Freitag, 7. Juli 2006

Gottfried Benn

Staatsbibliothek

Staatsbibliothek, Kaschemme,
Resultatverlies,
Satzbordell, Maremme,
Fieberparadies:
Wenn die Katakomben
Glühn im Wortvibrier,
und die Hekatomben
sind ein weißer Stier –

wenn Vergang der Zeiten,
wenn die Stunde stockt,
weil im Satz der Seiten
eine Silbe lockt,
die den Zweckgewalten,
reinen Lustgewinn
rauscht in Sturzgewalten
löwenhaft den Sinn -:

wenn das Säkulare,
tausendstimmig Blut
auferlebt im Aare
neuer Himmel ruht:
Opfer, Beil und Wunde,
Hades, Mutterhort
für der Schöpfungsstunde
traumbeladenes Wort.

[Gottfried Benn, vor 50 Jahren in Berlin gestorben:
Sämtliche Werke. Bd. 1: Gedichte]

eMail von André Lamberti

Sehr geehrter Herr XXXX,

vielen Dank für Ihre offenen Worte bezüglich des Kommentars von Herrn Beckmann. In der Regel werden die Kommentatoren von einigen Zuschauern heftig kritisiert und von anderen ausdrücklich gelobt. Das ist auch bei Reinhold Beckmann der Fall, zu dem sich der größte Teil unserer Zuschauer positiv äußert. Wir werden Ihre Kritik an die zuständige Redaktion weiterleiten.

Mit freundlichen Grüßen
André Lamberti

für das ARD-Team zur FIFA WM 2006
http://sport.ard.de/wm2006/wm
www.sport.ard.de

+++
Stoppt Beckmann

Donnerstag, 6. Juli 2006

Vernünftige Bären

„Es gibt den unauffälligen Bären, das ist der Bär, den wir wollen“ forderte Bayerns Bärenbeauftragter Manfred Wölfl und auch Franz Emde, Sprecher des Bundesamtes für Naturschutz, hat nichts grundsätzlich gegen Bären, sondern nur gegen solche, die in den Wald scheissen, Kopftücher tragen und die Hymne auf türkisch singen wollen: „Es wäre besser gewesen, der Bär hätte sich vernünftig verhalten und eingegliedert.“

Dass unsere Industrie nun schnell gehandelt hat, ist überzeugender Indikator für ein funktionierendes Gemeinwesen: Ab Ende Juli 2006 wird überall im Handel „BRUNO-BRAUNBÄR“ erhältlich sein, ein Schaumzuckerprodukt in den Geschmacksrichtungen Schoko und Karamell als 5 Cent Stückartikel in einer Runddose à 150 Stück. Ein „Andenken“ für die „emotional geführten Debatte“ um den erlegten Bruno.

Auch das „Denkmal in Plüsch“ ist kompatibel mit der modernen bayrischen Gesellschaft. Und „Problembären“ werden ja bekanntlich dann ganz und gar unproblematisch, wenn sie bei 40 Grad waschmaschinenfest sind, wahlweise 30 oder 60 Zentimeter groß und mit einem kitschigen schwarzen Trauerflor versehen sind.

Nur eine Firma verweigert immer noch die Sondergedenkedition einer Kondensmilch und kondoliert virtuell mit dem „Bärenmobil“. Das soll künftig alpenweit die Integrationsfähigkeit der Schwestern und Brüder von Bruno überwachen. Bei Abweichungen von der Norm werden die unvernünftigen Viecher wahlweise sofort durch Schaumzuckerprodukte oder pflegeleichte Steiff-Bären ersetzt. Dass das die vernünftigste Vorgehensweise ist, werden über kurz oder lang auch „Die rächenden Brunos“ einsehen müssen.

