lobesam

Freitag, 5. Januar 2007

Wir können im Grab so gut wimmern wie in der Wiege

Danton: „Will denn die Uhr nicht ruhen? Mit jedem Picken schiebt sie die Wände enger um mich, bis sie so eng sind wie ein Sarg. - Ich las einmal als Kind so 'ne Geschichte, die Haare standen mir zu Berg. Ja, als Kind! Das war der Mühe wert, mich so groß zu füttern und mich warm zu halten. Bloß Arbeit für den Totengräber!
Es ist mir, als röch' ich schon. Mein lieber Leib, ich will mir die Nase zuhalten und mir einbilden, du seist ein Frauenzimmer, was vom Tanzen schwitzt und stinkt, und dir Artigkeiten sagen. Wir haben uns sonst schon mehr miteinander die Zeit vertrieben.
Morgen bist du eine zerbrochene Fiedel; die Melodie darauf ist ausgespielt. Morgen bist du eine leere Bouteille; der Wein ist ausgetrunken, aber ich habe keinen Rausch davon und gehe nüchtern zu Bett - das sind glückliche Leute, die sich noch besaufen können. Morgen bist du eine durchgerutschte Hose; du wirst in die Garderobe geworfen, und die Motten werden dich fressen, du magst stinken, wie du willst.
Ach, das hilft nichts! Jawohl, es ist so elend, sterben müssen. Der Tod äfft die Geburt; beim Sterben sind wir so hilflos und nackt wie neugeborne Kinder. Freilich, wir bekommen das Leichentuch zur Windel. Was wird es helfen? Wir können im Grab so gut wimmern wie in der Wiege.“

[Georg Büchner: Dantons Tod. Vierter Akt, Dritte Szene, 1835.
Uraufführung am 5. Januar 1902]

Samstag, 30. Dezember 2006

Unter den Galgenästen

„Ich glaube,“ sagte Christoph Meckel über ihn, „kein anderer seiner Generation hat den Nachlaß des Faschismus so folgerichtig beendet und so aufrichtig in die Zukunft geschrieben wie Volker von Törne.“

Gedanken im Mai

Ich rede von mir: Volker von Törne, geboren
Im vierunddreißigsten Jahr des zwanzigsten Jahrhunderts
Als meine Genossen schon kämpften gegen die Mörder
Die mich aufzogen als ihresgleichen
Nach ihrem Bilde:

Und ich trank die Milch
Die dem Hungernden fehlte. Und ich trug das Kleid
Meinem Bruder geraubt. Und ich las die Bücher
Die den Raub billigten. Und ich hörte die Reden
Die aufriefen zum Mord:

Und ich nannte den Schlachthof
Mein Vaterland, als schon die Völker aufstanden
Gegen mein Volk. Und ich betete für den Endsieg
Der Mörder, als schon die Städte
Aufgingen in Rauch:

Und schuldig war ich
Am Tod jedes Menschen, ahnungslos atmend
Unter den Galgenästen
Süßduftender Linden

[Volker von Törne: Im Lande Vogelfrei. Gesammelte Gedichte 1981]

Arkadische Tage

Freitag, 29. Dezember 2006

alle Gewichte des Gleichmuts




[Buster: Möwenkacke auf der MS Deutschland SS 372]




Unstete Waage des Lebens

Unstete Waage des Lebens
immer schwankend, wie selten
wagt ein geschicktes Gewicht
anzusagen die immerfort andre
Last gegenüber.

Drüben, die ruhige
Waage des Todes.
Raum auf den beiden
verschwisterten Schalen.
Gleichviel Raum. Und daneben,
ungebraucht,
alle Gewichte des Gleichmuts,
glänzen, geordnet.

[R. M. Rilke: Toten-Mahl, Nachlaß]

„Ein Kunstwerk ist gut, wenn es aus Notwendigkeit entstand. In dieser Art seines Ursprungs liegt sein Urteil: es gibt kein anderes.“ Brief Rilkes an Franz Xaver Kappus, Paris am 17. Februar 1903

Donnerstag, 21. Dezember 2006

Life's a ball, TV tonight



Be a loyal plastic robot
For a world that doesn’t care
Smile at every ugly
Shine on your shoes and cut your hair

[Frank Zappa: Brown Shoes Don’t Make It, Absolutely Free, 1967]

Dienstag, 19. Dezember 2006

Glühweihnachten

...
Orangenschälmesser
Socken
Crème brûlée-Hochleistungsküchenbrenner
Kravatten
Bortbackautomat
Digitalkamera


