Montag, 29. September 2008

Umstände im Prospekt

„Was wissen wir, wozu uns die Umstände treiben könnten!“
[F. W. Nietzsche: Über das Pathos der Wahrheit, 1872]

Es gehe ihm, quengelt mein Gegenüber und seufzt etwas zu affektiert hörbar auf, den Umständen entsprechend gut. Eine Wortfolge die mich an Geiselbefreiung denken lässt, Hungersnöte, Pestilenz und den dreißigjährigen Krieg. Ich kenne ‚die Umstände’ nicht und was ihnen entsprechen könnte, wir haben ganz gewiss ein sehr unterschiedliches Verständnis darüber, wie es ist, wenn es einem ‚gut geht’ und zu wenig Zeit und (ich potentiell auch zu wenig) Empathie, dies zu ergründen (falls das überhaupt ausreichend tief gehen sollte, wovon ich leider nicht immer & jederzeit überzeugt bin).

„Wer die Umstände für sich hat, dem ist niemand gewachsen“ zitiere ich Lü Bu We und verschweige geflissentlich, dass der chinesische Reichskanzler sich vor rund siebzehnhundert Jahren selbst getötet hat, weil die Umstände wohl gegen ihn standen im modrig-feuchten Keller seines Gefängnisses; dem Gegenüber hätte das allzu sehr ins Zeug gepasst und das wo doch schon Schopi gewarnt hatte.

„Für sein Tun und Lassen darf man keinen andern zum Muster nehmen; weil Lage, Umstände, Verhältnisse nie die gleichen sind, und weil die Verschiedenheit des Charakters auch der Handlung einen verschiedenen Anstrich gibt.“ [A. Schopenhauer: Parerga und Paralipomena, 1851]

Bücher sollte man schreiben, denke ich unsagbar tief versonnen in mein Eifelbier vor mir, die so ähnlich erhebend wie ‚Parerga und Paralipomena’ genannt werden könnten. Ich jedenfalls gratuliere – ganz empathieloser Holzklotz – meinem Gegenüber zum eigentlichen ‚gut gehen’ und tröste im Voraus für dunklere Tage, dass „irgendwas ja immer sei“ und es eben komme wie es komme und da bin ich schon leichtfüßig durch die Tür und frage mich im hinauseilen was der olle Kant wohl in seinen ‚Reflexionen’ gemeint haben könnte mit:

„Jedermann würde die schlechten Umstände auf die erste Lebenszeit und die guten auf die letzte verschieben, damit er sie im Prospekt hätte.“

Sonntag, 28. September 2008

Ästhetische Fallhöhe: Das kann ich auch!

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„I ordered this yellow thing from the exhibition assistants but later on I completely forgot the reason for this.“ [The Yellow Blob Story, “The Absent-minded Man”-Project, 1997]

Der 1957 in Sofia geborene Nedkov Solakov, jüngst geadelt durch gleichzeitige Beteiligung an der Biennale Venedig und der Documenta ist noch bis Mitte November im Kunstmuseum Bonn zu sehen.

Mindestens ebenso selbst ironisch, humorvoll wie unterhaltsam ist er etwa in „God News, Bad News, 1998“ bei dem Kinderspielzeug auf dem Boden drapiert, von einem Spot reißerisch angestrahlt und mit einem Text auf dem Boden versehen ist. Oder etwa in „A (not so) White Cube, 2001 ff.“ einem weißer Raum mit kleinteiligen, auf den Wänden mit Filzstift aufgebrachten, Anmerkungen (Bsp.: „A hiden energy, a hostile one“). Der Kurator Stephan Berg kommentiert hierzu etwas zu kopflastig-gewichtig nietzeanisch:

„Es sind Arbeiten die unsere Sehgewohnheiten verändern, die unseren Blich auf die kleinen Unzulänglichkeiten, die Störungen im ansonsten nicht hinterfragten Zusammenhang offen legen. Und immer verwandelt sich dabei das Nichts, das es auf den ersten Blick zu sehen gibt, bei näherer Betrachtung in einenweit verästelten Kosmos voller Geschichten, Anmerkungen und Abschweifungen“

Vieles hat so ein bisserl Ostblockflair, etwa wenn er zu schockieren glaubt indem er mit der Arbeit „Help Yourself“ Kanapees ausstellt wovon eines mit den Fingernägel des Künstlers angereichert ist, er in einem Glaskolben seine Popel zur künftigen Wiederverwendung aufbewahrt oder in „Some Nice Things to Enjoy, While You Are Not Making a Living, 2007/08“ immer wieder dialogische, interaktive Strukturen betont denen ein (mindestens Bonner) Publikum nicht gerecht wird.