Bittere Erkenntnis

"Als Purzel gewahr wurde, wie wenig er im Leben bislang gemäß Kants kategorischem Imperativ gehandelt hatte, überkam ihn großes Wehklagen."
[Bernd Pfarr, vor zwei Jahren in Köln gestorben]

Mittwoch, 5. Juli 2006

Angst vor Deutschland

„«Die Welt hat wieder Angst vor uns.» Das sagte Oliver Bierhoff, der Manager der deutschen Nationalmannschaft. Bierhoff meinte vielleicht nur die deutsche Mannschaft. Doch so ein Satz kann irritieren. Er kann aber auch verängstigen, vor allem, wenn er von einem Deutschen kommt.“ [NZZ online]
Gut, dass jetzt ausgespukt ist ...

Schon wieder Italien

Von wegen 60. Geburtstag heute …
Die „Bikini Girls“ in der Villa Romana in Casale, Sizilien sind so um die 1700 Jahre alt.

„Es war ihr Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu-Strand-Bikini,
der war schick und der war so modern, ihr Itsy Bitsy Teenie Weenie
Honolulu-Strand-Bikini, ja, der gefiel ganz besonders den Herrn.“

Zur Warnung

„Jäger sind widerliche Lustmörder“ stand auf der schattigen Bank im Wald mit kindlicher Schrift - das „widerlich“ trotzig unterstrichen um das Verabscheuungswürdige des Gewerks hervorzuheben. Keine zweihundert Meter weiter lag der Jägermeister regungslos bäuchlings im Tümpel, Pferdefliegen geben sein letztes Geleit, die Verschlusskappe achtlos am Wegesrand zertreten.

La Fee verte

Es ist ein Brauch von Alters her:
Wer Sorgen hat, hat auch Likör.
Doch wer zufrieden und vergnügt,
sieht zu, dass er auch welchen kriegt.
[Wilhelm Busch]

Toulouse-Lautrec hat sich daran totgesoffen, Vincent van Gogh soll sich im Suff ein Ohr abgeschnitten haben. Aber auch Picasso, Degas, Monet, Manet, Gauguin, Sisley, Pissarro, Rimbaud und Baudelaire war der Geschmack von „La Fee verte“ bestens bekannt. Vor 98 Jahren wurde in der Schweiz - dem Ursprungsland des Absinth - eine Volksinitiative für ein Verbot des Absinths angenommen. Erst 97 Jahre später - seit 2005 - darf Absinth wieder legal hergestellt und konsumiert werden.

4-6cl Absinth in ein Glas geben, langsam eiskaltes Wasser in das Glas geben. Und das entstandene Gemisch mit dem Absinth-Löffel verrühren - nennt sich „auf Schweizer Art“ trinken, da kein Zucker und keine Flamme im Spiel.

Trostlikör heute der französische „Jade Edouard 72%“ von Jade Liqueurs, 0,75 Liter bei Absinthvertrieb Lion für 79,00 €. Auch gut und um einiges günstiger ist der eidgenössische „Duplais 72%“ von Matter-Luginbühl AG, 0,5 Liter für 29,00 € beim internetz dealer.

Dienstag, 4. Juli 2006

vendetta per l'orso

Vor der „vendetta per l'orso“, Rache für den Bären Bruno, hatte Peter Michalzik heute in der FR noch gewarnt …

Blatterrepublik Deutschland

„Damit ein Ereignis Grösse habe, muss zweierlei zusammenkommen: der grosse Sinn Derer, die es vollbringen und der grosse Sinn Derer, die es erleben. An sich hat kein Ereigniss Grösse, und wenn schon ganze Sternbilder verschwinden, Völker zu Grunde gehen, ausgedehnte Staaten gegründet und Kriege mit ungeheuren Kräften und Verlusten geführt werden: über Vieles der Art bläst der Hauch der Geschichte hinweg, als handele es sich um Flocken.“ [Friedrich W. Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen, 1873]
Unstrittig ist, dass Wähler nunmehr ganz zum „Publikum“ mutiert sind, die aktiveren darunter führen ein Public-Viewing-Leben zwischen bunten Wimpeln, Pappbesteck und warmem Bier. Während der WM rechnen Parlamentarier bestenfalls zu einer Parallelgesellschaft jenseits der Matrix, die sich nicht hinlänglich integrieren wollen. Sie winken den Haushalt für das laufende Jahr, die Steuergesetzte und erhöhte Krankenkassenbeiträge durch als wären es englische Fanartikel die vor dem Ablauf des Verfallsdatums noch schnell auf dem Wühltisch unters Volk gebracht werden müssen.

