Donnerstag, 6. November 2008

In der besten aller Welten

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[Sergio Vega: Paradise in the New World, 2008, Ausschnitt: Sergio Vegas gebrochene Sicht auf das Paradies, ein wie er es selbst nennt "dreidimensional-multimediales Reisetagebuch"]

„Strapaziös aber schön“ titelte die FR (am 01.11.) und die Zeit fragte tumbe „Ist das nicht malerisch“ (am 01.10), mein Spitzereiter ist aber das Flagschiff des Hoch-Feuilletons, die Kölnische Rundschau die am 02.10. titelte „Als Goethe am Vesus posierte“ und kleckst darunter – Hauptsache Berg – einen Ölschinken von Eckenbrechers mit einem eisigen Norwegenfjord.

“Orte der Sehnsucht. Mit Künstlern auf Reisen” heißt die Ausstellung des LWL-Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte in Münster und vereinigt von Dürer bis zu Vega eine respektablen Bogen der Kunstgeschichte. Matisse kommt da neben Ansel Adams zu hängen, Zeichnungen von Humboldt neben eine Beuys-Videoperformance in New York, Gaugin neben von Christo Verhülltem. Wenn ein Museum solch einen kühnen Versuch unternimmt, dann finde ich das schon per se klasse und sehe gerne über konzeptionelle Mängel hinweg (etwa dass in einzelnen Abteilungen dann doch wieder versucht wird, stimmige Gruppen aus Klee und Macke zu bilden, gleichsam als Versöhnungsangebot für gar zu sehr Aufgescheuchte).

Andererseits muss, wer sich in solche Ausstellungen begibt auch aushalten, dass eine zweidutzendstarke Seniorengruppe sich trotzig in die Installation von Vega stellt, die eine Kritik des Paradiesbegriffes vor dem Hintergrund der Globalisierung leisten will, und die Wortführerin in erheblicher Lautstärke (wohl um die knarrenden Hörgeräte der Best Agers zu übertönen) und mit bebender Stimme von ihrem Erlebnis in der Dschungellodge berichtet. Ein älterer Herr interpretiert dazu falsch aus Voltaires Leibniz-Kritik ein krudes Canide-Paradiesverstännis. Ja, solches muss man dann halt auch irgendwie aushalten können.

Samstag, 1. November 2008

Geld macht nicht glücklich, es ...

„Mit Geld kannst du die Götter bewegen, ohne Geld nicht einen Mann.“ weiß ein - arg materialistisches - chinesisches Sprichwort und natürlich wissen alle, die in den Film gehen, dass nicht das Geld arbeitet, sondern die Menschen.

Der österreichische Dokumentarfilmer Erwin Wagenhöfer überzeugt nach seiner Lebensmittel-Doku „We feed the world“ diesmal mit einem Film, der die Mechanismen des Finanzmarkts aufdeckt. Anders als etwa Michael Moore hält sich Wagenhofer angenehm im Hintergrund und lässt Neoliberale wie Globalisierungskritiker zu Wort kommen. Die Arbeit des Regisseurs besteht für Wagenhöfer darin, "die Mechanismen nachvollziehbar, spannend, aber unspektakulär zu erklären und dadurch seinem Publikum die Möglichkeit zu geben, eigene Rückschlüsse zu ziehen".

Freilich haben sicher die weitaus meisten Kinobesucher die manchmal etwas langatmig präsentierten Fakten schon gekannt und waren erneut etwas deprimiert, weil wieder nur die Probleme und nicht eine Möglichkeit gezeigt wurde, wie etwas zu ändern wäre.

Mittwoch, 29. Oktober 2008

Spontaneität, geplant

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[Gerhard Richter: Blau, 1988]

... noch bis Februar im Museum Ludwig

Freitag, 24. Oktober 2008

Der Tagessatz

"Das Ärgste weiß die Welt von mir, und ich kann sagen,
ich bin besser als mein Ruf."
[J. C. F. von Schiller, Maria Stuart]

Dreidimensionale Nacktaufnahmen verletzten das Persönlichkeitsrecht so lange sie nicht in der Qualität sind wie wir es seit zwanzig Jahren von den Illustriertentiteln gewohnt sind (tsts die tumbe FAZ heute nu wieder) und Gewinnstreben, wenn es nur kurzfristig genug ist, ist gradekurzmal verwerflich und während nun überall darüber gestritten wird, ob das öffentlich-rechtliche ein rechtschaffener Prekariatssender ist und wer sich wann schon mal unter Niveau amüsiert hat, bin ich ja wieder mal sowas von fein raus, wurde ich doch nie müde den ollen Schiller zu zitieren und habe auch noch den Brecht im Meter in Augenhöhe im Regal stehen und bin ja überhaupt von Amüsemang sowas von fern wie auch von allen Fernbedienungen.