Die Ausstellung ist aber schon allein wegen seiner zwei (naiv-)poetischen Zeichnungsreihen („Fears 2006/07, 99 Blätter“ und „… And They Lived Happily Ever After, 1999) empfehlenswert, auch „Top Secret, 1989/90“ in der er seine eigene Spitzeltätigkeit für den bulgarischen Geheimdienst aufarbeitet ist sehenswert provokativ-vielschichtig und gleichzeitig selbst ironisch humorvoll.

Samstag, 27. September 2008

Diskurse habermasieren ins heideggerische

Wenn man so in sehr überschaubarer Runde vom Hausherrn um einen Kamin herumdrapiert wurde, grade so, als wäre man sprechendes Ornament und gewagtes stylisches Dekorationsobjekt wobei jener Allgewaltige auch noch darauf geachtet hat, dass sich widerstreitende Positionen möglichst gegenüber und nicht nebeneinander verortet finden, dann, scheint es, bleibt schrittweises Cocooning und altdeutsche Lagerbildung leider nicht aus.

Mir gegenüber sitzt (schon wieder) ein Banker der, nachdem ihm mit übertrieben großer Geste das Wort erteilt wurde, zunächst von Erfahrungen zu berichten weiß, die „eindrücklich“ ja eigentlich gar „existentiell“ sind, Und so lauscht die Runde pathetisch verschwiemelt ergriffen, die doch laut Einführung dem interdisziplinären Austausch von Forschungsergebnissen verpflichtet sein sollte, den ridikülen Berichten einer Segelreise, einhändig durchgeführt versteht sich ja wohl von selbst – darunter wird heute kein Klüver mehr gehisst. Und als grade allen die imaginäre Gischt um die furchtsamen, kanapeegefüllten Finger brandet, wechselt er unvermittelt das Thema und kommt auf Carl Schmitts Abhandlungen „Theorie des Partisanen“ zu sprechen die er ebenso „faszinierend wie aktuell“ empfindet. „Eindrücklich“ hat er jetzt nicht grade gesagt, aber schlimmer doch: „hier hat doch mal einer an der Wahrheit gekratzt“, krabbelgruppt es infantil aus ihm heraus.

Und da alle so mönchisch-andächtig vor sich hin diesen unsinnig-platten Gedanken nachhängen grad so als ob es dafür gleich mindestens einen Nobelpreis geben muss, kann ich nur gepresst und sehr spöttisch erwidern: „Und was für einer und was für eine elende Wahrheit“ und das wohl auch etwas zu laut und heftig und plötzlich ist alle gefasste intellektuell-gefärbte Abgeklärtheit aus dem Raum gefegt, offene Feindseligkeit wechselt sich ab in den grauen Gesichtern mit gelangweilter Verwunderung. „Hitlers willfähriger Speichellecker“, aufzähle ich, „Totengräber der Demokratie, Antisemit sonder gleichen, habe also die Wahrheit geschnuppert“, und je länger desto mehr bin ich wieder meiner selbst gewiss und deutlicher ironisch zitiere ich den Hobbesianer Carl Schmitt aus müdem Kopf: „Die Essenz des Politischen ist die Unterscheidung von Freund und Feind“. Na das merkelt ihr euch jetzt aber.