Apokalyptische Rhetorik - von der Union bereits im vergangenen Wahlkampf durchkonjugiert - ist wieder da in alter Frische: Der „Exportweltmeister“ ist ein Sanierungsfall und die Merkel steht faktisch einem Entwicklungsland vor, das auch im Beiprogramm der WM teilzeitregiert werden kann. Nur noch eine Frage der Zeit bis die Regierungsgeschäfte an eine Interessengemeinschaft von DFB und FIFA übergeben werden. Coca-Cola hat Interesse bekundet, große Teile der Republik aufzukaufen um dort Coca-Plantagen und Trinkbüdchen zu errichten.

Montag, 3. Juli 2006

Der Fahnenverkauf geht weiter ...

You’ve shown your pride now show your mourning.

Franz Kafka

„Ich glaube, man sollte überhaupt nur noch solche Bücher lesen, die einen beißen und stechen“ schrieb der am 3. Juli 1883 in Prag geborene Franz Kafka 1904 an Oskar Pollak

„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ – „Du musst nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie.
[Franz Kafka, Kleine Fabel]

Sonntag, 2. Juli 2006

Axel Brauns

„Als ich zwei Jahre alt war (...), verloren die Menschen um mich herum ihr Aussehen. Ihre Augen lösten sich in Luft auf. Nebel verschleierte ihre Gesichter. Die Stimmen verdunsteten.“
Schreibt Axel Brauns, vor 43 Jahren geboren, in seiner Autobiographie „Buntschatten und Fledermäuse – Leben in einer anderen Welt“. In seiner Welt fokussiert, reagiert der halbwüchsige Autist verständnislos auf seine Mitmenschen. Worte, die an ihn gerichtet werden, beschreibt er als „Geräusch“, Gespräche als „Lippenlärm“, Unverständliches als „Lärmchen“. Die Mitmenschen teilt er in gute und böse ein: „Buntschatten“ nennt er die Guten, „Fledermäuse“ die Bösen. Hörproben aus „Buntschatten und Fledermäuse“ gibt’s hier.

Wer wird nicht einen Klopstock loben?

Wer wird nicht einen Klopstock loben?
Doch wird ihn jeder lesen? Nein!
Wir wollen weniger erhoben
und fleißiger gelesen sein."

Lobhudelt G. E. Lessing (in seinen Sinngedichten) als Laudatio für das Geburtstagskind Friedrich Gottlieb Klopstock, vor 282 Jahren in Quedlinburg geboren.

Kränzet mein Haupt, Lorber des Siegs: Mit des Manns Kraft
Hab' ich gekämpft. Die Verkennung, die Entedlung
Dessen, was sie erhöht die Menschen,
Was sie zu Menschen macht!
Zeigten sich mir; ach und der Gram, und der Abscheu
Fielen mich an, mich mit Wuth an das Entsetzen!
Wonn'! ich habe gesiegt, geworden
Bin ich nicht Menschenfeind.
Heiß war der Kampf, daurend, es galt um des Lebens
Ruh! Denn erlag der bekämpfte; so verlosch mir
Jede Freude! die Welt war stumme
Öde mir! Tag war Nacht!