Mittwoch, 22. Oktober 2008

Hände!

„Das Porträtieren“ so Matisse „verlangt nach einer Identifikation mit dem Gegenüber, alle vorgefassten Meinungen oder Ideen bleiben außen vor“ [H. Matisse: Zeugnis 1951]. Nun wissen wir ja dass es sich beim porträtieren um den mehr oder minder gelungenen Versuch handelt, die Ähnlichkeit zu treffen im besten Falle basierend auf Kenntnissen der Physiognomie. Was aber, wenn man einfach keine Hände zeichnen oder malen kann und zuweilen auch erhebliche Probleme mit den Nasen hat? Diese Frage beantwortet die Staatsgalerie Stuttgart mit über einhundert Portraits von Matisse erschöpfend.

IMG_7799n[La dame en vert, 1909]

Bei der Dame in Grün wird die ganze Anmut des Bildes durch einen wüsten Fleischklumpen zerstört, der die beiden gefalteten Hände darstellen soll. Eine vergebliche Flucht ins Halbabstrakte.

IMG_7801n[L'Espagnole au tambourin, 1909]

Die Hand der Spanierin scheint nur auf den ersten Blick gelungen, sie ist fast doppelt so groß wie der Kopf und eine solche Fingerhaltung widerspricht jeglicher Anatomie zumindest solange man nicht alle Finger der Hand gebrochen hat.

IMG_7802n[Tete d'une jeune fille, 1915]

Eine ausgemacht missratene Trinkernase schmückt den Kopf des jungen Mädchens und bei der Nase der Lydia einem seiner letzten Ölbilder rettet sich Matisse gerade noch in einen langen Strich:


IMG_7805n[Madame L.D. Portrait vert, bleu et jaune, 1947]

Manche Posen erinnern mehr an griechisches Ringen denn an ein Portrait, sind aber zwingend notwendig wenn man keine Hände kann: Eine Hand in den Nacken unter das Haar und die zweite Hand wird irgendwie unter den Ellbogen gequetscht.

IMG_7804n[Emma L., 1916]

„L’exactitude n’est pas la verité“ hat er gesagt, aber wenn man keine Hände kann und manchmal auch mit den Nasen Probleme hat, kann man dennoch ganz hervorragende Portraits erstellen wie bei meinem liebsten und auch dem wie ich finde eindrücklichsten Bild der Ausstellung: Die Hände werden einfach aus dem Bild gestreckt und die Nase gleich gar nicht gezeichnet.

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[Katja en robe jaune, 1951]

Sonntag, 19. Oktober 2008

unruhig wandern, wenn die Blätter treiben

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Freitag, 17. Oktober 2008

Lange her das

Der Kampfplatz
Ein Abseitsraum.
Zäh pulst das.
Im Vergröberungszimmer
Der dunklen Kammer.
Vor der Sonnen

Fratze geflohen
Quallt lichtscheue
Schaden Freude
Aus eigenem Anbau
Ins unvertraut
Erträumte

Das Fundbüro
Spröder Stille
In Verdunkelndes
Abziehbild hastig
Aufgeklebt im Vorüber
Gehen

Lange her das
Tütenbunt Buch
Staben auf die Stirn
Gebrannt waren
Lange her das
War
Gestern.