Was da nicht alles in plastikbunten Tüten nach Hause getragen wird vorbei an den ewig schlechtgelaunten weil vermeintlich immer zu wenig Umsatz machenden Einzelhändlern und spätestens am fünften Glühweinstand wird - Temperatur hin mangelnder Schneefall her, Rast gemacht, es ist schon ein Kreuz mit dem Friedensfest und dann kommt auch noch so ein christlich-fanatischer Kulturkämpfer vorbei und textet einen zu von wegen Verballermanisierung der Vorweihnachtszeit. Der Fanatismus ist ja laut Nietzsche die einzige 'Willensstärke', zu der auch die Schwachen gebracht werden können. Na denn mal prost.

Jean Cocteau, ein Bewunderer von Genet schieb am 6. Februar 1943 in seinem Tagebuch: „Ich glaube, dass es nur noch vier Exemplare gibt. Den Rest hat er zerrissen.“

„Oh mein alter Marino, oh liebliches Cayenne!
Ich sehe die Körper von fünfzehn bis zwanzig Sträflingen
Um einen blonden Knaben gebeugt, der die Stummel raucht,
Von den Wärtern in die Blumen und das Moos gespuckt.“

[Jean Genet: Der zum Tode Verurteilte.
Le Condamné à mort Übers. von G. Edler.
In F. Flemming (Hrsg.): Es waren härtere Tage. WA Bd VII]

Das Gehirn des Menschen hat sich im Lauf der letzten sagen wir rund 50 Millionen Jahre nicht wirklich nennenswert entwickelt. Aktuelle Forschungen wollen zwar herausgefunden haben, dass jener Hirnteil, der für das Sozialverhalten zuständig sein soll, sich seit den Einzellern deutlich vergrößert haben könnte. Pädophobiker sind da aber anderer Meinung, wenn eine Gruppe Jugendlicher auf sie zukommen und ihnen die in letzter Minute beschafften Geschenke

...
Grillschürze
Bratapfelzubereiter
Jahresrückblick mit 700 Farbfotos
Grosse Eismaschine
Weihrauch
Myrrhe
Gold
Mobiltelefon


abzunehmen drohen. Die Kriminalpolizei hat mal wieder nix besseres zu tun, als „Ruhe bewahren“ zu raten, wenn die halbe Bronx auf sie zukommt. „Augenkontakt vermeiden und wenn möglich ruhig die Straßenseite wechseln.“ rät der freundliche Herr Oberwachmeister im Radio eben. Dann sagt er noch was von wegen „nicht den Helden spielen“, aber ich hör schon gar nicht mehr zu, weil man mir ja gar kein

...
Mälzer-Kochbuch
Tastatursauger mit USB-Anschluss
Kerner-Kochbuch
Leselampe mit USB-Anschluss
Bio-Kochbuch
Kaffeewärmer mit USB-Anschluss
Lafer-Kochbuch
Weihnachtstischbäumchen mit USB-Anschluss
Schröderkochbuch


entwenden kann, weil ich ja seit über zwanzig Jahren gar nicht mehr weiß, was ein Weihnachtsgeschenk ist, geschweige denn wie schwierig das früher war, eins zu kaufen. Umso vehementer gilt es heute noch dem zweiten Geburtstagskind zu gedenken von dem der bereits oben erwähnte Jean Cocteau in sein ebenfalls oben erwähntes Tagebuch schrieb:

„Jedesmal, wenn sie singt, meint man, sie risse sich endgültig die Seele aus dem Leib.“

Non, rien de rien Non, rien de rien
Non, je ne regrette rien
Ni le bien qu'on m'a fait, ni le mal
Tout ça m'est bien égal

[M. Vaucaire: Je ne regrette rien, 1960]

Montag, 11. Dezember 2006

Blauer Montag



[Buster: Rheinhafen, 2006]


Le Rhin

Ô Rhin, sais-tu pourquoi les amants insensés,
Abandonnant leur âme aux tendres rêveries,
Par tes bois verdoyants, par tes larges prairies
S'en vont par leur folie incessamment poussés ?

Sais-tu pourquoi jamais les tristes railleries,
Les exemples d'hier, ni ceux des temps passés,
De tes monts adorés, de tes rives chéries,
Ne les ont fait descendre et ne les ont chassés ?

C'est que, dans tous les temps, ceux que l'homme sépare
Et que Dieu réunit iront chercher les bois,
Et des vastes torrents écouteront les voix.