Der Kantianer Jürgen Habermas war es, der Schmitt seinerseits schonungslos und sehr gut begründet kritisiert hat: Habermas' Diskurstheorie ist freilich normativ angelegt, sie beschreibt eine „Sollgeltung“, keine Faktizität. Dass die Welt nicht immer so ist - Habermas weiß es am besten. Ein sehr höhnisch-gefräßiges Lachen kommt von gegenüber, altes Zeug sei das, 68er-Kitsch ganz offensichtlich und Arnold Gehlen und Martin Heidegger werden sehr eifrig bemüht für die deutsche Rechte (und der allgewaltige Hausherr schweigt wie ein Eunuch). Und lebten wir nicht in gefährlichen Zeiten, der isalmische Terror-Krieg, der Konflikt im Kaukasus, die Finanzkrise? Lehrten sie uns nicht, wie schnell althergebrachte und für selbstverständlich gehaltene Sicherheiten unseres Lebens wegbrechen können? Wer hätte in diesen Tagen nicht das Gefühl, auf schwankendem (Börsen-)Boden zu stehen? Und ist nicht der Eindruck unabweisbar, dass in dem internationalen Haifischbecken der Globalisierung andere Gesetze herrschen als die, welche das "Paradies" der Habermas'schen Kommunikationsgemeinschaft nahelegt?

Das alles findet bald ein ebenso frühzeitiges wie ungewollt-ruppiges Ende und kommende atomare Stammeskriege werden wohl vorerst ohne Habermas’ und Schmitts Propädeutik stattfinden müssen, befürchte ich. Letztlich wird es zur Annahme eines möglichen Besseren keine Alternative geben, was ja nicht für diesen Abend gelten muss. Und so flüstere ich ins Ohr des unbedarften Repäsentanten der Bunsräpublik Doitschland in der Runde den Pigor von 1999:

„Mamma lieber alle Heidegger Heidegger ou ou ou

Ich heideggere euch in Grund und Boden
Heideggere euch den Schwarzwald rauf
Und wieder runter heideggere Euch die Hoden
Und maroden Schädel auf

Heideggere euch die Wand entlang
Heideggere euch - so klein
Heideggere euch zurück auf Anfang
Auf die Frage nach dem

Sinn nach dem Sinn dem Sinn nach dem Sinn vom Sein ...

Da hatter hatter hatter Heidegger wiederma recht ...

Heidegger Heidegger ou ou ou“

Mittwoch, 24. September 2008

The last walz

“Meet me at the central bank I’ll be the one without a skateboard” singt Sally zur Einleitung. Sie organisiert jeden Montag ein Event für Singer und Songwriters im Keller Function Room der International Bar, ich bin der einzige der nicht angemeldet ist als Vortragender und weltfremd genug, sehr verwundert zu sein, dass es so was noch gibt. Die Vortragenden sind zwischen 18 und 65 Jahre alt.

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Mein Top-Favorit war der - zugegeben hier sehr schummrig foddografierte - 65-jährige Dubliner Donal der grade mal einen halben Meter vor der Herrentoilette a capella von einem One Night Stand mit einer blonden Frau mit langen Haaren sang. Und schöner geht das auch gar nicht: Wo andere von der Bühne gepfiffen werden hat hier jeder genau drei Lieder, keine Zugabe oder dergleichen und alle helfen und singen den Refrain mit, sind ja genug gute Sänger im Raum und so geht das bis weit nach der Sperrstunde.

Man sollte ja immer etwas rutschen auf seinem Barhocker rät mir meine Nachbarin und erzählt mir die Geschichte von Conán Maol von Irlands Fianna, ein Großmaul, das sich über alle und alles lustig machte. Doch dann wurde er an einen Stuhl gezaubert, keiner wusste wie das geschah. Er hing ganz fest und man konnte ihn nicht loskriegen. Da rissen sie ihn gewaltsam los, doch man musste ihm ein Stück Haut aufs Hinterteil nähen. Und weil wir in Irland sind und alles auch etwas Gutes hat, war das Stück Haut aus Schafsleder, und von da an wurden alle Strümpfe für die Krieger der Fianna aus der Wolle gemacht, die auf Conáns Hintern wuchs.