[B.C. Buster: Lange her das. Mehr vom Weniger, 2008]

Donnerstag, 16. Oktober 2008

Fiktion und F.cken - ein Diskurs zur Gegenwartspoetik

Im Herbst, wenn die Abende schon dunkel werden und es noch warm ist kommt meine Zeit herumzustreunen zwischen schwarzverhangenen, scheinbar längst verlassenen Häuserschluchten der Stadt. Die Uhrzeit ist weniger wichtig, nur dunkel und still muss es sein; das kreischende Treiben wie auch tosende Geschäftstüchtigkeit zwischen fallendem Laub ist mir höchst widerwärtig beim nächtlich-menschenscheuen Spazieren gehen. Als Kontrastprogramm und damit ich nicht zum weltmüden Eremit verkomme zwinge ich mich anschließend in die lärmende Altstudentenkneipe, trinke ein paar Gläser Merlot zur Nervenberuhigung und beobachte zunehmend gelassener was rings um mich geschieht.

Jonny M. ist ein unglaublich cooler Schriftsteller. Die schwarze, speckig glänzende weil in die Jahre gekommene Lederhose hängt dank einem handbreiten Gürtel mit Harley-Chromschnalle locker an seinen bulemisch hervorstehenden Hüftknochen, sein gebeugt-dürrer Oberkörper richtet sich auf wenn er glaubt beobachtet zu werden und sieht doch ganz verloren aus in dem verschwaschenen schwarzen Toten-Hosen T-Shirt Größe XL. Das Haar ungewaschen, beginnt grau zu werden und ist zu einem etwas lieblos geformten Pferdeschwanz gebunden. Wenn er nüchtern ist, was sehr selten der Fall ist, leuchten seine Augen in einem klaren Grün zwischen einer majestätisch hervorspringenden Hakennase. Das stark fliehende Kinn will freilich gar nicht zu seinem selbst gewählten Image passen und auch sein bürgerlicher Name 'Johann Berthold Mies' klingt nicht ganz so cool wie er's gerne hätte. Aber mit dem neuen Künstlername wird das schon klappen, alle und insbesondere natürlich er sind da ganz zuversichtlich. Veröffentlicht hat er zwar noch nichts, aber die Zeit und die Frankfurter hätten schon die Veröffentlichung einer Kurzgeschichte zugesagt, betont er ausgesprochen häufig und seit Wochen. Alles nur noch eine Frage der Zeit also bis Jonny M. zum Bestsellerautor wird.

Wenn er halbwegs nüchtern ist fährt er Taxi. Seine unveröffentlichte, aber vielfach erzählte, Kurzgeschichte handelt von Joschka Fischer. Der sei, so berichtet er allabendlich und auch gerne mal mehrfach, zu ihm ins Taxi gestiegen und er soll zu dem dicken Fischer gesagt haben: „Für so ein Bastard von Kriegstreiber wie dich fährst dieses Taxi nicht“. Cool, ganz cool hat der Jonny M. das gesagt, wird er nicht müde uns immer wieder zu versichern und dann: „Ihr könnt ja die Geschichte demnächst in der Zeit lesen“. Ganz und gar cool der Jonny M. Anderntags wird es wieder die FAZ sein, aber dies sind nur winzige Irrlichter auf dem Weg zum Erfolg und in die Spiegelbestsellerliste. Und die allabendlich ergebenen Zuhörer nicken im neidischen Takt gegen ein Gitarrenriff, das betäubend aus den Boxen zu wummern anhebt. Gibt schon noch Männer, steht in unseren bewundernden Mienen geschrieben, ganz coole. Und er breitet leicht kopfschüttelnd die Hände aus und lässt sie mit theatralisch stockender Geste ganz langsam wieder auf die Tischplatte sinken und wir fühlen uns verpflichtet wiederum zu nicken, trotzig und anerkennend: Gibt schon noch Männer und wie auf ein Stichwort schiebt die Frau neben Jonny paarungsbereit ihre machtvollen Reize weiter an den großen Poeten heran. Die einstudierten Gebärden des Erzählers funkeln die andächtig Lauschenden an und mehrfach billigendes Nicken setzt erneut seine Hände in Bewegung - Er reibt sie sich grade so als ob er damit die Geschichte zu Ende erzählen müsste, aber sie war ja schon beendet. Sie ist ja doch eine eher kurze Kurzgeschichte, die ja demnächst veröffentlicht werden wird.