[Klopstock: Der Sieger, 1795]

Wir lassen foltern

Der Verfassungsschutz muss nach den Worten seines Präsidenten Heinz Fromm im Anti-Terror-Kampf auch Informationen nutzen, die durch Folter gewonnen wurde, so Fromm im Deutschlandfunk heute:

„Wenn sie [eine Information] von Relevanz ist, etwa im Zusammenhang mit der Verhinderung eines Ereignisses hier in Deutschland, dann müssen Sie diese Information auch nutzen.“
Dies gelte auch, wenn es Hinweise darauf gebe, dass sie erpresst worden sei. Der Nachsatz ist eigentlich insofern überflüssig, als dass BKA-Beamte bisher in keinem der berüchtigten Foltergefängnisse irgendwelche Anhaltspunkte für Folter gefunden haben wollen. Am Prinzip des Outsourcing von Folter scheint aber weiterhin festgehalten zu werden: Bereits im letzten Jahr hatte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble auf der Nutzung von durch Folter im Ausland gewonnenen Informationen bestanden.

Bleibt aus Sicht von Schäuble, VS und BKA also nur zu hoffen, dass Guantánamo und die CIA-Knäste in Osteuropa und Afghanistan nicht geschlossen werden Die UN-Anti-Folter-Konvention ist völkerrechtlich verbindlich und gilt für Deutschland seit dem 31. Oktober 1990. Wäre Schäuble konsequent, müsste er den Prozess der De-Ratifizierung der Konvention einleiten, oder er bemüht sich um die Einführung einer "Handhabungsklausel" nach der die Konventiuon tageweise ausser Kraft gesetzt werden kann wie ein unbrauchbares Schengen-Abkommen.

In den USA ist die Diskussion um „legale“ Folter zwischenzeitlich breit entbrannt. "Ein Recht auf Folter" forderte etwa US-Staranwalt Alan Dershowitz mit dem Hinweis auf die so oft bemühte tickende Bombe in Händen von Terroristen. Da weltweit gefoltert werde –auch in Demokratien, sollte man die Folter gesetzlich regeln, so Dershowitz.

Die Würde des Menschen ist antastbar, näheres regelt ein Bundesgesetz.

Die Folter ist der elementarste Angriff auf den Kern, die Integrität des Menschen und mittelbar des Gemeinwesens. Ein Rechtsstaat hört auf zu bestehen, wenn er foltert. Er ist verpflichtet, auch die Rechte derer zu achten, die ihn zerstören wollen und Folter ist kein Phänomen, das historisch einmal überwunden wurde, sondern sie ist ein Ungeheuer, das immer wieder neu überwunden werden muss.

Samstag, 1. Juli 2006

Rauschland

"Angela Merkel taumelt in die Arme von Franz Beckenbauer.“ Ich mache mir ernsthaft Sorgen um die Stimmung im Land, das gestern erneut „einen neuen Grad an Euphorie“ erreicht hat. Biernotdienste in allen WM-Städten, Autokorso seit gestern ohne Unterbrechung, Hunderttausende feiern auf Fanparties bis zum Morgengrauen. Heute sah ich ein Fahrrad mit zwei Standarten-Fahnen am Einkaufskorb. Ist das nicht schon viel zu ausgelassen? Wie könnte nächste Woche eine Steigerung aussehen oder ist Deutschland nicht schon allein deswegen zum Ausscheiden im Halbfinale verdammt, weil keine denkbare Steigerung der Begeisterung mehr möglich ist? Hier zeigt sich erneut ein eklatanter Mangel in den Planungen des Organisationskomitees unter der Leitung von Franz Beckenbauer.