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[Patrick Kavanagh rutsch nicht, irischer Poet und zu Lebzeiten notorischer Banksitzer am Grand Canal; bevor allüberall gelidelt wurde]

Mit Oskar Wildes Zitat „Life is a great disappointment” begrüße ich angriffslustig den kleinen Landlord der heute furchtbar aufgeregt und ganz grau beanzugter Manager mit „mid-Atlantic accent“ ist. „You look funny well as ever“ grüßt er arg zerknautscht und wenig schlagfertig zurück. Von seinen Leuten verlangt er die Hingabe eines japanischen Kamikaze-Piloten hatte mir sein Assistent gestern zugeraunt, der ab nächsten Monat in der Hauptstadt arbeiten wird und „In doubt, lie“ habe der little Hitler sie angewiesen, wenn ich sie interviewe. Eine Handvoll Befugnisse wird er wohl hoffentlich verlieren.

„Dublin is on the go” höre ich mantrahaft allenthalben und es ist immer positiv gemeint: Entweder als Kommentar à la das wird schon noch werden für Fragwürdiges oder als Lob für erbrachte Leistungen. Und so schließe ich die letzte Präsentation auch mit dem Orakelspruch „You are on the go“ und das finde alle ganz furchtbar klasse und, wie man mir mehrfach versichert, auch super deutlich auf den Punkt gebracht. So genau wollen es meine Banker also wissen und da wollen sie mich schon wieder in die Bar einladen „for a drink and a half“, nun ist aber genug. „May all your troubles be little ones” raune ich dem kleinen Landlord vieldeutig zum Abschied zu und bin durch die Tür.

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Dienstag, 23. September 2008

Answer the call enter the daw

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Erstes Gesprächsthema beim Smalltalk ist auch in Dublin gerne das Wetter und wie es nun mal bei grundoptimistischen Menschen wie den Dubs der Fall ist, versichern sich alle jederzeit und immerzu wie schön das Wetter ist, selbst wenn es unaufhörlich regnet. Wenn der Landregen allerdings in die Sprichwörtlichen ‚cats and dogs’ übergeht und selbst der Mutigste sich nicht mehr traut das Wetter zu loben, versichern sich alle jederzeit und immerzu, dass das Wetter morgen gewiss wieder schön sein wird. Seit Tagen ist allerdings strahlender Sonnenschein in Dublin und ein so blauer Himmel wie ihn Touristen nur von den Postkarten her kennen und alle fotografieren sich und alles immerfort gegenseitig vor blauem Himmel und keiner traut sich mehr das Wetter zu loben grade so als ob das ausgesprochene Lob zu Regenwetter führen würde.

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[Rachel Whitehead: Modern Chess Set, 2005, S. Guiness Galery, Eustace Street]

Schon Leopold Bloom im Ulysses konnte sich einen Tag in Dublin ohne Pubs gar nicht vorstellen und nachdem ich die erste von zwei Präsentationen des Tages launisch mit Oscar Wildes Zitat “I am not young enough to know everything” tiefstapelnd eröffnete und alles leidig gelungen war, musste ich also zum Mittag mit den Kollegen in die Barge Bar an der Charlemont Street, ein Etablissement das mittags von Anzugträgern der umliegenden Docklands bevölkert wird (und solchen wie mich, die gerne einen hätten). Als plötzlich der teutonische Oberstudienrat gekleidet in Wanderschuhen, Kniebundhosen und Lodenjacke aus deren Seitentasche ein schlecht gefalteter Stadtplan neben mir aufragt und seine Begleiterin hat - wie ichs schon in Limerick vorherwahrsagte rote Wandersocken zu etwas mit Dirndlhafter Anmutung an. In seiner Hand einen etwas abgegriffen Ulysses in der ihren ein Baedecker versucht er in einer Sprache, die er wohl für Irisch hält, einen Whiskey zu bestellen. „uisce beatha“ wiederholt er mantrahaft während er sich bei seiner Frau in stark oberbayerischem Dialekt darüber beschwert wie alles früher viel tiefsinniger war als heute und wie schade es ist, dass das Dublin des Ulysses verschwunden sei unter all diesen Neubauten. Als auch ein erneuter Orderversuch nur ein verständnisloses Grinsen beim Barman auslöst und meine Banker von einem vornehm amüsierten Kichern in ein infernalisches Gelächter auszubrechen drohen angesichts dieser ridikülen Szene spreche ich den Herrn an und gebe ihm den Hinweis, dass er mit einer halbwegs englischen ausgesprochenen Bestellung sicher schneller ans Ziel kommen werde. „Das meiste in gälischen Wörtern“ aufkläre ich ihn jetzt ganz zielgruppenorientiert Oberstudienratskonform, „spricht man nicht aus, und das, was man ausspricht, spricht man anders aus“, es sei also besser er vermeide Irisch rate ich distinguiert. Im Übrigen würden auch viele Dubliner es auch dann nicht verstehen, wenn es korrekt ausgesprochen würde, rutsche ich ins Konjunktive, weil sie Irisch in der Schule wie eine Fremdsprache gelernt und danach wieder vergessen haben.

