gegen den Puffkeïsmus der teutschen Seele

„Leben heißt, alle Möglichkeilen. Gegebenheiten der Sekunde zusammenpressen in faßbare Energie, Weisheit. Die Ewigkeit ist nichts, sie ist nicht älter oder besser als das Mittelalter, sie stammt ab vom Gestern, sie ist im Monde oder in der zahnlosen Kieferhöhle des Greises, verstärkt durch die lächerliche bürgerliche Intelligenz, die einer Luftdruckbremse gleicht. Laßt uns alle alten Vorurteile hinwegfegen, das Vorurteil, es sei etwas gestern gut gewesen oder es werde morgen besser sein, nein! Laßt uns das Heute sekündlich fassen! Die Zeit ist eine Zwiebel, hinter deren Haut eine andere Haut und noch wieder eine Haut ans Licht tritt ...“ [R. Hausmann, Présentismus: gegen den Puffkeïsmus der teutschen Seele.]
Raoul Hausmann, geboren am 12. Juli 1886, spielt im Berlin der zwanziger Jahre bei den Dadaisten eine zentrale Rolle. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin Hannah Höch gilt er als Pionier der Fotocollage. Im Alter vergessen und als Einsiedler in Limoge lebend ist sein umfangreiches Werk heute nur noch wenigen bekannt. Zum Großteil liegen Typoskripte und Textfragmente unpubliziert in seinem Archiv in Limoges.

„Eingedrungen in dies Felsgeklüft, nur von niederen Wacholdern und verknarrten Bäumen bestanden, ersieht man - WAS? Nichts als im Nebel verschwimmende Steinmassen, deren wirkliche Formen auszumachen nicht möglich ist. Das gibt welchen Eindruck? Garkeinen. Heimtückische Tücke der natürlichen Objekte, die sich nicht dem Anblick ergeben mögen. Denn nicht, denn nicht, ich bleibe mit Heta unter einem Baum als Regendach.
Robert, Andree, Marly glaubend, sie ersähen doch Etwas, gehen weiter, steigen klimmend auf einen Fels, der dasteht wie ein Schiffsbug, sie entfernen sich, man hört ihre Stimmen verklingen. Warten unter dem Regen unter dem Baum: warten auf ihre Rückkehr. Wartend dastehen. Wartend in Schweigen, das nicht durch Vogelruf, das durch keinen Laut unterbrochen ist, unterbrochen wird. Wartend wartendes Erwarten.“
[R. Hausmann, Umbruch, S. 100]

„Umbruch“ ist eine sehr lesenswerte Collage aus Wortgefechten, Gedankenspielen, Gedichten und essayistischen Exkursen. Poesie ist innigst verwoben mit redseligem und klatschhaftem Geplänkel und der Selbstdarstellung geschuldeten aphoristischen Exkursen.

„Der Mensch ist nur ein kompliziert gewordenes Kind, das nicht weiß, was es tut. Herr, Herr, vergib ihnen, weil sie nicht wissen, was sie tun. Sie sprechen nur in Märchen die Sprache der Vögel oder der Fische, sie sprechen tausend Sprachen und können in keiner sagen, was sie sagen möchten oder sagen sollten. Des Menschen Denken und Sprechen ist Kauderwelsch. Verschmitzt, nicht wie schmutzig, sondern wie schlo.“
[Raoul Hausmann, Umbruch, S. 103]

Der Mensch hat sich nach Hausmann dem Leben entfremdet, ist ein Domestizierter. Dagegen kämpft Hausmann mit all seinen Talenten zeitlebens an. Er galt als stürmisch, jähzornig, genial und exhibitionistisch. Für ihn ist die Kunst der Spiegel des Ich und versucht nicht, das Leben zu überdauern.

„Der Mensch hat zwei Richtungen seines Wesens: Die zum Unmöglichen und die nach dem Unzähligmöglichen!! Das Unmögliche wird ihm nicht in dieser Sekunde, in unserer Zeit. am heutigen Tage gelingen, sei es Gott. oder das schöpferische Prinzip, die lebendige Dynamik, die wie ein Ansaugemotor die Welt, das Geschehen, die Ereignisse zusammenzieht, und sie die mögliche Weit bilden läßt - dem Menschen ist es aus einer lächerlichen Einfalt nötig. nach dem Unerfüllbaren des Ideals Sehnsucht zur Schau zu tragen und dies unerfüllbare Unmögliche ist, aus sich selbst ein Perpetuum mobile zu gestalten, ein Monstrum von Kugel, die gleich der Sonne im Raume schwebt! Fort mit dieser Sehnsucht, fort mit dem Unmöglichen, weil es nicht möglich und verwirklicht ist!!! Überlaßt es den Golems und Rautendeleins! Wir wollen uns an das unaussprechbar beglückend Mögliche halten! …“ [R. Hausmann. Présentismus: gegen den Puffkeïsmus der teutschen Seele.]

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