Wäre beispielsweise Andre Heller mit der Planung der Fanreaktionen nach Spielen der Deutschen Nationalmannschaft beauftragt worden, wären die Freudengesänge nach dem Spiel gegen Costa Rica undenkbar gewesen. Weiß doch auch nur jeder halbwegs begabte Dramaturg, dass so ein Spannungsbogen ordentlich aufgebaut werden muss und vor allem ein richtiges Fundament benötigt: Hilfreich wäre ein deutschlandweites Kopfschütteln nach dem Sieg gegen Costa Rica gewesen mit vereinzelten Hinweisen auf die schwere Vergangenheit und die schlechten Trainingsbedingungen der Kicker aus Mittelamerika. Klinsmann hätte öffentlich für die vier Tore in jedem Interview ungefragt um Entschuldigung bitten müssen. Das Spiel gegen Polen mit seinem Tor in der 93. Minute hätte schon allein deshalb verschwiegen werden können, weil es im Fußball keine 93. Minute mehr gibt und die Polen unsere Nachbarn sind. Der Sieg gegen Ecuador hätte mit einem Dutzend vom Sponsor bereitgestellten Gehilfen standesgemäß gefeiert werden können. Für dreißig Minuten nach dem Spiel hätten zehn Fans mit etwas Konfetti und einer Büchse koffeinhaltiger brauner Sponsorenbrause um den Block der Heimspiel-WG ziehen können. Beim Spiel gegen Schweden wäre dann eine weitere Steigerung möglich gewesen, ein erster Autokorso mit fünf Hyundais vielleicht, ein zaghaftes Händeschütteln zwischen Merkel, Blatter und Beckenbauer.

Aber nun? Wie kann jetzt der Fanjubel noch gesteigert werden, wenn Deutschland völlig unerwartet Italien aus dem Tournier wirft? Ganz Berlin muss bereits im Vorfeld zur Fanmeile erklärt werden, die Strecke der Tour de France wird unmittelbar nach dem Sieg für den Dauerautokorso der Deutschen Fans gesperrt, Bierhof führt nach Abpfiff mit Trapatoni im Mittelkreis einen Boxkampf über zwölf Runden aus, ganz Italien wird bedeckt von einer gigantischen Schwarz-Rot-Goldenenfahne, aus allen Lautsprechern der Bundesbahn ist mit 100 Dezibel Lautstärke in einer Endlosschleife der Beckmannkommentar des Spiels zu hören und die nur mit einem lachsfarbenen Tanga bekleidete Angela Merkel schmiegt sich an den nur mit einer rotgepunkteten Krawatte bekleideten Beckenbauer … Sagen Sie selbst: Ist das ein Sieg über Italien wert?

Buster deckt auf: Was wirklich geschah

Nach der Verlängerung kommt Oliver Kahn zu Jens Lehmann und spricht seinem ehemaligen Konkurrenten vor dem Elfmeterschießen Mut zu:

„Hör zu du Arschgesicht, ich lächle hier nur für die Kameras und damit alle Welt morgen schreibt, was für einen unglaublichen Sportsgeist ich habe und was für ein Pfundskerl ich bin. Aber eines sage ich dir jetzt du dumme Sackratte, du wirst hier keinen einzigen Ball halten, du mistiger in England lebender Hurensohn, jetzt kommt dein schmähliches Ende als Nummer eins du depperte Lusche.“

Gleichklang

Leibniz, vor 360 Jahren in Leipzig geboren, behauptete, Gott habe unter allen möglichen Welten die beste für uns geschaffen, weil er allmächtig, allwissend und allgütig sei.

Und der gottgleiche Franz Beckenbauer entstieg dem Hubschrauber und verkündete über sein Hausblatt „Bild“: „Wir leben in einem Paradies, wir haben ein wunderschönes Land, das sieht man ganz deutlich im Hubschrauber.“

Freitag, 30. Juni 2006

"Fußball-" und "BRD-Patrioten"

Dass Mitmenschen, die sich eher zur politischen Linken zählen, bei der ganzen Fahnenschwingerei und der Patriotismusdebatte kein gutes Gefühl haben, überrascht nicht. Bei den Rechtsextremen herrscht jedoch nicht uneingeschränkte Freude über das Fahnenheer und es wird sehr kontrovers diskutiert. Vielleicht steht sogar eine Spaltung des Zeckbündnisses zwischen DVU und NPD ins Haus.