L'homme libre viendra, loin d'un monde barbare,
Sur les rocs et les monts, comme au pied d'un autel,
Protester contre l'homme en regardant le ciel.

[Alfred de Musset: Poésies posthumes]

Alle Gedichte

Sonntag, 10. Dezember 2006

Einmal als Abend im Rot den Tag vergaß



[E. Bosslet: Regenfänger. Skulpturenufer Remagen]

Einmal
als Abend im Rot den Tag vergaß
gründete ich auf dem Stein der Schwermut
die Zukunft
Vorgeburtliches Wiedersehen -
eine Melodie aus Meer gemacht
lief ihre Bahn -
Vielleicht ein Fisch am Äquator
an der Angel eine Menschenschuld bezahlte
und dann mein Du
das man gefangen hielt
und das zu retten ich erkoren war
und das in Rätseln weiter ich verlor
bis hartes Schweigen sich auf Schweigen senkte
und eine Liebe ihren Sarg bekam -

[Nelly Sachs: Einmal
als Abend im Rot den Tag vergaß]

Samstag, 9. Dezember 2006

Of heart or hope



Cyriack, this three years day these eys, though clear
To outward view, of blemish or of spot;
Bereft of light, thir seeing have forgot,
Nor to thir idle orbs doth sight appear
Of Sun or Moon or Starre throughout the year,
Or man or woman. Yet I argue not
Against heavns hand or will, nor bate a jot
Of heart or hope; but still bear up and steer
Right onward. What supports me, dost thou ask?
The conscience, Friend, to have lost them overply'd
In libertyes defence, my noble task,
Of which all Europe talks from side to side.
This thought might lead me through the worlds vain mask
Content though blind, had I no better guide

[John Milton: Sonnet 22]

Alle englischsprachigen Werke: „The Milton Reading Room“.

Mittwoch, 6. Dezember 2006

Von einem sturen Unglauben

„Wir niederrheinische Menschen sind ja oft von einem ... wie soll ich sagen ...
Von einem sturen Unglauben
Bis wir mal wat glauben dat dauert furchtbar lang
Aber et kann natürlich auch sein
Daß wir alles schon ahnen
Und et dann aber nich glauben wollen
Weil et so schlimm is im LebenMeistens.
Wommasosagen: Wenn uns wat nich in de Kram paßt
Glauben wir et einfach nich
Dat nennen die Psychologen ja verdrängen.
Un wir Niederrheiner sind ja Chefverdränger.
Ich sage Ihnen: Wat am Niederrhein nich alles jeden Tag verdrängt wird
Dat paßt in keine Talsperre
Weil et is manchmal zuviel für unsereinen im Leben
Wie gesagt.
Un dann is ma ja auch de Tragödienkram langsam leid
Und dann will man nix mehr hören un nix mehr sehen
lso ein Ohr rein ander Ohr raus.
Un damit man dann aber nich ganz unhöflich is
Also sagen wer mal doch Anteil nimmt am Geschehen
Benutzt der Niederrheiner oft mit gespieltem Interesse
Das kleine Wörtchen: WIE
Wie zum Beispiel: Dat Fahrrad is kaputt
Wie kaputt
Ja Kette gerissen
Wie Kette gerissen
Weiß ich auch nich
Wie weiß ich auch nich
Dann sieh ma zu wie de dat Ding wieder in Ordnung kriss
Das war jetzt nur mal son Beispiel.“
[Hanns-Dieter Hüsch: Tach zusammen, Geschichten und Bilder vom Niederrhein]

Montag, 4. Dezember 2006

Motto


[Kühn, Malvezzi: Buchstabenfeld, 2003. Berlinische Galerie]

Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge
und keine Heimat haben in der Zeit.
Und das sind Wünsche: leise Dialoge
täglicher Stunden mit der Ewigkeit.

Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern
die einsamste von allen Stunden steigt,
die, anders lächelnd als die andern Schwestern,
dem Ewigen entgegenschweigt.

[R. M. Rilke: Motto, Frühe Gedichte]

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Laura Kinderspiel - 12. Nov, 11:30
wow..
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BusterG - 17. Dez, 00:26
Das ist in der Nordeifel:...
Das ist in der Nordeifel: Heimbach in Nebel und Sonnenschein.
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Geschätzte Wassertemperatur: ca zwei Grad, also vielleicht...
BusterG - 17. Dez, 00:23
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Natürlich ist das ...
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BusterG - 17. Dez, 00:21

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