Rein literarisch sei das schon schade, wiederholt er sich jetzt weinerlich zu mir gewandt, dass alles sich, dass das good dirty old Dublin sich so ändere und sagt „you can call me Alois“, er sei ja Oberstudienrat aus Oberbayern. Ich bitte einen der immer noch kichernden Kollegen das einzige irische Sprichwort auszusprechen das ich kenne: “Is fearr an t-imreas ná an t-uaigneas.” Was übersetzt so viel bedeutet wie “Besser der Streit als die Einsamkeit.“ Es ist der Lieblingsspruch des Poeten und wüsten Trinkers Brendan Behans, wohl nur deshalb kenne ich es. Und nachdem er seinen Whiskey und die Rotbesockte ein Glas Cider getrunken haben hat er etwas in seinem mit Lesezeichen gespickten Ulysses geblättert und fragt mich auch noch nach dem Weg zum Davy Byrne’s. „Sie wollen jetzt bitte nicht so dorthingehen um ein Glas Burgunder und ein Gorgonzola-Sandwich mit Senf zu essen?“ antworte ich sehr barsch und beide erschrecken rechtschaffen, weil ich sie in Deutsch angesprochen habe und für die Banker, die es in der kurzen Mittagspause zwischenzeitlich zum dritten Pint geschafft haben, brechen endgültig in Gelächter aus, das lauthalser gar nicht mehr sein könnte und Oberstudienrat Alois nebst seiner Rotbesockten Begleitung eilen erschrocken am Grand Canal davon.

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Les White, der Besitzer der Eclectic Galeriea „the brown envelope“ in der es vor knick-knacks und gewgaws nur so wimmelt, sonnt sich in der Dean Street. Und als wir grade so darüber plaudern wie denn die Geschäfte so laufen für Eklektisches beginnen die Glocken von St. Patrick, Irlands größter Kirche, in seinem Rücken zur Abendandacht zu läuten. Da wird er unvermittelt laut und wütend und meint, Cromwell hätte das schon ganz richtig gemacht als er die Kirche in einen Pferdestall verwandelt hätte. Auf meinen verwunderten Blick führt er schon wieder etwas ruhiger werdend aus: Kein Mensch brauche Kirchen, schon gar nicht solche, in der Priester an Touristen überteuert Salz- und Pfefferstreuer verscherbelten. Und bei diesem Wort scheint wieder der Geschäftssinn in ihm zu erwachen und er lockt mit großer Gestik und Mimik: Er hätte da einen unglaublich eleganten Art Deco-Spiegel in seiner Eclectic Galeria, den müsse ich einfach kaufen. Da antworte ich aber ganz katholisch reserviert: kein Mensch brauche elegante Art Deco-Spiegel und er lacht laut auf.