Jürgen W. Gansel, seit 2004 NPD-Abgeordneter im Sächsischen Landtag und im Bundesvorstand der NPD tätig, geht der Frage nach, ob es sich bei diesem Phänomen um „bloß patriotisch verbrämter Party- und Fußball-Hedonismus“ oder den „Beginn einer Re-Nationalisierung des gesellschaftlichen Lebens“ handelt. Zunächst proklamiert Gansel immanent vorhandene „nationale Leidenschaften, Sehnsüchte und Bedürfnisse“ die nicht länger unterdrückt werden können, wenn „die Herrschenden“ nicht einen galoppierenden Legitimitätsschwund weiter vergrößern wollen. Patriotismus „der Herrschenden“ soll die gesellschaftlichen Verhältnisse stabilisieren und hat Ablenkungscharakter:

„Den verarmenden Massen werden ein paar süße Aufputschbonbons in schwarz-rot-goldenem Wickelpapier hingeworfen und ihnen die Zugehörigkeit zum großen Ganzen vorgegaukelt, wo sie als Globalisierungsverlierer in Wirklichkeit doch längst abgeschrieben und ausgegrenzt sind.“
Der bekennende Nationalsozialisten Axel Reitz sieht im aufkommenden Patriotismus eine Fehlentwicklung:

„Überall keimt die schwarz-rot-goldene Sumpfblüte des Patriotismus auf, gedeiht im Morast der bundesrepublikanischen Gesellschaft und durchseucht langsam sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens.“
Gansel spricht vom „neuen Patriotismus“ der die Integrationsbereitschaft fördern soll:

„Der Fußball-Patriotismus integriert in der Tat jeden, dessen Deutschkenntnisse ihn dazu befähigen, bei irgendeinem Mitmigranten ein schwarz-rot-goldenes Tuch zu erwerben. Was mit der Schwarzenparade im Weiß der Nationalelf vorexerziert wird, klappt auf der tanzenden Straße sowieso. Hier werden selbst Neger zu deutschen Patrioten.“
Die NPD hatte die sich im Vorfeld der WM auf Spieler afrikanischer Herkunft ín der Deutschen Nationalmannschaft eingeschossen. Frank Schwerdt, seit den 60er Jahren in der rechtsextremen Szene aktiv:

„Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der uns gegenwärtig aufgezwungenen multikulturellen Gesellschaft, dass in fast jedem Zusammenhang Quoten-Ausländer angeboten werden, um eben diese Zusammensetzung von Einheimischen und Ausländern als das Selbstverständlichste der Welt erscheinen zu lassen. Gerade bei den deutschen Profi-Mannschaften wird deutlich, wohin die Reise geht. Damit die Quoten-Ausländer auch in der deutschen Nationalmannschaft zu finden sind, hat man sich flugs um die deutsche Staatsbürgerschaft des dunkelhäutigen Gerald Asamoah bemüht und den ebenfalls dunkelhäutigen Bremer Patrick Owomoyela schubste man schnell noch in die Mannschaft.“
Gerhard Frey, der Vorsitzende der Deutschen Volksunion, ist wohl eher aus wahltaktischen Gründen bemüht um höchstens vorsichtige Distanzierung von den Spielern der Deutschen Nationalmannschaft und äußert Bedenken „gegen mehr oder weniger dunkelhäutige Spieler zu agitieren, um allzu engherzige politische Botschaften zu transportieren“.

Der Kernvorwurf von Gansel ist freilich, dass der „BRD-Patriotismus“ den Rechtsextremen das Monopol aufs Nationale streitig machen soll. „Die Herrschenden“ instrumentalisieren die Fußball-WM in diesem Sinne um das Ende der „jahrzehntelangen Entdeutschung der Deutschen einzuleiten“ und die „Deutschen zu ihrem Wesen zurückfinden zu lassen“, teilweise zumindest. Eine Erlöserrolle die im Weltbild von Gansel nur den „Nationalen“ zukommen darf und nur der Tatsache geschuldet ist, dass sich etwas ändern muss „damit alles beim Alten bleibt“. Etwas „BRD-Patriotismus“ soll den Nationalismus verhindern, bevor der „ganze morsche Systeme hinwegfegen“ kann.

