Donnerstag, 4. Januar 2007

eine Frage

„Der Philosoph behandelt eine Frage; wie eine Krankheit.“
[Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, 255]

Mittwoch, 3. Januar 2007

Die Zukunft war früher auch besser

Germanische Priesterinnen schnitten vor einer Schlacht Gefangenen die Kehle durch und sagten aus dem Blut, das in den Opferkessel rann, die Siegeschancen voraus. Der alte Wortzerklauberer Valentin monierte es bereist anfangs des letzten Jahrhunderts: „Die Zukunft war früher auch besser.“ [Karl Valentin: Kurzer Rede langer Sinn]. Und mit ihr offensichtlich auch die der Vorhersagen. „We are ready for any unforeseen event that may or may not occur” sagte George W. Bush in seiner Neujahrsansprache und das ist mehr als nur geringfügig weniger gewiss als die Aussage „In the long run, we are all dead“, die John Maynard Keynes zugeschrieben wird.

Hat nicht schon der junge Immanuel gewarnt „Wer im Wahrsagen pfuschert, von dem sagt man: Er wahrsagert, von der Pythia bis zur Zigeunerin.“ [Kant, Allgemeine Naturgeschichte, 1755]? Mein Horoskop jedenfalls orakelt „Im Januar ist der Weg das Ziel“ [TV14 2006, 26] und rät zu maßvollem Joggen. Auch der Spiegel glaubt derzeit nichts Besseres zum Titeln zu haben als „Die Macht des Schicksals“. Früher wären die Wahrsagenden aus der Mitte der Intelligenz gekommen versucht der Spiegel sein Tun zu rechtfertigen. Allen eher devoten Naturen rate ich dagegen zum Horoskop des Nostradamus 2007, derzeit überall erhältlich im Zeitschriftenhandel. Dort werden die Vorhersagen kurz und knapp gehalten: „23. September: Guter Tag zum Bügeln und für Wäsche“. Interessant höchsten die Reihenfolge aber na also, aber na bitte so ist das halt mit der Bestimmung und dem Schicksaal.

Dabei ist Wahrsagen ein echter Beruf mit Zukunft: Rund 50.000 Menschen leben in Deutschland davon oder ums mit Lichtenberg zusagen: „Vom Wahrsagen lässt sich's wohl leben in der Welt, aber nicht vom Wahrheit sagen.“ [Georg C. Lichtenberg: Sudelbücher, 1825]. Na dann ist das mit dem Spiegel und dem Bush ja auch geklärt.

Dienstag, 2. Januar 2007

Im Jahr der Ritterwanze …

2006 ist endgültig hin vorüber und das Mozart-Jahr Geschichte. Das kann ja schnell mal zu Anfällen von Schwermut und prä-annualen Depressionen führen … Als Gegenmittel memorieren wir deshalb bitteschön unbedingt dreimal täglich, dass 2007 das Astrid-Lindgren-, Sebastian Haffner-, Dietrich Buxtehude-, Paul Gerhardt-, heilige Elisabeth-, Johannes Chrysostomos-, Ignatius von Antiochien- und Marcus Tullius Cicero-Jahr ist!

Selbstredend denken wir auch fortwährend an die Waldkiefer (Pinus sylvestris), die Bach-Nelkenwurz (Geum rivale), die Schleie (Tinca tinca), die Ritterwanze (Lygaeus equestris), den Turmfalke (Falco tinnunculus), den Elch (Alces alces) und last but not least an das Murnau-Werdenfelser-Rind (das schon so oberbayerisch und gefährdet ist, dass es gar keinen lateinischen Namen hat).

Darüber hinaus ist 2007 auch irgendwie das Deutschland-Jahr, weil Deutschland für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft und den G8-Vorsitz übernimmt. Nicht vergessen wollen wir auch das Bulgarien- und Rumänien-Jahr die wir furchtbar gerne mehr als hellaufbegeistert als 25. und 26. Mitglieder der Europäischen Union abgrundtief herzlich begrüßen. Schließlich begehen wir mit stiller Demut 2007 auch das Slowenienjahr das als dreizehntes Land den Euro übernimmt, sie wissen schon, die Währung mit der „gefühlten Inflation“ und so.

Und es wird Sie ganz gewiss mehr als erheblich begeistern zu hören, dass sich an dem Internationalen Heliophysikalischen Jahr 2007 anlässlich des 50. Jahrestages des Internationalen Geophysikalischen Jahres alle UN-Staaten beteiligen! Nu tapfer raus aus der Mozart-Krise aber überstürzen Sie nichts: Übermorgen ist auch noch ein Jahr!