Montag, 22. September 2008

It’s a dog eat dogs world

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Als ich diesen Herrn hier frage, ob er denn mit dem Stöckchen vorhabe seinen Vierbeiner voranzutreiben wie John Wayne die Herden beim großen Viehtrieb nach Westen schaut er mich ganz entrüstet an und antwortet, dass er seine „Fat Berta“ nirgendwohin treibe, es sei ja vielmehr so, dass sie ihn jeden Tage regelrecht durchs Viertel ziehe und er habe Mühe mit ihr Schritt zu halten und lacht mich dabei schon wieder an. Warum das Tier denn Fat Berta heiße, will ich noch wissen, der Hund sei doch alles andere als fett. Das ‚Fat’ habe er ihrem Namen hinzugefügt, und grinst verschmitzt um sich selbst daran zu erinnern, dass er dick und fett werde, wenn er nicht täglich mit Berta seine Runde macht und taxiert dabei für meinen Geschmack etwas zu sehr meinen Astralkörper.

„We were shipwrecked before we embark“ gab sich mein Landlord ganz und gar versöhnlich in einem mir bei ihm noch unbekannten ‚peace & harmony’-Rausch und „lets clean up the act“ sagt er dann ganz freundschaftlich und um lockere Atmosphäre bemüht, diese Redewendung kenne ich nur von Schildern auf denen Hundebesitzer aufgefordert werden die Hinterlassenschaften ihrer Vierbeiner zu entfernen. Womöglich habe ich gutmütiger Trottel wieder zu sehr hinterm Berg gehalten mit meiner Kritik, vielleicht war es aber auch so, dass er die Götterdämmerung erwartet hat und so ein kleines Gewitter eher sein Gemüt erfreut hat. Wäre doch schön gewesen in Kerry sagt er und erzählt mir einen müden Witz: Zollbeamter: Irgendwelche Pornographie in Ihrem Koffer, Sir? Kerryman: Wie denn, was sollte ich wohl damit? Ich besitze nicht mal einen Pornographen um sie abzuspielen. Hahaha … Wer weiß, wo das enden wird aber: „It’s not over until the fat lady sings” gilt ja bekanntlich nicht nur für die Oper …

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[Pieter Brueghel (d. J.): Peasant Wedding 1620. National Gallery,Dublin]

Der olle Brueghel der Jüngere hatte bestenfalls eine schwache Vorahnung davon, was passiert wenn sich das, was sich tagsüber schillerd kulturell gibt, verwandelt zu Ballermann im Regen an der längsten Theke Irlands. Dublin ist angesagte Party-Metropole und Temple Bar am Wochenende daher eine No-go Area für nicht täglich Karnevalisierbare. Insbesondere gefürchtet sind Stag and Hen Parties wie die Kampftrinkwochenenden genannt werden bei denen der Abschied vom unverheirateten Leben mit reichlich Alkohol, Gesang, Tanz und Sex gefeiert wird. Die meist einheitlich gekleideten Horden ziehen dabei von Pub zu Pub und später Club zu Club Oscar Wilde memorierend: „I drink to keep body and soul apart“ alle meilenweit neben sich stehend.

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Neben dem Fringefestival mit dreißig internationalen Theaterproduktionen und der Culture Night ist es vor allem aber John McInerney, der einen dann doch am Wochenende in das Babel Dublins zieht. Samstags ist Temple Bar Food Market am Meeting House Square und John serviert halbdutzendweise Austern, die am Tag zuvor noch vor Galway vom kalten und klaren Atlantikwasser umspült wurden. Und obwohl die Bewohner vom Nordwesten gemeinhin als etwas verschlossener gelten, betont John mehrfach, dass er die drei Jahre alten Riesenaustern alle eigenhändig gestern geerntet hat und man kann nur begeistert mit dem Kopf nicken vor lauter schlürfen.

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[irish modern dance theatre: Rhytmic Space, Chor. & Text: John Scott]

Sonntag, 21. September 2008

Exquisite Corpse

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Moss lehrt am Trinity College neuere Kunstgeschichte und wohnt ansonsten tagsüber nach eigenen Angaben im Cafe des Museum of Modern Art auf ‚seinem’ Sofa (das er hin und wieder mit einer Bank im Innerhof tauscht um dort zu rauchen). Als er erfährt, dass ich aus Deutschland komme, spricht er die zwei Ausstellungen an, die gerade von Deutschen Künstlern stattfinden.