Dennoch kann Gansel dem „BRD-Patriotismus“ vieles abgewinnen. Durch ihn ist der „nationale Gedanke nicht mehr diskreditierbar“, „aus der bisher verordneten Schmuddelecke geholt“ und schrittweise in politische Kontexte gesetzt. Sprich: Die Menschen werden leichter agitierbar für Nationalisten:

„Der gegenwärtige Fußball-Patriotismus hat – trotz seines trivialen und partyhaften Charakters – einen bislang nur unterirdisch wirkenden Normalisierungsnationalismus zutage treten lassen. Aus dem postnationalen Homo bundesrepublicanus wird wieder der aufrecht gehende Deutsche.“
Auch für Jürgen Schwab, der sich zwischenzeitlich von der NPD getrennt hat, sieht in den „Fußballpatrioten“ ideale Ansätze zur Agitation:

„Ich habe noch nie so viele und vor allem so viele junge deutsche Patrioten auf einem Haufen gesehen. Zeitgeschichte und somit deutscher Schuldkult interessiert diese Leute nicht.“
Zu hoffen ist, dass dieser Streit das Zweckbündnis zwischen den beiden größten rechtsextremen Parteien DVU und NPD zum Einsturz bringt, erste Forderungen zur Zurückhaltung werden in der rechtsextremen Szene laut.

Robert Gernhardt

Trost und Rat
Ja wer wird denn gleich verzweifeln,
weil er klein und laut und dumm ist?
Jedes Leben endet. Leb so,
daß du, wenn dein Leben um ist
von dir sagen kannst: Na wenn schon!
Ist mein Leben jetzt auch um,
habe ich doch was geleistet:
Ich war klein und laut und dumm.
[Robert Gernhardt: Wörtersee]

Robert Gernhardt starb heute im Alter von 68 Jahren in Frankfurt.

Am Abend
Wenn ich vom Abendlärm der Städte
getrieben in die Schenke trete
um erst mit innigstem Behagen
so ein, zwei Klare einzujagen
um dann mit freudigstem Begreifen
diverse Bierchen einzupfeifen
um drauf mit holdestem Entzücken
rasch drei, vier Obstler zu verdrücken
um noch mit dankbarstem Verstehen
verschiedne Weine einzudrehen -
dann pfleg ich mit gespieltem Klagen
"Ach, ach" und auch "Doch, doch" zu sagen.
[Robert Gernhardt: Wörtersee]

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Seit langen das beste...
Seit langen das beste Gedicht was ich gelesen habe....
Laura Kinderspiel - 12. Nov, 11:30
wow..
..echt "hot" diese Sonnenblumen.. seit langem die beste...
jump - 6. Sep, 11:53
Danke
Danke
huflaikhan - 28. Aug, 08:25
Ich mag sowas ja sehr...
Ich mag sowas ja sehr gerne lesen, vor allem richtig...
huflaikhan - 26. Dez, 16:15
Hatschi
... ok, bin wieder auf dem Boden der Tatsachen.. ;-)
jump - 17. Dez, 19:18
So weit!
Ja genau, also doch schon gar sooo weit ;-).
BusterG - 17. Dez, 00:26
Das ist in der Nordeifel:...
Das ist in der Nordeifel: Heimbach in Nebel und Sonnenschein.
BusterG - 17. Dez, 00:24
Geschätzte Wassertemperatur:...
Geschätzte Wassertemperatur: ca zwei Grad, also vielleicht...
BusterG - 17. Dez, 00:23
Danke
Danke
BusterG - 17. Dez, 00:21
Natürlich ist das ...
... AUCH an Dich gewandt. Ich würde doch sonst nicht...
BusterG - 17. Dez, 00:21

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