Zwischen den Vorträgen seiner Kurzgeschichte übt es sich schon mal darin sich bewundern zu lassen und vor Publikum zu dozieren. Heute scheint er groß in Form und die Frau neben mir raunt mir genervt ins Ohr, dass er seine Geschichte in den letzten zwei Stunden bereits dreimal vorgetragen habe, zuletzt sei gar keiner mehr zum Zuhören bereit gewesen was er zornig mit der Bestellung von mehreren doppelten Tequila quittierte und dabei „Schwachköpfe, Ignoranten“ gezischt haben soll. Jedenfalls scheint er nun wieder hinreichend inspiriert zu sein denn kaum nicke ich ihm bei meinem zweiten Glas zu, brüllt er „die Fiktion entlarvt unsere Erfahrung der Realität!“ in meine Richtung. Speichel sprüht über mehrere Trinker vor ihm und er muss sich mit seiner linken Hand am Stehtisch abstützen, ganz benommen von Bier, Schnaps und der drückenden Last der tiefgründigen Worte. Kurz hört er den Worten nach und schaut mit irrem Raubtierblick in die kleine Runde, ganz so als zähle er die Zuhörer die ihm nun noch folgen können. „Wer sagt das?“ frage ich ihn bemüht lakonisch von der Theke her und muss wegen eines aufheulenden Gitarrensolos von Gallagher lauter werden als es der scheinbar gelassenen Stimmung gut tut. „Ich sag dir das du pseudointellektueller Kretin, klar? Fiktion, das entlarvt einfach“ und nach kurzer Pause hebt er zur gewagten Steigerung an „Fiktion und Ficken, das entlarvt sag ich dir.“. Er wackelt mit dem Kopf als gelte es die dröge Realität abzuschütteln um zur Fiktion oder wenigsten zum Ficken emporzusteigen und sein grauer Pferdeschwanz vollzieht die Bewegung mit, er hat sich etwas aufgerichtet, um eine drohende Haltung anzunehmen, besinnt sich aber noch nüchtern genug eines besseren da ich ihn um zwei Köpfe überrage.

Und während ich noch grüble wie er zu diesem Ziatat kommt bemerke ich übertrieben lässig „das Zitat ist wirklich gut und von Max Frisch. Aber schön, dass Du dir so was merken konntest“ dabei das ‚Du’ provokativ zu lang betonend. Er scheint noch nüchtern genug um dies zu merken, amtet schwer, hässlich und stoßweise wie ein wundes Tier, seine Stimme überschlägt sich im Falsett, er geifert zurück, „Pisser, was redst Du fürn Scheiß!“. Erneut scheint er zu überlegen, ob er aufbrausend werden soll, entscheidet sich aber dann scheinbar einer Eingebung folgend für eine freilich arg wackelige Variation der rhodinschen Position „Der Denker“, dabei ist er sichtlich bemüht nicht vom Barhocker zu fallen und scheint gerade einzunicken, als er noch einmal aufschreckt und zu mir gewandt im überraschend dozierend-pomadigen Ton anhebt: „Ich bin Schriftsteller, du Arsch, ich kenn mich aus. Und der Frisch ist auch ein Schriftsteller.“ „Alles klar, Jonny“, versuche ich ihn zu beruhigen, „ihr seid doch beide Schriftsteller, alles klar doch“. Und dann legte er sich auf die Bank im hinteren Teil der Kneipe und war auch gleich eingeschlafen und die wenigen, die er bislang noch nicht vertrieben hatte, wollten mir dringend einen ausgeben dafür, dass nun endlich Ruhe ist mit dem großen Poeten Johann Berthold Mies – zumindest für diesen Abend und morgen käme dann ja eh seine Veröffentlichung.

„Die Wahrheit kann man nicht beschreiben, nur erfinden.“
[Max Frisch: Schwarzes Quadrat: Zwei Poetikvorlesungen, 2008]

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Seit langen das beste...
Seit langen das beste Gedicht was ich gelesen habe....
Laura Kinderspiel - 12. Nov, 11:30
wow..
..echt "hot" diese Sonnenblumen.. seit langem die beste...
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jump - 17. Dez, 19:18
So weit!
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Das ist in der Nordeifel: Heimbach in Nebel und Sonnenschein.
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BusterG - 17. Dez, 00:21
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BusterG - 17. Dez, 00:21

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