Ich muss ihm gestehen, dass ich Janaina Tschäpe bislang gar nicht kannte: Ihre Ausstellung mit dem Titel ‚Chimera’ beinhaltet aktuelle Gemälde die auf den ersten Blick unglaublich lebhaft, surreal, melancholisch und formenreich-mehrdimensional erscheinen. Vieles wiederholt sich freilich und es ist innerhalb der von ihr verwendeten Medien ein für mich störender Gleichklang aber nicht unbedingt eine Entwicklung zu erkennen.

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[Janaina Tschäpe: Ohne Titel, 2007 (Serie botanical notations), Ausschnitt]

„What makes a Chimera a fearful monster isn’t any of (its) traits in particular, but the fact that they all combined in a single being“ sagt sie im Interview mit der Kuratorin. Ob Zeichnungen, Fotografien, Gemälde oder die Videoinstallation auf vier Leinwänden (Blood, Sea, 2004): Überall wiederholt sich das Thema unentwegt und etwas angestrengt weil es immer aus gleicher Perspektive angegangen wird und sie spricht auch selbst von „media amalgamation“ um ihre Arbeitsweise der Synthese auszudrücken.

Tiefpunkt ihrer Ausstellung ist jedoch eine sehr umfangreiche Arbeit von einhundert großformatigen Fotografien (100 Little Death (1996-2002) die sehr aufwendig und mir viel zu ästhetisch komponiert wurden, auf jeder Arbeit liegt irgendwo ein(e) Tote(r) und das soll „danger and the horror for an artist of a failure of ideas“ ausdrücken. Selten wurde schöner und ästhetisch anspruchsvoller gescheitert, sage ich und Moss muss laut lachen.

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[Ulla von Brandenburg: Nummer Drei, 2006]

Ulla von Brandenburgs Arbeiten, die unter dem Titel “Whose beginning is not nor end cannot be” (das ist ein – sehr wunderschönes – Zitat von Magen John Dee) ausgestellt werden, zeichnen sich ebenfalls durch eine großen mediale Vielfalt aus (es werden Zeichnungen, eine Installation, eine Wandmalerei (Forrest, 2008, Acryl auf Wand) und der 16 mm-Film „8“ von ihr gezeigt. Sie verfolgt ihre Themen sehr komprimiert in unterschiedlichen Kontexten: Zeichnungen etwa werden zu Vorstudien für Filme, Filmrequisite wird zum Kunstobjekt und Performances nehmen Bezug auf Wandmalereien. Für von Brandenburg steht dabei jedoch nicht die Synthese verschiedener Elemente im Fokus, sondern, und das macht die Arbeiten so fruchtbar, die wechselseitige Reflexion und im besten Falle auch Verfremdung ist es, durch die sie komplexe Themen ganzheitlicher erschließt.

Das ist, bleibt Moss sehr britisch höflich distanziert, eine sehr unakademische und erfrischende Art mit der ich mich da der zeitgenössischen Kunst nähere. Und dann spielen wir noch das Spiel, welche drei Bilder in der aktuellen Ausstellung ein ‚Must See’ sind und man dringend empfiehlt anzuschauen. Und er wählt - wenig aufregend wie ich finde - einen Polke auf Platz drei, einen Duchamp auf dem zweiten und auf dem ersten Platz von Vik Muniz: Portrait of Alice Liddel. Meine Must See sind natürlich viel unkonventionell-unakademisch intuitiver:

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Drittens: [Miquel Barceló: Le fleuve Niger 1 No. 33, 1988]

Aus seiner Ausstellung ‚The African Work’, eine wie ich finde ausgesprochen abenteuerliche Mischung aus sehr emotionalen und tiefgründigen, technisch sehr anspruchsvollen, Arbeiten und daneben und offen gesagt sogar überwiegend: Viel abgrundtief schlechter Ethnokitsch, mit schnellem Pinsel lustlos aufgeramscht.

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Zweitens: [Eulàlla Vallderosa: Estructura Humana. El Medic del Mon, 1993]

Aus der Ausstellung „Order, Desire, Light“ mit 250 Zeichnungen von internationalen Gegenwartskünstlern die eine unglaublich große Bandbreite von expressionistischen Arbeiten bis hin zu Zitaten der Konzeptkunst enthält.