"Man muß etwas Neues machen, um etwas Neues zu sehen."
[Georg Christoph Lichtenberg, Aphorismen]

Montag, 1. Januar 2007

Zwölf große Bier fürs fette Glück

[Buster: Oxalis deppei, ganz sicher, 2007]

„Wer in der Silvesternacht, während es zwölf Uhr schlägt, zwölf große Bier trinkt, ist das ganze Jahr glücklich“
[Schweizer Volkskunde, Basel 1911]

Die so genannten Rauh-, Rauch- oder Zwölfnächte mit Silvester und Neujahr im Mittelpunkt, waren traditionell die Hauptzeit für Geister und allerlei böse Gnome, insofern schreckt mich keine Neujahrsansprache mehr: Traditionell gingen zu dieser Zeit die Werwölfe um und jedwede Hauskobolde lärmten ordentlich. Um dem drohenden Unglück entgegenzutreten, hielten sich Abergläubische vor der Erfindung des Fernsehens strikt an die Verhaltensregeln der Vorfahren und führten beispielsweise an jedem der Abende Stubendurchgänge mit einem Priester durch, der Weihrauch verteilte und Weihwasser sprengte, begleitet von Gebeten zur Abwehr böser Geister. Auf keinen Fall durfte etwa die große Wäsche erledigt und zum Trocknen ins Freie gehängt werden, schließlich konnte alles, was nach draußen gebracht wurde, unheimlichen Kräften Macht über einen selbst verschaffen.

In Schleswig-Holstein fegte man zum Ende des Jahres genau um Mitternacht die Stube aus, um das Unglück hinauszukehren. Kinder, die in der Nacht zum neuen Jahr zwischen zwölf und ein Uhr geboren werden, können, da entsprechend begabt, später als Hellseher und Magier ihr Glück machen.

Das Vieh kann in der Neujahrsnacht reden, versichert Kurt Heckscher in der „Volkskunde des germanischen Kulturkreises“ [Hamburg, 1925]. Wer dies freilich hört, muss, so Josef Haltrich in der „Volkskunde der Siebenbürger Sachsen“ [Wien, 1885], ganz gewiss im Jahr sterben. Was man in der Neujahrsnacht träumt, soll zuverlässig in Erfüllung gehen, und Vorbedeutung für das kommende Jahr hat, wem oder was man am 1. Januar vor der Haustür zuerst begegnet. Daran immerhin glaube ich ganz sicher, denn mir begegneten heute zuerst zwei von den Nachbarinnen hastig hingestellte Flaschen guten Weins nebst einer zweideutigen Karte, die mir allerlei Glück wünscht.

Viele sagen, heute sei ein Neues Jahr.
Genau um 0 Uhr sei die Grenze zwischen
Dem alten und neuen Jahr.
Als ob es so einfach wäre.
Ob ein Jahr neu wird,
Liegt nicht in der Hand eines Kalenders, einer Uhr.
Dass es ein Neues Jahr wird, liegt an uns.
Ob wir es neu machen wollen:
Neu anfangen wollen zu denken, zu sprechen, zu leben.
Damit es ein Neues Jahr wird.

Sonntag, 31. Dezember 2006

Ihr versinkt im alten Schlunde

Vor 534 Jahren wurde in Amsterdam unter Androhung von Strafe verboten, Schneebälle zu werfen. Gut dass die globale Erwärmung heute für immerhin 14,3 Grad sorgt und wir nicht mehr in der Gutenberg-Galaxis umherwohnen, deren Erfinder vor 26 Jahren verstorben ist. Marshall McLuhan, einer der bekannteren Theoretiker der Medien wird ja noch heute gerne zitiert mit seiner Aussage über die Wahrnehmung und Wirkungsweisen von Medien: „The Medium is the message“. Das ist schon allein deshalb interessant, weil er lediglich die Anfänge des kommerziellen Fernsehens erlebt hatte und gar kein Internet kannte. Das Anliegen Marshall McLuhans, den Menschen durch Aufklärung ein richtiges Bewusstsein für die Medien und die damit seiner Meinung nach verbundene Freiheit zu geben, ist zumindest beim globalen Fernsehdorf gründlich daneben gegangen.

Andererseits haben so ne Jahre sich in der Tat schon würdiger verabschiedet. Kaiser wurden erdrosselt, die römische Rheingrenze von einfallenden Barbaren atomisiert, die Stadt Medina Mayurqa wurde von den Muselmanen befreit und in Palma de Mallorca umbenannt, der Friede von Brest geschlossen, die Franzosen drangen in Rom ein, die Ostindien-Kompanie wurde gegründet, der Friede von Nikolsberg geschlossen, in der Schlacht bei Québec wurden die amerikanischen Truppen vernichtend geschlagen und das „fringsen“ vor sechzig Jahren erfunden:

„Wir leben in Zeiten, da in der Not auch der Einzelne wird nehmen dürfen, was er zur Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit notwendig hat.“ [Josef Kardinal Frings]

Und während ich noch dekliniere „Ich bustere, du bustert, er sie es bustern …“ schließe ich für dieses Jahr besser mit dem Miesnick Gottfried Keller:

Habt ihr euch auf ein neues Jahr gefreut,
die Zukunft preisend mit beredtem Munde?
Es rollt heran und schleudert, o wie weit!
Euch rückwärts. - Ihr versinkt im alten Schlunde.

