen keine Weltliteratur produzieren können und da wird schon wieder ein BULMERS vor den >German Poet< gestellt von der 80-jährigen Maggie spendiert, die bereits John Banville und Roddy Doyle eine Runde ausgegeben haben will. Sind beide schon ausgewandert?

By the rents were getting higher,
And we could no longer stay,
So farewell unto ye bonny, bonny
Sliabh Gallion braes.

Please mind the gap



[College Street, Dublin, Buster 2007]

Sonntag, 18. November 2007

Good and bad fuckers



[Talbot Street, Dublin, Buster 2007]

„Jaysus you bloddy bastard get it in that deadly bad fucking box!“ rief der schmächtige boyo im Sportzimmer des Molloy noch neben mir und wollte damit die schottische Mannschaft anfeuern nach dem Ausgleich noch ein Tor zu schießen, aber dann haben die deppert-schmierig-schmuddeligen Italiener ihn reingetan zum 1:2 und der Jackeen schlich mit hängenden Schultern missmutig vor die Tür zum Rauchen.

Es hat etwas leicht bajuwarisches, das Irische Englisch. >Brogue< wird in Dublin noch etwas lässiger und schneller gesprochen als sonst auf der Insel. Wortteile werden von den Dubs teilweise unsäglich in die Länge gezogen, andere wieder verschluckt: >origh< klingt einfach angesagter als das umständlich formelle >all right<. Füllwörter wie >yerra< oder >begab< werden mehr oder weniger wahllos eingeworfen und wahre Dubs reichern ihre Konversation mit zahllosen bösen Füllwörtern an, gerne auch mal mitten in einem Wort: „Thats a abso-fuckin-lutely right fucker” wurde der schottische Torschütze stolz vom ergrauten Nebenmann gelobt und lädt mich zum Pint ein. Aber der „bad fucker“ der das italienische Siegtor geschossen hatte, sollte sich besser in den nächsten Tagen nicht im Molloy in Dublins Talbot Street blicken lassen.

Auf dem Heimweg werde ich nach dem Weg gefragt und antworte, schon ein halber Dub: „So sorry but Im an abso-fuckin-lutely Dublin newbie, begab.“ Aufmunterndes Nicken des Fragenden ist mein Lohn.

Donnerstag, 15. November 2007

Es war Winter

„Es waren einmal zwei arme Holzfäller, die gingen ihres Weges heim durch einen großen Tannenwald. Es war Winter und eine bitter kalte Nacht …“
[Oscar Wilde: Das Sternenkind]

Hörbuch von Friedhelm Ptok gelesen kostenlos zum Download.
("Das Sternenkind" aus- und "komplett" abwählen).
Alle Texte (in Englisch).

48 Jahre freie Konsumwahl

„Im Kampfe gegen das kapitalistische System fordert die Sozialdemokratische Partei Deutschlands: Grund und Boden, Bodenschätze und natürliche Kraftquellen, die der Energieerzeugung dienen, sind der kapitalistischen Ausbeutung zu entziehen und in den Dienst der Gemeinschaft zu überführen.“
[Heidelberger Programm der SPD, 1925]

Am 15. November 1959 beschloss die SPD einen Steinwurf von meinem Schreibtisch entfernt den Wandel zur Koalitionsfähigkeit und zur „Volkspartei“ auf ihrem Parteitag in Bad Godesberg:

„Freie Konsumwahl und freie Arbeitsplätze sind entscheidende Grundlagen, freier Wettbewerb und freie Unternehmerinitiative sind wichtige Elemente sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik.“
[Godesberger Programm der SPD, 1959]

Mittwoch, 14. November 2007

Die Bahn

Das Ziel muss man früher kennen, als die Bahn. [Jean Paul, Flegeljahre]

Der Schritt verrät, ob einer schon auf seiner Bahn schreitet. Wer aber seinem Ziele nahe kommt, der tanzt. [F. W. Nietzsche, Also sprach Zarathustra]

Dienstag, 13. November 2007

row well

“We keep you alive to serve the ship - so row well ... and live!”
[Galeerenkapitän in Ben Hur]

Dienstag, 6. November 2007

Literatur ...

„Literatur ist ein kühner, logischer kombiniertes Leben. Ein Erzeugen oder Herausanalysieren von Möglichkeiten.“ (S. 128).
[Sie] …“erhält das Noch-nicht-zu-Ende-Gekommene des Menschen, den Anreiz seiner Entwicklung am Brennen.“ (S. 916)

[Robert Musil: Tagebücher, Aphorismen, Essays und Reden. Hamburg 1955]

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