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Erstens: [Rebecca Horn: Take me to the other side of the ocean, 1991].

Aus der grade gespielten zweiten Runde des “Exquisite Corpse”. Ziemlich ungewöhnlich für mich diese erste Wahl aber: Blauer können Sehnsüchte nun mal nicht ausgedrückt werden, kreisförmiger kann auf-der-Stelle-treten und hoffen, dass es voran geht, nicht dargestellt werden.

Und das war auch schon das Stichwort, noch gemeinsam einen neuen Wein zu trinken auf das Wohl der Surrealisten die das „Le cadavre exquis boira le vin nouveau“ vor immerhin 83 Jahren zum ersten Mal gespielt haben, an Arbeit und Projekt ist da gar nicht mehr zu denken ...

Samstag, 20. September 2008

Showtime on Moore Street

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Margie ist nach eigener Aussage die beste Fischverkäuferin ganz Irlands und als ich am Spätnachmittag eines für irische Verhältnisse eher warmen und eher regenarmen Tages in der Moore Street vorbeikomme, riecht es schon ziemlich was streng. Den Fisch köpft sie (was ist das eigentlich für einer, hab ich ganz vergessen zu fragen) mit der schon in Cork beobachtbaren Inbrunst, wahrscheinlich eine conditio sine qua non in diesem Beruf für langjährige Zufriedenheit – Berufsberater sollten diesen meinen ungeheuer brillanten Gedanken bitte eilfertig notieren. Als ein Umstehender fragt, ob sie der Fischgeruch nicht stört lacht sie keck auf und antwortet: „My husband really loves it“ hält dabei trotzig das ‚o’ bis ihr fast die Luft ausgeht und verteilt unentwegt Luftküsse. Und es bewahrheitet sich so erneut: Echte Showtalente werden auf der Straße geboren.

Die Comedy-Shows im Ha’penny Bridge Inn am Wellington Quay waren einmal ein must have (wenn ‚Großväterchen Buster erzählt’), insbesondere dann, wenn sich ambitionierte Laien vors Publikum wagten. Dieses war schließlich dafür bekannt, dass es unerbittlich urteilte: Bei Nichtgefallen wurden die Akteure regelrecht und gnadenlos von der Bühne gepfiffen, kamen die Gags an, durfte man nicht von der Bühne abgehen. Zwischenzeitlich hat das Publikum allerdings so großen Gefallen an der rüden und vernichtenden Kritik gefunden, dass jeder Darbieter unabhängig von der Qualität des Beitrages nach spätestens zwei Minuten die Bühne verlassen muss. Dafür auch noch Eintritt zu zahlen ist nicht jedermanns Sache.

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[Rob Williams, „don’t call me Robbin I’m not rotten“]

Einzige Alternative bleibt der International Comedy Club im ersten Stock der International Bar in der Wicklow Street. Auf dem Foto ist Rob Williams zu sehen wie er auf einer Alt- und Sopranmelodica ein Meat Loaf-Medley spielt und dabei noch den Leadsänger gibt. Sein Lieblingsgag beschäftigt sich damit, wie Sprache sich im Laufe der Zeit verändert:

Früher waren seltene Dinge so selten wie Nadeln im Heuhaufen.
Dann kam das Heroin und überall lagen Nadeln herum.
Dann kam das Farmensterben und nirgendwo gab es mehr Heu oder gar Haufen davon.
Heute sind seltene Dinge so selten wie …
(Jetzt, vieltausendköpfige Leserschaft, bitte den Witz selbst zu Ende führen und dabei die Zeit stoppen, ich frage das die Tage noch mal nach …).

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Hatschi
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jump - 17. Dez, 19:18
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Das ist in der Nordeifel:...
Das ist in der Nordeifel: Heimbach in Nebel und Sonnenschein.
BusterG - 17. Dez, 00:24
Geschätzte Wassertemperatur:...
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BusterG - 17. Dez, 00:23
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Danke
BusterG - 17. Dez, 00:21
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... AUCH an Dich gewandt. Ich würde doch sonst nicht...
BusterG - 17. Dez, 00:21

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