Samstag, 30. Dezember 2006

Für dieses Jahr geschlossen



[Buster: Für dieses Jahr geschlossen, 2006]

Unter den Galgenästen

„Ich glaube,“ sagte Christoph Meckel über ihn, „kein anderer seiner Generation hat den Nachlaß des Faschismus so folgerichtig beendet und so aufrichtig in die Zukunft geschrieben wie Volker von Törne.“

Gedanken im Mai

Ich rede von mir: Volker von Törne, geboren
Im vierunddreißigsten Jahr des zwanzigsten Jahrhunderts
Als meine Genossen schon kämpften gegen die Mörder
Die mich aufzogen als ihresgleichen
Nach ihrem Bilde:

Und ich trank die Milch
Die dem Hungernden fehlte. Und ich trug das Kleid
Meinem Bruder geraubt. Und ich las die Bücher
Die den Raub billigten. Und ich hörte die Reden
Die aufriefen zum Mord:

Und ich nannte den Schlachthof
Mein Vaterland, als schon die Völker aufstanden
Gegen mein Volk. Und ich betete für den Endsieg
Der Mörder, als schon die Städte
Aufgingen in Rauch:

Und schuldig war ich
Am Tod jedes Menschen, ahnungslos atmend
Unter den Galgenästen
Süßduftender Linden

[Volker von Törne: Im Lande Vogelfrei. Gesammelte Gedichte 1981]

Arkadische Tage

Freitag, 29. Dezember 2006

alle Gewichte des Gleichmuts




[Buster: Möwenkacke auf der MS Deutschland SS 372]




Unstete Waage des Lebens

Unstete Waage des Lebens
immer schwankend, wie selten
wagt ein geschicktes Gewicht
anzusagen die immerfort andre
Last gegenüber.

Drüben, die ruhige
Waage des Todes.
Raum auf den beiden
verschwisterten Schalen.
Gleichviel Raum. Und daneben,
ungebraucht,
alle Gewichte des Gleichmuts,
glänzen, geordnet.

[R. M. Rilke: Toten-Mahl, Nachlaß]

„Ein Kunstwerk ist gut, wenn es aus Notwendigkeit entstand. In dieser Art seines Ursprungs liegt sein Urteil: es gibt kein anderes.“ Brief Rilkes an Franz Xaver Kappus, Paris am 17. Februar 1903

Donnerstag, 28. Dezember 2006

Simplify your brain

“If people do not believe that mathematics is simple,
it is only because they do not realize how complicated life is.”

[John von Neumann]

Wo doch heutzutage alles simplifiziert werden muss, damit überhaupt noch jemand zuschaut, teilnimmt oder wenigstens nicht auswandert. Anschaulich demonstriert derzeit an den zahllosen Jahresrückblicken, die sich allesamt dadurch auszeichnen, dass sich ein Jahr in sechzig bis neunzig Minuten inklusive Show-Acts darstellen lassen muss. Alle fünf Minuten muss ein Lacher eingebaut sein, sonst drohen massive Zuschauerabwanderungen zu Popp die Super-Stars und Such den Super-Hund. Nur den historisch Interessierten daher nachfolgend einen Text als Anschauungsbeispiel, wie vor 101 Jahren leichte Unterhaltung gepflegt wurde, nahegelegt - „Wie die Weiber man behandelt“:

„Der einen macht man Komplimente. So und so und so und so und schmeichelt, schmeichelt ohne Ende. So und so und so und so; der andren muss man imponieren. So und so und so und so und darf sie auch sogar sekkieren. So und so und so und so. Die dritte, die will Zärtlichkeiten. So und so und so und so, die vierte, die will zanken, streiten. So und so und so und so; die fünfte will nur tanzen, lachen. So und so und so und so. Dann wollen sie noch andre Sachen so und so und so -- und so.“ [Franz Lehár: Lustige Witwe, 2. Akt].

Ich habe ein durchaus gebrochenes Verhältnis zur Operette und zum gar nicht so ganz unkomplexen Lieblingskomponist von Hitler - die Lustige Witwe war für den das Größte. Der verehrte T. W. Adorno sagte über die Wirkung des Schlagers und seine gesellschaftliche Funktion:

„Schlager beliefern die zwischen Betrieb und Reproduktion der Arbeitskraft Eingespannten mit Ersatz für Gefühle überhaupt, von denen ihr zeitgemäß revidiertes Ich-Ideal sagt, sie müssten sie haben.“

Und auch in der Schlange bei meiner Post kann Mensch nun endlich Fernsehen und muss nicht mehr nachdenken ob ihm noch eine Briefmarke fehlt oder er zufrieden ist mit der Gesundheitsreform. Aber auch im Kaffee nebenan prangt ein nagelneuer überdimensionaler LSD LCD-Bildschirm. Alles wird einfacher, alles erklärbarer. Nachdenken wird delegiert und alle vier Jahre denken wir darüber nach, das Fernsehprogramm zu wechseln. War da noch was? Aber ja, vor grade mal 109 Jahren:

„CYRANO, rouvre les yeux, la reconnaît et dit en souriant
Mon panache.“
[Edmond Rostand: Cyrano de Bergerac]

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